Tanz- und Performance aus Big Apple
New York ist derzeit zu Gast im wiedereröffneten Haus der Kulturen der Welt in Berlin. In der Performancereihe "nomadic new york" zeigen Künstler eine andere Sicht auf die Stadt. Nicht der rastlose Moloch Manhattan steht im Vordergrund der Arbeiten, sondern die Poesie des Alltags.
Trotz des hellen Tageslichts bestrahlt von bunten Lichtern, schimmert die Kongresshalle in Lila und Blau. Gemäßigtes Treiben, ein paar Leute kommen, ein paar gehen. Vor dem Haupteingang stehen amerikanische Cadilacs und Strechtlimousinen und warten auf Kunden, die sie für drei Euro einmal zum Hauptbahnhof und zurück kutschieren wollen. Eine junge Frau watet durch die Wasserspiele vor dem Haus, baut fünfzig Stühle zu ordentlichen Reihen auf. Während man noch denkt, warum ihr eigentlich niemand hilft und sie die ganze Arbeit alleine machen muss, fragen ein paar Touristen nach dem Beginn der Performance. Niemand weiß so recht Bescheid. Nach einer halben Stunde: immer noch Stühle im Wasser, aber aufeinander gestapelt. Nach einer weiteren Stunde: wieder die alte Anordnung, nur mit einem einsamen Rednerstuhl vor den Sitzreihen. Ein seltsames, etwas surreales Arrangement, das eine alltägliche Situation wie die Reihen von Stühlen an einen ihr fremden Ort, im Wasser, platziert. Den ganzen Tag wird es mit den wechselnden Anordnungen so weitergehen und es wird deutlich: das ist keine Performancevorbereitung, das ist die Performance. Die Künstlerin Vlatka Horvath ist in Kroatien geboren, lebt und arbeitet aber seit vielen Jahren in New York.
"In diesem Stück fordere ich das Publikum nicht auf zur Interaktion. […]Es gibt aber eine Einladung an die Zuschauer zur Projektion. Sie sind eingeladen, eigene Assoziationen zu entwickeln zum dem, was sie beobachten, Verbindungen zu ziehen zwischen dem, was sie sehen und was sie daraus phantasieren oder darauf projizieren. […] Es gibt eine Art Spiel, ein Hin und Her zwischen mir als Künstlerin, die eine Situation anbietet und dem Zuschauer, der etwas daraus macht, in dem er es ansieht und etwas interpretiert."
Die Künstlerin Vlatka Horvath ist mit ihrer Stuhl-Installation "This here and that there" Teil des Performance-Programms "nomadic new york". Kurator André Lepecki setzt darin ganz bewusst nicht auf große, repräsentative Kunst, sondern entscheidet sich, Kleines, Unspektakuläres, Flüchtiges zu zeigen. Als "Kunst im Modus des Minderen" bezeichnet er seine Auswahl, die sich gegen Festlegung und Beharren wendet. Aber die wenigsten der eingeladenen Arbeiten entfalten eine spezifische Qualität wie die Installation von Vlatka Horvath, in der sie eine "Poesie des Alltäglichen im Ungewohnten" entwickelt. Meistens bleibt es bei einer interessanten Konzeptbeschreibung oder schlicht einer schönen Idee.
Die Tänzerin Julie Tolentino zum Beispiel tanzt 24 Stunden lang mit verbundenen Augen in einer kleinen, mit Gras ausgelegten Box, in die auch die Zuschauer zum mittanzen eingeladen sind. Die Möglichkeit, in der Öffentlichkeit für einen Moment einen persönlichen Kontakt herzustellen, ist dieser Performance-Idee ebenso immanent wie die Gelegenheit, die Veränderung der Performerin zu beobachten, ihre Erschöpfung oder das Immer-wieder-Kraft-sammeln über die vielen Stunden. Doch Julie Tolentino tanzt mit derart aufgesetzter Friedensaktivistenemphase, bei der das selige Lächeln des Gutmenschentums niemals aus dem Gesicht schwindet, dass die Qualität des Authentischen, die in so einem Format möglich und spannend wäre, völlig verloren geht.
