Taktvolles Ende
Die Ruhrtriennale geht zu Ende und mit ihr die Saison der europäischen Sommerfestivals. Ihre Zahl ist enorm. Im Ausland stechen vor allem die Festivals im französischen Avignon, im britischen Edinburgh und im österreichischen Salzburg hervor.
Die Ruhrtriennale bekam einen neuen Intendanten: Willy Decker.
"Ich bin ein altgedienter, weit gereister Opernregisseur, der sein Herz jetzt bei der Ruhrtriennale gelassen hat. Ich bin als Musiktheaterregisseur hier angetreten. Der Schwerpunkt verschiebt sich mehr in Richtung Musiktheater. Es ist mir durchaus auch inhaltlich ein Anliegen, Musiktheater ein stückweit stärker in die Ruhrtriennale einzubringen, weil das klanglich Große des Musiktheaters ist hier in den Hallen gut aufgehoben und umgekehrt."
Decker stellte sich gleich zum Auftakt und programmatisch in den Mittelpunkt. Er inszenierte "Moses und Aron", eine Oper von Arnold Schönberg. Wer hoffte, Decker könne Opernskeptiker überzeugen und für diese Kunstform öffnen, wurde enttäuscht. Die Musik drängte sich ungebührlich in den Vordergrund, die Sänger konzentrierten sich auf den Gesang und vernachlässigten ihre Aufgaben als Darsteller. Schönberg beschränkte sich nicht auf die Partitur, er schrieb auch das Libretto, und das ist von des Gedankens Blässe angekränkelt. Schönberg war kein Dramatiker! Offenbar hat sich der Komponist mit Moses identifiziert - und die Kinder Israels, die einfachen Menschen, vom hohen Ross herab betrachtet - eine Perspektive, die der Regisseur teilte.
Das war die unangenehmste Erfahrung dieser aufwendigen Inszenierung, die die Bundeskulturstiftung mit sage und schreibe 700.000 Euro noch zusätzlich unterstützte: das Elitäre, Abgehobene. Und das im Ruhrgebiet, wo unter der Leitung von Jürgen Flimm bislang bei der Ruhrtriennale das Motto galt: Kultur für alle.
"Moses und Aron" blieb kein Einzelfall. Da konnte selbst eine geglückte Inszenierung wie Andrea Breths "Zerbrochener Krug" nichts mehr retten.
Auch das Edinburgh International Festival wird von einem Vertreter des Musik-Bereichs geleitet, von Jonathan Mills:
"Ich bin ein australischer Komponist", sagt Mills, "der von Zeit zu Zeit seinem Portefeuille professioneller Tätigkeiten die Rolle des Festivalleiters hinzugefügt hat."
Auch bei Mills dominieren Oper, Tanz und Konzert, aber er ließ wenigstens die Uraufführung, die er für das Schauspiel in Auftrag gegeben hatte, ohne Musiksoße: "The Last Witch" - "Die letzte Hexe" von Rona Munro. Der regelmäßig gebaute Fünfakter handelt von der Hexenverfolgung im Schottland des 18. Jahrhunderts. Die Aufführung war gelungen, das Stück kann nachgespielt werden. Auch wenn das International Festival an Anziehungskraft verloren hat, Edinburgh ist immer eine Reise wert wegen des Fringe Festivals, dem Festival der Freien Gruppen. Wer auf der Suche nach neuen englischsprachigen Stücken war, wurde fündig. Am Interessantesten wohl Mark Ravenhill, der sich gegen die Geschichtsvergessenheit der jungen Leute ebenso wendet wie gegen den Fatalismus, man könne nichts tun.
Edinburgh stand in diesem Jahr im Schatten von Avignon.
Fanfaren stimmen das Publikum festlich ein, wenn sich die Pforten der Spielstätten öffnen. Das große französische Festival am Unterlauf der Rhône hatte in diesem Jahr Wajdi Mouawad zum artiste associé berufen, ein Künstler, der die Festivaldirektoren bei der Auswahl des Programms berät und dessen Werk selbst einen Schwerpunkt bildet. Mouawad vollendete in Avignon eine Tetralogie. "Le sang des promesses" - "Blut der Versprechen" - eine universelle Geschichte des Aufbruchs junger Leute auf der Suche nach ihrer Identität. Die Premiere dauerte elf Stunden, von acht Uhr abends bis sieben Uhr morgens. Ein buchenswerter Abend, der Publikum und Kritik gleichermaßen begeisterte. Wajdi Mouawads Stücke sollten auch bei uns mehr gespielt werden.
