Tamara Trampes Film "Weiße Raben"

Am Ende steht nur der Tod

06:08 Minuten
Zwei tschetschenische Frauen im Februar 2000 in der fast völlig zerstörten Stadt Grosny. Im Hintergrund rollt ein russischer Armee-Konvoi durch die Stadt.
Zwei tschetschenische Frauen im Februar 2000 in der von der russischen Armee fast völlig zerstörten Stadt Grosny. © picture-alliance / dpa
Von Matthias Dell · 15.03.2022
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Vor Putins Angriff auf die Ukraine gab es den Krieg in Tschetschenien. Die Regisseurin Tamara Trampe hatte über diesen den Film „Weiße Raben“ gedreht. Ein leiser, zeitloser Essay: Aus gegebenem Anlass hat ihn die Produktionsfirma ins Netz gestellt.
„Und wo kommen die Bilder her, die wir aus den Kriegen kennen?“, fragt Tamara Trampe. Die Frage gilt einem jungen russischen Soldaten, der nicht reden will, und deshalb tut, als sei alles normal.
Für die Filmemacherin gehörte der Krieg auf gewisse Weise zum Leben, Tamara Trampe wurde im Winter 1942 geboren – auf einem Feld bei Woronesch, Sowjetunion, hinter der Front gegen die Deutschen; die Mutter diente als Krankenschwester in der Roten Armee.

Die eigene Geschichte als Kriegsgeschichte

Als Tamara Trampe sieben Jahre alt war, zog die Familie nach Ostberlin. Der Geschichte ihrer Mutter ist die Filmemacherin 2014 nachgegangen, in ihrem letzten Film, in Synelnykowe, im Osten der Ukraine. Mit einem Bild aus der Weltkriegszeit.
„Ein Foto. 8 x 15 Zentimeter. Drei Frauen, ein Kind. Rechts die Frau in Uniform ist meine Mutter, links neben ihr ihre Mutter, meine Großmutter, hinter ihr meine Tante Tanja. In der Mitte das Kind: ich. November 1943. Die Ostukraine ist von den deutschen Truppen befreit. Meine Mutter bringt mich zur Großmutter ins Dorf und geht zurück an die Front. Da war ich elf Monate alt.“
Regisseurin Tamara Trampe beim Radio Eins Berlinale-Talk zur Verleihung des Panorama Publikumspreises am Rande der 64. Internationalen Filmfestspiele Berlin 2014.
In "Weiße Raben" verband Tamara Trampe die Geschichten der Opfer.© imago/Seeliger
Der Film "Weiße Raben", den Trampe zusammen mit ihrem Lebenspartner und Kameramann Johann Feindt 2005 gemacht hat, sucht nach Bildern vom Tschetschenienkrieg. Ganz wörtlich.
„Sergej, ich zeige Dir jetzt ein paar Fotos.“
Trampe hat ein Foto dabei, das zeigt sie den Leuten, mit denen sie spricht. Ein Standbild aus einem russischen Videofilm, auf dem die Verhaftung einer tschetschenischen Einheit durch russische Soldaten dokumentiert wird. Besonders markant: zwei Frauen, die beide frontal in die Kamera schauen.
„Sie hat einen tollen Blick. Die andere auch. Aber die Blicke sind ganz verschieden. Die hier weiß hundertprozentig, dass sie sterben wird. Sie hat nichts mehr in den Augen, null“, sagt Kameramann Edik Dschafarow, aus dessen Archiv die Aufnahmen stammen und den Trampe wie alle anderen im Film synchronisiert. „Die andere ist noch ganz wach: Vielleicht habe ich Glück und der da kann mich retten. Sie denkt noch. Sie überlegt, was sie tun kann. Verschiedene Blicke, wirklich interessant.“

In den Händen des Feindes

Im Moskauer Büro des Komitees der Soldatenmütter Russlands macht Trampe aus der Frage ein Rätsel, sie will wissen, welchen Krieg der Abzug von dem Videofilm zeigt.
„Das ist Tschetschenien, aber nach der Kleidung? Irgendeine Säuberung. Aber es ist klar, dass es nicht Jugoslawien ist. Das sind doch unsere, die da rumstehen. Das ist Tschetschenien, keine Frage.“
Das Lachen täuscht, die Mütter im Komitee wissen genau, was es heißt, in die Hände der Feinde zu geraten. „Wenn Menschen während einer Säuberung festgenommen werden – ihr Schicksal ist so gut wie sicher. Diese Frauen leben nicht mehr, dazu werden sie nicht gefasst.“
Am Ende von "Weiße Raben" können immerhin die Namen der beiden Frauen eingeblendet werden. Die Suche nach ihnen ist nur ein Teil von Trampes Recherchen. Ein anderer sind die Geschichten der versehrten russischen Soldaten – von jungen Männern, Jungs wie Kiril, die Briefe geschrieben haben aus dem Krieg.
„Guten Morgen euch allen, da bin ich wieder. Wie habt ihr geschlafen? Bei uns ist alles ruhig, jetzt sind wir aus Chankala zurück. Mit uns fuhren alle möglichen Korrespondenten, wir sind gedreht worden, aber natürlich wurde am meisten der General gedreht. Morgen oder übermorgen kommt es auf dem zweiten Programm. Vielleicht seht ihr mich ja, aber ich glaube, es wird nur der General überbleiben. Sorge dich nicht um mich, Mama, bleib gesund.“

Kaputt und traumatisiert

Und der nun zurück ist, kaputt und traumatisiert. Bei der Mutter: „Um meinen Sohn kümmert sich sonst niemand. Und ihr geht es ganz genauso. Sie entlassen ihn aus der Armee und alles Weitere trägt dann die Mutter.“
In "Weiße Raben" erledigt Trampe selbst Aufräumarbeiten, sie sortiert und verbindet die Geschichten der Opfer. In Tschetschenien zu drehen war seinerzeit unmöglich; die Interviews in Russland mussten vor den Behörden versteckt werden. Trampe geht es nicht um Schuldfragen, sie trifft die Leute, die den Preis zahlen für die Gewalt, die Soldatenmütter.
„Ich erinnere sie an Algerien, an Palästina. Wenn jemand einen Nutzen davon hat, einen Krieg zu führen, dann wird er auch nicht so schnell zu Ende gehen. Wenn jemand bei dir in dein Haus eindringt, dann verteidigst du es. Das ist eine ganz normale Reaktion. Nicht die Tschetschenen sind in Russland eingefallen, sondern die Russen in Tschetschenien. Wir bekommen jetzt das, was wir herausgefordert haben.“
"Weiße Raben" ist ein leiser, zeitloser Essay über den Krieg. Über Russlands Kriege. Mit den jungen Männern ist Trampe empathisch und streng zugleich. Vom apathischen Kiril verabschiedet sie sich in einer denkwürdigen Szene im Gefängnis; er hat ein Mädchen vergewaltigt. Die Mutter ist verzweifelt.
„Ich werde noch verrückt, ich wollte Enkel haben. Ich wollte, dass er heiratet, dass er eine Position im Land hat. Und was ist daraus geworden? Dieses verdammte Tschetschenien, niemand braucht es, niemand braucht es für sein Leben.“
"Weiße Raben - Alptraum Tschetschenien" von Tamara Trampe ist aktuell frei zugänglich auf Vimeo zu sehen.

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