Die Choreographin Koosil-ja dagegen arbeitet in ihrer Performance "Dance without Bodies" zwar mit viel mehr technischem Aufwand, bleibt aber ästhetisch genauso farblos. Das in zwei Gruppen aufgeteilte Publikum sitzt in zwei voneinander getrennten Bereichen des Bühnenraums und bekommt das, was in der anderen Hälfte geschieht, jeweils durch Kameraübertragung zu sehen. Zwei Tänzerinnen zeigen choreographisch ziemlich simple Sequenzen, zu denen verschiedene Musiken eingespielt werden. Dass der mit Teppichboden ausgelegte Konferenzsaal des Haus der Kulturen der Welt der denkbar ungünstigste Ort für eine solche Performance ist – dafür kann die Choreographin Koosil-ja nichts. Dass sie ihre Arbeit, deren Sinn sich absolut nicht erschließen will, aber zu allem Überfluss theoretisch mit Gilles Deleuzes Idee vom "organlosen Körper" unterfüttert, macht diese "Avantgarde von Gestern" auch nicht relevanter.
Eine kraftvolle Ausnahme dagegen ist Matthew Volcovsky, der sich unter den Vorzeichen des Nomadentums eine Woche lang mit der Stadt Berlin auseinandergesetzt und daraus eine fast dreistündige Performance entwickelt hat.
"Letzte Nacht habe ich eine Skulptur gebaut aus Müll, den ich hier in Berlin gesammelt habe. Diese Figur ist zu einer Art Totem geworden, […] einem Golem, der zum Leben erwacht und aus Dreck gemacht worden ist. Es endete damit, dass ich aus dem Gedächtnis heraus das Porträt einer Prostituierten malte, die im letzten Jahr in Atlantic City ermordet wurde. […] Als ich mit dem Bau begann, wusste ich nicht, was es werden sollte. Und die ganze Zeit war ich nackt – eine große Herausforderung Das aber was mich am verletzlichsten gemacht hat in diesem Standard-Theaterraum war die Hoffnung, der Wunsch, das Vertrauen oder auch das Misstrauen, dass ein Mann, der auf einer Bühne einfach nur etwas baut, genug sein könnte für eine Weile."
Im radikalen Umgang mit dem eigenen Körper und dem Faktor Zeit knüpft Matthew Volcovsky an die amerikanische Performancekunst der sechziger und siebziger Jahre an, von der man auch einen Eindruck in der New-York-Ausstellung bekommt. In der gibt es zum Beispiel die Dokumentation der Performance von Tehching Hsieh, der Anfang der achtziger Jahre mitten in der Großstadt ein Jahr unter freiem Himmel verbrachte. Doch gerade diese existenzielle Radikalität macht den Unterschied zu der Farb- und Eigenschaftlosigkeit der meisten der zu diesem Festival eingeladenen Arbeiten nur umso deutlicher.
Kurator André Lepecki sieht darin etwas anderes:
"Es gibt so etwas wie eine Gier in New York, die für mein Verständnis eine besondere Physikalität erzeugt, ein ganz bestimmtes Lebensgefühl. Es gibt etwas Brutales in dieser Stadt, eine Art poetischer Brutalität. […] In jeder Performance, die wir hier gesehen haben, steckt etwas von diesem Gefühl der Brutalität. […] Zum Bespiel in der Exaktheit und Genauigkeit von Vlatka Horvath. Oder, wie in anderen, in dem man das Gegenteil möchte und sich in einen intimen Raum zurückzieht. Aber alle Performances nehmen teil an etwas Politischem, das ich die Politik des Ortes nennen möchte und das hat mich sehr angesprochen. Die Künstler, die ich eingeladen habe, sind nicht die Repräsentanten von New York oder einer bestimmten New Yorker Kunstszene, aber sie reflektieren in ihren Arbeiten dieses bestimmte Lebensgefühl."
