Tansania

Fragiles Zusammenleben der Religionen

Die zwei deutschen Kirchen und zahlreiche Hochhäuser bilden die Skyline von Daressalam in Tansania.
Die zwei deutschen Kirchen und zahlreiche Hochhäuser bilden die Skyline von Daressalam in Tansania. © picture alliance / dpa / Carola Frentzen
Von Sven Weniger und Michael Marek · 21.12.2014
Bisher kamen die Glaubensgemeinschaften in Tansania ganz gut miteinander aus. Aber das scheint sich jetzt zu wandeln. Radikale Fundamentalisten untergraben das friedliche Zusammenleben unterschiedlicher Stämme und Religionen.
Die Azania Front Church ist die schönste Kirche Daressalams. Das Gotteshaus mit seinen roten Ziegeldächern wurde 1898 von der deutschen Kolonialgemeinde gebaut. Jeden Sonntag feiert die lutherische Gemeinde hier ihren Gottesdienst. Schon von draußen sind die Gospelgesänge zu hören.
"Ich bin vor allem verantwortlich für die Theologische Mission und Evangelisierung."
Sagt George Paul Fupe, Dekan der evangelisch-lutherischen Diözese in Daressalam:
"Wir setzen damit die Arbeit der ersten Missionare fort, die hier 1887 aus Deutschland kamen. In unserer Missionswoche im August oder September ziehen wir hinaus, um zu predigen und zu erziehen. Vor allem im Süden des Landes gibt es noch viel Missionierungs-Arbeit."
Etwa 45 Millionen Menschen leben Tansania. Muslime, Christen und Angehörige von Stammesreligionen halten sich mit je einem Drittel in etwa die Waage. Die christlichen Siedlungsgebiete liegen in unterschiedlichen Regionen. Um Heiden-Bekehrung im klassischen Sinne ginge es der lutherischen Kirche aber nicht, so Dekan Fupe:
"Nein, das sind keine Heiden. Aber Tansania ist groß, und das Evangelium hat manche Regionen noch nicht erreicht. Dort können Muslime leben oder Angehörige traditioneller Religionen, die wir dazu bringen wollen, zum Christentum zu konvertieren. Haben wir dort Fuß gefasst, errichten wir ein Zentrum, eine Kirche und setzen einen Prediger ein, der das Evangelium verkündet."
Kultur der Toleranz
Auch Alex Malasusa, Bischof der evangelisch-lutherischen Kirche in Tansania, spricht über die Kultur der Toleranz, von Ehen zwischen Männern und Frauen mit unterschiedlichem religiösem Hintergrund, die in Tansania nichts Ungewöhnliches seien – auch wenn die Bevölkerung mehrheitlich christlich sei, wären die christlichen Kirchen auf Zurückhaltung bedacht, so Bischof Malasusa:
"Während der Kolonialzeit haben die christlichen Missionare aus Deutschland nicht nur Kirchen aufgebaut, sondern auch Schulen. Die Schulen waren christlich. Nach der Unabhängigkeit Tansanias in den 1960er Jahren wurde die Schulen "nationalisiert" und gehörten nicht mehr den christlichen Kirchen. Deshalb sage ich: Es gibt bei uns keine Dominanz der Kirche mehr. Das Schul- und Gesundheitssystem, alle sozialen Einrichtungen sind staatlich. Es stimmt nicht, dass es in Tansania eine Vorherrschaft irgendeiner Glaubensrichtung gibt."
Um Auseinandersetzungen zu vermeiden, wird die Religionszugehörigkeit in Tansania seit 1967 nicht mehr statistisch erfasst. Dennoch werde das friedliche Zusammenleben unterschiedlicher Stämme und Religionen von einigen radikalen Fundamentalisten untergraben, beklagt Bischof Malasusa. Trotz religiöser Pluralität hat der politische Islam in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen - besonders auf Sansibar. Aufgrund ihrer Geschichte ist die Ferieninsel vor allem muslimisch geprägt. Dies nutzt die religiöse Separatistenbewegung UAMSHO, auf Deutsch "Erwachen", um die islamische Agenda von dort aus in ganz Tansania zu verbreiten. UAMSHO und ähnliche Gruppierungen wollen nach eigenen Angaben einen muslimischen Staat errichten, in dem kein Platz wäre für Christen und Anhänger anderer Religionen.
"Unglücklicherweise kam es zu religiös motivierten Anschlägen, Kirchen wurden angezündet, Christen und Muslime angegriffen, verletzt und ermordet. Wir bemühen uns, einen Dialog zwischen den Religionen zu in Gang zu bringen. Die christlichen und muslimischen Führer sprechen miteinander – mit dem Ziel, einander zu verstehen und sich gegenseitig zu respektieren."
