Meinung

Talkshow-Trott auf der Theaterbühne

Ex-Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zu Gast bei der ZDF-Talkshow "Markus Lanz", Sendung vom 27. August 2025.
Vom Talkshow-Gast zum Moderator: Der Politiker Robert Habeck bekommt sein eigenes Debattenformat an einem Berliner Theater. Nur warum soll ein erkenntnisarmes TV-Format auf der Bühne besser funktionieren? © picture alliance / teutopress / -
Ein Kommentar von René Schlott |
Große Erwartbarkeit, geringer Erkenntniswert: Talkshows gehören zum festen Inventar des deutschen Fernsehens, dabei sind sie ein dysfunktionales Format. Jetzt soll auch im Theater noch mehr debattiert werden. Oje.
Haben Sie in den zurückliegenden Sommerwochen etwas vermisst? Vielleicht den Sonnenschein?
Nein, ich denke an die Talkshowformate im Fernsehen, die Jahr für Jahr im Sommer auf wochenlange Sendepause gehen. Übrigens ganz unabhängig vom Weltgeschehen und der Nachrichtenlage, die sich doch nur äußerst selten an den Jahreszeiten orientiert. Nun, die Welt hat sich weitergedreht, auch ohne, dass Lanz, Miosga, Maischberger, Illner und Co. darüber gesprochen hätten oder schmerzlich vermisst worden wären.

Wenig Überraschung, wenig Erkenntnis

Ich weiß nicht, ob Sie noch Talkshows im Fernsehen schauen. Meist reicht mir ein müder Blick auf die Gästelisten, mit den immer gleichen Gesichtern aus Politik, Wissenschaft und Medien – und ich kann mir die jeweilige Diskussion schon im voraus en détail ausmalen. Die Einfallslosigkeit der verantwortlichen Redaktionen ist wirklich zum „Abschalten“. In Fernsehtalkshows treffen vor allem Menschen aus zwei wenig angesehenen Berufsgruppen aufeinander: Menschen aus der Politik reden vor allem mit Menschen aus den Medien.
Talkshows, die Betonung liegt auf „Show“, sind heute vor allem von großer Erwartbarkeit geprägte Unterhaltungssendungen mit geringem Erkenntniswert. Ob Ukraine, Corona, Gaza-Genozid, ob Aufrüstung, Staatsschulden, Wehrpflicht oder Bürgergeld, bei fast jedem Thema ist das Arrangement klar.

Andersdenkende auf Linie bringen

Sehr beliebt ist dabei das Format: „Alle gegen einen“. Ein dissidenter, kritischer Gast sitzt meist drei, vier anderen mehr oder weniger meinungskonformen Gesprächspartnern gegenüber, die die vermeintliche Mehrheitsmeinung vertreten. Zur Fraktion der Abnickerinnen und Zustimmer gesellt sich meist noch der Moderator oder die Moderatorin, die den Außenseiter-Gast ordentlich in die Mangel zu nehmen versucht. Das psychologisch interessante Spektakel, das hier wieder und wieder zur Aufführung gebracht wird, könnte man beschreiben als „Den Außenseiter auf Linie bringen“. Denn Freigeister und Andersdenkende waren der deutschen Seele schon immer suspekt.
Man wird den Eindruck nicht los, dass die ritualisierten deutschen Talkshows in einem selbstreferentiellen Aufmerksamkeitsstrudel gefangen sind: Talkmaster – übrigens eine rein deutsche Wortschöpfung – sehen ihr Zielpublikum wohl vor allem in anderen Medienvertretern, die über ihre Sendungen schreiben oder zählen, welcher Gast wie oft eingeladen wurde und daraufhin den „Talkshowkönig“ mit den meisten Auftritten küren. Dreimal dürfen Sie raten, wer das in den letzten zehn Jahren war: der unvermeidliche Karl Lauterbach.

Talkshows expandieren ins Theater

Demnächst hat aber ein anderer Politiker seine Premiere als Talkmaster. Allerdings nicht im Fernsehen, sondern im Theater. Anfang Oktober wird der grüne Ex-Vizekanzler Robert Habeck auf die Bühne des traditionsreichen Berliner Ensembles treten. Erste Gesprächspartner bei "Habeck Live" sind Anne Will und Volker Wissing. Wieder einmal bleibt ein Milieu unter sich. Und die Zuschauer der bereits ausverkauften Auftaktveranstaltung werden sicher vor allem ihre eigene Weltsicht bestätigt bekommen. Der Trend geht offensichtlich zur Wohlfühl-Debatte.
Warum ein dysfunktionales, weitgehend erkenntnisfreies Fernsehformat auf der Theaterbühne besser funktionieren soll, bleibt offen. Gehören auf eine Theaterbühne ohnehin nicht vor allem Theaterstücke? Und sollten die knapper werdenden finanziellen Mittel öffentlicher Theater nicht besser der Schauspielkunst zukommen? Stattdessen leisten sich die Berliner Theater meistens gleich mehrere Gesprächsreihen. Allein am Berliner Ensemble gibt es neben der Habeck-Show noch drei andere Diskussionsformate, in denen die Moderatoren vor allem Menschen einladen, die ähnlich denken wie sie selbst.

Wohlfühl-Debatten statt Schauspielkunst

Ein Freund mit abgeschlossener Schauspielausbildung, aber ohne Engagement am Theater, kurz ein arbeitsloser Schauspieler, schrieb mir jedenfalls nach der Ankündigung von Habecks neuer Gesprächsreihe eine sarkastische Mail mit der nicht ganz unzutreffenden Betreffzeile: „Endlich echte Schauspieler im Theater“.
Was der alte Brecht wohl dazu sagen würde? Vielleicht würde er mit einem abgewandelten Zitat aus einem seiner Gedichte antworten „Gedenkt ihrer mit Nachsicht“. Oder er würde den berühmten Schlusssatz eines seiner Theaterstücke zitieren: "Wir stehen selbst enttäuscht und sehen betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen."
Und eine Frage bleibt tatsächlich offen: Warum die meisten Menschen zunehmend das Gefühl haben, dass die Meinungskorridore hierzulande enger werden, obwohl es doch immer mehr Redeformate gibt - ob im Fernsehen oder im Theater.
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