Amerikanisches Lebensgefühl, beziehungsweise dessen ironische Hinterfragung gab es noch am ehesten bei Reverend Billy zu erleben. Im Stile eines amerikanischen Fernsehpredigers fordert der in seiner Heimat und auch in Europa sehr populäre Performer in eingängigen Parolen wie "Stop-Shopping" zur Abkehr vom Konsum auf – am liebsten in großen Einkaufspassagen vor konsumfreudigen Publikum. Ob mitten in der Stadt oder beim anschließenden Konzert auf der Bühne, gelingt es ihm dank genügend Selbstironie, die Banalität und Plattheit der Aufforderung ‚Stop-Shopping’ zur politischen Aussage zu drehen – im Performance-Festival "nomadic new york" eine erfrischende Ausnahme.
"In diesem Stück fordere ich das Publikum nicht auf zur Interaktion. […]Es gibt aber eine Einladung an die Zuschauer zur Projektion. Sie sind eingeladen, eigene Assoziationen zu entwickeln zum dem, was sie beobachten, Verbindungen zu ziehen zwischen dem, was sie sehen und was sie daraus phantasieren oder darauf projizieren. […] Es gibt eine Art Spiel, ein Hin und Her zwischen mir als Künstlerin, die eine Situation anbietet und dem Zuschauer, der etwas daraus macht, in dem er es ansieht und etwas interpretiert."
Die Künstlerin Vlatka Horvath ist mit ihrer Stuhl-Installation "This here and that there" Teil des Performance-Programms "nomadic new york". Kurator André Lepecki setzt darin ganz bewusst nicht auf große, repräsentative Kunst, sondern entscheidet sich, Kleines, Unspektakuläres, Flüchtiges zu zeigen. Als "Kunst im Modus des Minderen" bezeichnet er seine Auswahl, die sich gegen Festlegung und Beharren wendet. Aber die wenigsten der eingeladenen Arbeiten entfalten eine spezifische Qualität wie die Installation von Vlatka Horvath, in der sie eine "Poesie des Alltäglichen im Ungewohnten" entwickelt. Meistens bleibt es bei einer interessanten Konzeptbeschreibung oder schlicht einer schönen Idee.
Die Tänzerin Julie Tolentino zum Beispiel tanzt 24 Stunden lang mit verbundenen Augen in einer kleinen, mit Gras ausgelegten Box, in die auch die Zuschauer zum mittanzen eingeladen sind. Die Möglichkeit, in der Öffentlichkeit für einen Moment einen persönlichen Kontakt herzustellen, ist dieser Performance-Idee ebenso immanent wie die Gelegenheit, die Veränderung der Performerin zu beobachten, ihre Erschöpfung oder das Immer-wieder-Kraft-sammeln über die vielen Stunden. Doch Julie Tolentino tanzt mit derart aufgesetzter Friedensaktivistenemphase, bei der das selige Lächeln des Gutmenschentums niemals aus dem Gesicht schwindet, dass die Qualität des Authentischen, die in so einem Format möglich und spannend wäre, völlig verloren geht.
Die Choreographin Koosil-ja dagegen arbeitet in ihrer Performance "Dance without Bodies" zwar mit viel mehr technischem Aufwand, bleibt aber ästhetisch genauso farblos. Das in zwei Gruppen aufgeteilte Publikum sitzt in zwei voneinander getrennten Bereichen des Bühnenraums und bekommt das, was in der anderen Hälfte geschieht, jeweils durch Kameraübertragung zu sehen. Zwei Tänzerinnen zeigen choreographisch ziemlich simple Sequenzen, zu denen verschiedene Musiken eingespielt werden. Dass der mit Teppichboden ausgelegte Konferenzsaal des Haus der Kulturen der Welt der denkbar ungünstigste Ort für eine solche Performance ist – dafür kann die Choreographin Koosil-ja nichts. Dass sie ihre Arbeit, deren Sinn sich absolut nicht erschließen will, aber zu allem Überfluss theoretisch mit Gilles Deleuzes Idee vom "organlosen Körper" unterfüttert, macht diese "Avantgarde von Gestern" auch nicht relevanter.
