Talkshow statt Parlament

In "Nervöse Zone" beschreibt Lutz Hachmeister den Wandel von den beschaulichen alten Bonner Zeiten zur Berliner Medienrepublik. Sein Fazit: Gewohnte mediale Fronten haben sich aufgelöst, seriöse Berichterstattung wird durch Boulevard ersetzt.
Wird die Politik nicht immer langweiliger? Werden die Medien nicht immer flacher? Klumpen Politiker und Journalisten nicht immer mehr in vornehmen Berliner Restaurants zusammen? Wir lesen Lutz Hachmeister – und antworten mit einem entschiedenen: Jein!

Es ist ja alles richtig. Die Politik geht immer mehr auf den Boulevard. Die politischen Publizisten agieren heftig als publizistische Politiker. Und der Bundespräsident empfängt die Fernsehdiva Sabine C. zu ihrer letzten Sitzung nicht im Schloss Bellevue – sondern Sabine Christiansen empfängt das Staatsoberhaupt in ihrem Amtssitz: dem Fernsehstudio. Das wäre im beschaulichen Bonn undenkbar gewesen. Da kamen die Fernsehkameras noch zu den Präsidenten und nicht umgekehrt. Und Kanzler Konrad Adenauer munitionierte die ihm geneigten Journalisten bei seinen Teegesprächen. Beschauliche Zonen. Bonner Republik.

Die Zone, in der sich Politik und Medien in der Berliner Republik begegnen, nennt Lutz Hachmeister "Nervöse Zone", und wer wollte der polit-medialen Nervosität widersprechen nach sieben Jahren Regentschaft eines Medienkanzlers, "dem besten Kanzlerdarsteller in der deutschen Geschichte seit Bismarck", der am Ende "kaum noch Unterstützer in der journalistischen Sphäre" fand. Wer wollte widersprechen beim Zappen von einer Talkshow zur nächsten: dem "Fernsehtalk als einer Art politischer Dauerkonferenz" mit dem zeitgenössischen Typus des "Telepolitikers", der Fernsehauftritte der Arbeit in parlamentarischen Gremien vorzieht und der begleitet wird von einer neuen Klasse immer wiederkehrender Journalistenprominenz.

"Der Journalismus ist in den letzten Jahren", schreibt Lutz Hachmeister, "kindischer, selbstbezüglicher, verspielter und flatterhafter geworden." Damit dürfte der Journalismus auf den ersten Blick bestens zu dem bekannten Medienkanzler passen – doch ist der Journalismus, sind die Journalisten, die über Politik berichten, auch unberechenbarer geworden. Und dieses hat der Medienkanzler nicht auf seiner Agenda gehabt. Alte Parteisympathien gelten kaum mehr. Der "Spiegel" schreibt erst Angela Merkel als Kanzlerin herbei – und heute gerne schon wieder nieder.

Die gewohnten medialen Fronten haben sich aufgelöst. Verlief in der Bonner Republik der Schützengraben zwischen der alten "Hamburger Kumpanei" ("Spiegel", "stern", "Zeit"; assistiert von "Süddeutscher Zeitung" und der damals noch überregional bedeutenden "Frankfurter Rundschau") auf der einen, sowie Springer und "FAZ" auf der anderen Seite – so gelten Einstufungen nach "links" und "rechts" auch hier nicht mehr. In der "Frankfurter Allgemeinen" prägen Donaldisten den Stil, "Hörzu" präsentiert Lesbenpärchen und das Verlagshaus Springer hat sich allgemein entkannibalisiert.

Lutz Hachmeister ist vom Fach. Bevor er das "Institut für Medien- und Kommunikationspolitik" in Berlin gründete, hat er für den "Tagesspiegel", "Die Woche" und die "Süddeutsche" gearbeitet, war Direktor des Adolf-Grimme-Instituts in Marl, hat für den Film "Schleyer – eine deutsche Geschichte" 2004 den Grimme-Preis erhalten, über Hanns Martin Schleyer eine brillante Biographie geschrieben und den vorzüglichen Sammelband "Die Herren Journalisten" ("Die Elite der deutschen Presse nach 1945") herausgegeben.

Hachmeister vermag präzise und mit Spannung zu schreiben. Dass er leider auch anders kann, zeigt er in seinem Einleitungskapitel zur "Nervösen Zone", das mehr als ein Viertel des gesamten Buches umfasst, und von einem strengen Lektorat von allem überflüssigen Ballast sozialwissenschaftlich verquaster Sprache sowie überflüssigen medienhistorischen und -theoretischen Ausschweifungen hätte bereinigt werden sollen.

Umso lesenswerter die Kapitel, im denen es strukturiert und stringent um die nervöse Berliner Zone geht. Um den Medienkanzler Gerhard Schröder, das Prinzip Sabine Christiansen, das Politische Feuilleton des Frank Schirrmacher, den Bundespräsidenten als "Super Horst", die neuen Patrioten an der Medienfront.

Freilich möchte man heftigen Widerspruch anmelden bei Lutz Hachmeisters Fazit: "Der meinungsführende Journalismus hat sich in der Berliner Republik nach rechts bewegt, in die Richtung eines neokonservativen Zentrismus" – was auch zusammenhänge "mit dem fehlenden Bezugspunkt eines modernen linksliberalen Projekts in der zeitgenössischen Politik". Rechts/links gibt es doch nicht mehr ... Und zeigt nicht gerade die Union der Angela Merkel, die nun endlich auch gleichgeschlechtliche Lebensweisen als Lebensweisen anerkennt, wie viele einst linksliberale Ideen sie locker vereinnahmt, wenn es darum geht, einen schwulen CDU-Bürgermeister, einen schwulen potenziellen Koalitionspartner und viele, viele schwule Wähler zu integrieren?

"In welcher Gestalt der unabhängige Journalismus als Agent der Aufklärung … überhaupt kenntlich werden kann", ist Lutz Hachmeisters Abschlussfrage an uns Leser. Da können wir vielleicht ohne jede Nervosität antworten. Natürlich brauchen wir den journalistischen Aufklärungsagenten als Pfadfinder im Informationswirrwarr. Und die Politik, über die zu berichten ist, ist doch auch spannend genug. Für unsere Unterhaltung kriegen wir schließlich immer noch einiges geboten: von bayerischen Provinzialpotentaten mit ihren Latex-Landrätinnen bis zu Literaturnobelpreisträgern und ihrem Waffen-SS-Outing im höchsten Rentenalter samt anschließendem Zerwürfnis mit dem Medium des Outings.

Wir sind nur immer verwöhnter. Immer mehr Medienreize und Reizmedien strömen auf uns ein. Was wollen wir nach dem krachenden Zusammenbruch des Kommunismus und der anschließenden Wiedervereinigung, nach dem 11. September und all seinen weltpolitischen, auch deutschen militärischen Konsequenzen denn noch erleben, das wir so richtig spannend finden können? Nein, Politik war noch nie so spannend wie heute. Nur nicht nervös werden …

Rezensiert von Klaus Pokatzky

Lutz Hachmeister: Nervöse Zone. Politik und Journalismus in der Berliner Republik
Deutsche Verlagsanstalt, DVA 2007
288 Seiten, 16,95 Euro