Das Schauspiel in Salzburg konnte mit nichts dergleichen aufwarten, stattdessen zündete eine Rede von Daniel Kehlmann zum Auftakt. Der Autor griff das zügellose Regietheater an - worauf es im Blätterwald rauschte. Kehlmann wurde unqualifiziert abqualifiziert - er sei zu jung oder habe keine Ahnung, sei befangen, weil sein Vater Regisseur gewesen sei. Eine interessante Debatte, aber die Aufführungen blieben dahinter zurück.
Eine wirkliche Dekonstruktion gelang nur einem Dramatiker: Peter Handke hatte sich Samuel Becketts "Das letzte Band" vorgeknöpft und ein Gegenstück entworfen "Bis dass der Tag euch scheidet".
Handkes Echo auf Beckett ist geistreich, tiefschürfend, eine einfühlsame Kritik des absurden Theaters wie des damit einhergehenden Pessimismus. Denn Handkes Grundhaltung wirkt fröhlich, bei allem Respekt vor Beckett unbekümmert, unterhaltsam.
Das Verblüffendste ist, dass in diesem Jahr einem Viersternefestival gelang, die Fünfsternefestivals zumindest mit zwei Aufführungen zu überflügeln - und zwar den Ruhrfestspielen Recklinghausen. Frank Hoffmann, der Intendant in Recklinghausen, lud in diesem Jahr das Bridge-Project ein, zwei Inszenierungen von Sam Mendes. Mendes, wegen seiner Hollywood-Filme weltweit bekannt, inszenierte Tschechows "Kirschgarten" und Shakespeares "Wintermärchen" mit britischen und amerikanischen Schauspielern. Über alle Maßen gelang ihm das "Wintermärchen".
Der britische Meisterregisseur versetzte das Spiel ins 19. Jahrhundert und ließ die Palastsszenen in einem puritanischen England in engen Innenräumen spielen, die Volksszenen auf dem Lande, unter freiem Himmel, in Amerika. Überdies machten die Kostüme und das Spiel klar, wie groß die Unterschiede zwischen der Neuen und der Alten Welt sind, wie viele Missverständnisse unsere Kontinente trennen.
Gerade damit kann das Bridge Project natürlich Brücken bauen. Es war das ehrgeizigste, das gelungenste und das humorvollste Projekt der Sommerfestivals. Leider blieb es in Recklinghausen ein Solitär.
Dennoch erwies sich klar die Überlegenheit im Vergleich mit der Ruhrtriennale. Eine Kunst vom hohen Ross herab erreicht nie die Strahlkraft wie "Kultur für alle". Dieses demokratische, zeitgemäße Konzept bewirkte, dass der vom kleinen Recklinghausen ausgehende Schein den der hoch bezuschussten, über Nacht elitär gewordenen Ruhrtriennale hell überstrahlte.
"Ich bin ein altgedienter, weit gereister Opernregisseur, der sein Herz jetzt bei der Ruhrtriennale gelassen hat. Ich bin als Musiktheaterregisseur hier angetreten. Der Schwerpunkt verschiebt sich mehr in Richtung Musiktheater. Es ist mir durchaus auch inhaltlich ein Anliegen, Musiktheater ein stückweit stärker in die Ruhrtriennale einzubringen, weil das klanglich Große des Musiktheaters ist hier in den Hallen gut aufgehoben und umgekehrt."
Decker stellte sich gleich zum Auftakt und programmatisch in den Mittelpunkt. Er inszenierte "Moses und Aron", eine Oper von Arnold Schönberg. Wer hoffte, Decker könne Opernskeptiker überzeugen und für diese Kunstform öffnen, wurde enttäuscht. Die Musik drängte sich ungebührlich in den Vordergrund, die Sänger konzentrierten sich auf den Gesang und vernachlässigten ihre Aufgaben als Darsteller. Schönberg beschränkte sich nicht auf die Partitur, er schrieb auch das Libretto, und das ist von des Gedankens Blässe angekränkelt. Schönberg war kein Dramatiker! Offenbar hat sich der Komponist mit Moses identifiziert - und die Kinder Israels, die einfachen Menschen, vom hohen Ross herab betrachtet - eine Perspektive, die der Regisseur teilte.
Das war die unangenehmste Erfahrung dieser aufwendigen Inszenierung, die die Bundeskulturstiftung mit sage und schreibe 700.000 Euro noch zusätzlich unterstützte: das Elitäre, Abgehobene. Und das im Ruhrgebiet, wo unter der Leitung von Jürgen Flimm bislang bei der Ruhrtriennale das Motto galt: Kultur für alle.
"Moses und Aron" blieb kein Einzelfall. Da konnte selbst eine geglückte Inszenierung wie Andrea Breths "Zerbrochener Krug" nichts mehr retten.
Auch das Edinburgh International Festival wird von einem Vertreter des Musik-Bereichs geleitet, von Jonathan Mills:
"Ich bin ein australischer Komponist", sagt Mills, "der von Zeit zu Zeit seinem Portefeuille professioneller Tätigkeiten die Rolle des Festivalleiters hinzugefügt hat."