Doch die Lebenswirklichkeit Tansanias zeigt, wie fragil das Zusammenleben der Religionen wirklich ist. Auch Dekan Fupe, der das Christentum auf dem Vormarsch sieht, will sich zu Prozentanteilen nicht äußern.
Mehrere Pastoren wurden ermordet
"Oh ja, unsere Kirche wächst sehr, sehr stark. Aber Zahlen, das ist ein Thema, über das wir hier in Tansania nicht gern reden - über die Anteile von Muslimen und Christen. Dann denken die einen, wir sind die Mehrheit oder die Minderheit, und das kann dann zu irgendwas führen."
Zum Beispiel zu Aggression und Gewalttaten, die das Land längst erreicht haben. Eine Kirche der pfingstlerischen Bewegung Assemblies of God wurde zerstört. Mehrere Pastoren wurden ermordet, zuletzt 2013 ein Geistlicher auf Sansibar. Zwei junge Britinnen, die in einem anglikanischen Kindergarten auf Sansibar ein freiwilliges soziales Jahr absolvierten, wurden im Sommer 2013 durch ein Säureattentat schwer verletzt. Auch Sheik Fadhil Suleiman Soraga, rechte Hand des Muftis und verantwortlich für Religionsfragen auf Sansibar, wurde 2013 Opfer eines Säureangriffes. Er hatte sich gegen Unabhängigkeitsbestrebungen der radikalen UAMSHO-Gruppe ausgesprochen und mehr Toleranz auf der von Muslimen dominierten Ferieninsel gefordert.
"Religiös motivierte Anschläge sind ein völlig neues Phänomen für Tansania. Bei uns haben Christen und Muslime einander nie bekämpft. Ich weiß nicht, woher dieser religiöse Hass kommt. Aber: Fundamentalismus gibt es in jeder Religion. Diese Gruppen versuchen Tansania zu infiltrieren, es handelt sich gewissermaßen um importierten religiösen Hass. Diese Leute kommen von außen, aus Nordafrika, aus Europa und anderen Regionen."
2013 legten die großen christlichen Kirchen in Deutschland eine Untersuchung vor: Ihr zufolge sind die Christen in 111 Ländern der Erde besonderer Benachteiligung und Verfolgung ausgesetzt. Laut "Weltverfolgungsindex" wird keine Religion weltweit stärker verfolgt als das Christentum. Danach leben Christen vor allem in Nordkorea, Somalia und Syrien in ständiger Todesangst. Auf der Liste von 50 Staaten findet sich Tansania "erst" an 49. Stelle. Die Lage der Christen scheint sich hier verbessert zu haben. Im Goethe-Institut von Daressalam macht man sich gleichwohl Gedanken über die gewaltsamen Vorfälle im Land. Samuel Gogomoka ist der Leiter der Spracharbeit:
"Es gibt so Minderheitsgruppen, wenige Leute, besonders auf Sansibar, die Religion als politische Waffe missbrauchen wollen - Aber ich glaube, dass die tansanische Regierung, die Gesellschaft allgemein gegen interreligiöse Konflikte ist. Wenn es soweit käme, dass Christen und Muslime aufeinander losgehen, das wäre wirklich eine Katastrophe, so was Tragisches. - Ich glaube, die Bevölkerung ist gegen eine Eskalation religiöser Konflikte. Und die Regierung, das ist klar, will nicht, dass das Ganze überbewertet wird".
Nehmen die religiösen Spannungen weiter zu?
Ähnlich argumentiert auch Tansanias römisch-katholischer Bischof Francis Mfumbusa. Die größte Gefahr ginge derzeit von eingereisten Dschihadisten aus. Es gebe aber auch radikale einheimische Kräfte, die zuvor in ausländischen Trainingscamps waren. Für Daniel Sempeho vom Goethe-Institut in Daressalam haben die wachsenden Spannungen zwischen den Glaubensgemeinschaften eine gesellschaftliche Dimension:
"Nach meiner Beobachtung, es ist schon ansteigend. Das ist (nicht) nur Religion, aber zwischen verschiedenen Klassen gibt es so viele Konflikte, die kommen jetzt langsam an die Öffentlichkeit, die früher unter der Haube waren."
Ende 2015 sollen in Tansania die nächsten Parlamentswahlen stattfinden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass bis dahin die religiösen Spannungen weiter zunehmen werden.
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