Eine kraftvolle Ausnahme dagegen ist Matthew Volcovsky, der sich unter den Vorzeichen des Nomadentums eine Woche lang mit der Stadt Berlin auseinandergesetzt und daraus eine fast dreistündige Performance entwickelt hat.
"Letzte Nacht habe ich eine Skulptur gebaut aus Müll, den ich hier in Berlin gesammelt habe. Diese Figur ist zu einer Art Totem geworden, […] einem Golem, der zum Leben erwacht und aus Dreck gemacht worden ist. Es endete damit, dass ich aus dem Gedächtnis heraus das Porträt einer Prostituierten malte, die im letzten Jahr in Atlantic City ermordet wurde. […] Als ich mit dem Bau begann, wusste ich nicht, was es werden sollte. Und die ganze Zeit war ich nackt – eine große Herausforderung Das aber was mich am verletzlichsten gemacht hat in diesem Standard-Theaterraum war die Hoffnung, der Wunsch, das Vertrauen oder auch das Misstrauen, dass ein Mann, der auf einer Bühne einfach nur etwas baut, genug sein könnte für eine Weile."
Im radikalen Umgang mit dem eigenen Körper und dem Faktor Zeit knüpft Matthew Volcovsky an die amerikanische Performancekunst der sechziger und siebziger Jahre an, von der man auch einen Eindruck in der New-York-Ausstellung bekommt. In der gibt es zum Beispiel die Dokumentation der Performance von Tehching Hsieh, der Anfang der achtziger Jahre mitten in der Großstadt ein Jahr unter freiem Himmel verbrachte. Doch gerade diese existenzielle Radikalität macht den Unterschied zu der Farb- und Eigenschaftlosigkeit der meisten der zu diesem Festival eingeladenen Arbeiten nur umso deutlicher.
Kurator André Lepecki sieht darin etwas anderes:
"Es gibt so etwas wie eine Gier in New York, die für mein Verständnis eine besondere Physikalität erzeugt, ein ganz bestimmtes Lebensgefühl. Es gibt etwas Brutales in dieser Stadt, eine Art poetischer Brutalität. […] In jeder Performance, die wir hier gesehen haben, steckt etwas von diesem Gefühl der Brutalität. […] Zum Bespiel in der Exaktheit und Genauigkeit von Vlatka Horvath. Oder, wie in anderen, in dem man das Gegenteil möchte und sich in einen intimen Raum zurückzieht. Aber alle Performances nehmen teil an etwas Politischem, das ich die Politik des Ortes nennen möchte und das hat mich sehr angesprochen. Die Künstler, die ich eingeladen habe, sind nicht die Repräsentanten von New York oder einer bestimmten New Yorker Kunstszene, aber sie reflektieren in ihren Arbeiten dieses bestimmte Lebensgefühl."
Amerikanisches Lebensgefühl, beziehungsweise dessen ironische Hinterfragung gab es noch am ehesten bei Reverend Billy zu erleben. Im Stile eines amerikanischen Fernsehpredigers fordert der in seiner Heimat und auch in Europa sehr populäre Performer in eingängigen Parolen wie "Stop-Shopping" zur Abkehr vom Konsum auf – am liebsten in großen Einkaufspassagen vor konsumfreudigen Publikum. Ob mitten in der Stadt oder beim anschließenden Konzert auf der Bühne, gelingt es ihm dank genügend Selbstironie, die Banalität und Plattheit der Aufforderung ‚Stop-Shopping’ zur politischen Aussage zu drehen – im Performance-Festival "nomadic new york" eine erfrischende Ausnahme.