Auch bei Mills dominieren Oper, Tanz und Konzert, aber er ließ wenigstens die Uraufführung, die er für das Schauspiel in Auftrag gegeben hatte, ohne Musiksoße: "The Last Witch" - "Die letzte Hexe" von Rona Munro. Der regelmäßig gebaute Fünfakter handelt von der Hexenverfolgung im Schottland des 18. Jahrhunderts. Die Aufführung war gelungen, das Stück kann nachgespielt werden. Auch wenn das International Festival an Anziehungskraft verloren hat, Edinburgh ist immer eine Reise wert wegen des Fringe Festivals, dem Festival der Freien Gruppen. Wer auf der Suche nach neuen englischsprachigen Stücken war, wurde fündig. Am Interessantesten wohl Mark Ravenhill, der sich gegen die Geschichtsvergessenheit der jungen Leute ebenso wendet wie gegen den Fatalismus, man könne nichts tun.
Edinburgh stand in diesem Jahr im Schatten von Avignon.
Fanfaren stimmen das Publikum festlich ein, wenn sich die Pforten der Spielstätten öffnen. Das große französische Festival am Unterlauf der Rhône hatte in diesem Jahr Wajdi Mouawad zum artiste associé berufen, ein Künstler, der die Festivaldirektoren bei der Auswahl des Programms berät und dessen Werk selbst einen Schwerpunkt bildet. Mouawad vollendete in Avignon eine Tetralogie. "Le sang des promesses" - "Blut der Versprechen" - eine universelle Geschichte des Aufbruchs junger Leute auf der Suche nach ihrer Identität. Die Premiere dauerte elf Stunden, von acht Uhr abends bis sieben Uhr morgens. Ein buchenswerter Abend, der Publikum und Kritik gleichermaßen begeisterte. Wajdi Mouawads Stücke sollten auch bei uns mehr gespielt werden.
Das Schauspiel in Salzburg konnte mit nichts dergleichen aufwarten, stattdessen zündete eine Rede von Daniel Kehlmann zum Auftakt. Der Autor griff das zügellose Regietheater an - worauf es im Blätterwald rauschte. Kehlmann wurde unqualifiziert abqualifiziert - er sei zu jung oder habe keine Ahnung, sei befangen, weil sein Vater Regisseur gewesen sei. Eine interessante Debatte, aber die Aufführungen blieben dahinter zurück.
Eine wirkliche Dekonstruktion gelang nur einem Dramatiker: Peter Handke hatte sich Samuel Becketts "Das letzte Band" vorgeknöpft und ein Gegenstück entworfen "Bis dass der Tag euch scheidet".
Handkes Echo auf Beckett ist geistreich, tiefschürfend, eine einfühlsame Kritik des absurden Theaters wie des damit einhergehenden Pessimismus. Denn Handkes Grundhaltung wirkt fröhlich, bei allem Respekt vor Beckett unbekümmert, unterhaltsam.
Das Verblüffendste ist, dass in diesem Jahr einem Viersternefestival gelang, die Fünfsternefestivals zumindest mit zwei Aufführungen zu überflügeln - und zwar den Ruhrfestspielen Recklinghausen. Frank Hoffmann, der Intendant in Recklinghausen, lud in diesem Jahr das Bridge-Project ein, zwei Inszenierungen von Sam Mendes. Mendes, wegen seiner Hollywood-Filme weltweit bekannt, inszenierte Tschechows "Kirschgarten" und Shakespeares "Wintermärchen" mit britischen und amerikanischen Schauspielern. Über alle Maßen gelang ihm das "Wintermärchen".
Der britische Meisterregisseur versetzte das Spiel ins 19. Jahrhundert und ließ die Palastsszenen in einem puritanischen England in engen Innenräumen spielen, die Volksszenen auf dem Lande, unter freiem Himmel, in Amerika. Überdies machten die Kostüme und das Spiel klar, wie groß die Unterschiede zwischen der Neuen und der Alten Welt sind, wie viele Missverständnisse unsere Kontinente trennen.
Gerade damit kann das Bridge Project natürlich Brücken bauen. Es war das ehrgeizigste, das gelungenste und das humorvollste Projekt der Sommerfestivals. Leider blieb es in Recklinghausen ein Solitär.
Dennoch erwies sich klar die Überlegenheit im Vergleich mit der Ruhrtriennale. Eine Kunst vom hohen Ross herab erreicht nie die Strahlkraft wie "Kultur für alle". Dieses demokratische, zeitgemäße Konzept bewirkte, dass der vom kleinen Recklinghausen ausgehende Schein den der hoch bezuschussten, über Nacht elitär gewordenen Ruhrtriennale hell überstrahlte.