Taiwans Chip-Produzent TSMC

Systemrelevant für die Welt

24:53 Minuten
Eine Person mit Coronamaske läuft vor einem Firmengebäude von TSMC (Taiwan Semiconductor Manufacturing Company) in Hsinchu, Taiwan, entlang.
Großer Wirtschaftsfaktor: Fast 57.000 Taiwaner arbeiten für TSMC. © picture alliance / Zumapress.com / Walid Berrazeg
Von Carina Rother · 18.10.2021
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In Handys, Computern, Autos - Chips des taiwanischen Konzerns TSMC sind überall verbaut. Der Technologieführer produziert für viele Marken. Damit ist er in der Halbleiter-Krise systemrelevant für die Weltwirtschaft und Taiwans Sicherheit.
Chinas Militärmanöver in der Taiwanstraße erregten Anfang Oktober weltweites Aufsehen in den Nachrichtensendungen. Taiwan, der demokratische Inselstaat 200 Kilometer vor der chinesischen Südküste, macht immer dann Schlagzeilen, wenn Peking seinen Anspruch auf das selbstregierte Land mit Drohgebärden untermauert.

TSMC hat Marktanteil von 55 Prozent

Von alldem ist hier nichts zu spüren: Im Technologiepark der westtaiwanischen Stadt Hsinchu geht es heute ruhig zu. Breite, baumbepflanzte Alleen werden flankiert von riesigen Klötzen aus Glas und Stahl, den Fabrikationsanlagen von Taiwans Tech-Konzernen. Sieben gigantische Fabriken betreibt der Chiphersteller TSMC in Hsinchu, 14 sind es inselweit.
Eine Halbleiter-Fabrik im Technologiepark von TSMC in Hsinchu: graues Gebäude, neben der Straße, oben ist das Logo zu erkenn.
Riesige Klötze aus Glas und Stahl: eine Halbleiter-Fabrik im Technologiepark von TSMC in Hsinchu.© Carina Rother
Hier wird schon an der nächstkleineren Chipgeneration geforscht. Ein einzelner Halbleiterknoten ist inzwischen kaum größer als ein Atom. Denn - je mehr Schaltkreise pro Fläche, desto höher die Rechenleistung unserer Geräte.
"TSMC wird seinen Vorsprung mindestens bis 2027 behalten. Es gibt kaum echte Konkurrenz, nur Samsung und Intel. TSMC hat in der Auftragsfertigung einen Marktanteil von 55 Prozent, dreimal so groß wie die Nummer zwei, Samsung. Samsung und Intel müssen sich sehr anstrengen, um das aufzuholen."
Tony Huang ist Chefanalyst bei der taiwanischen Branchenzeitung "Digitimes". In einem schlichten Büro in Taipei kritzelt er die jüngsten Zahlen auf ein Blatt. Im August hat TSMC Chinas Tencent als wertvollstes asiatisches Unternehmen abgelöst. Sein Marktwert hat sich in den letzten zwei Jahren verdreifacht. Das Unternehmen profitiert von der dringlichen Nachfrage nach Chips angesichts globaler Engpässe. Huang weiß um die schwere Krise der Autoindustrie in Deutschland. Zuletzt prognostizierten Marktforscher den Autobauern weltweit einen Umsatzverlust von 210 Milliarden US-Dollar.
"Die Lieferengpässe werden mindestens bis in die zweite Hälfte von 2022 bestehen bleiben. Der Chipmangel in der Autoindustrie ist sehr schwerwiegend."
Corona sei ein Grund, sagt der langjährige Branchenkenner. Vor allem aber durch den unerwartet schnellen Zuwachs bei den E-Autos sei die Nachfrage explodiert. Elektrische Fahrzeuge bräuchten weit mehr Chips als Verbrennungsmotoren. Als Antwort auf die Krise wollen jetzt einige Länder die heimische Chipentwicklung ausbauen.

Die EU will eigenes "Chip-Ökosystem" aufbauen

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte im September Investitionen von 150 Milliarden Euro in Europas Technologiebranche an: "Das Ziel ist es, gemeinsam ein modernes europäisches Chip-Ökosystem aufzubauen, einschließlich der Produktion. Dadurch soll unsere Versorgung sichergestellt und neue Märkte für bahnbrechende europäische Technologien geschaffen werden."
Bis 2030 will Europa 20 Prozent des weltweiten Chipmarktes abdecken. 2020 war es gerade mal die Hälfte. Unwirtschaftlich, findet "Digitimes"-Journalist Tony Huang. Jahrzehntelange Investitionen in Fachkräfte und Brancheninfrastruktur mache die Halbleiterproduktion in Taiwan bis zu 50 Prozent billiger als im Ausland.
"Wenn die ganze Welt Halbleiterproduktionsstätten aufbauen wollte, dann wäre das nicht sehr lukrativ, und würde zu einer Doppelung und Verschwendung von Investitionskapital führen. Es gibt noch so viel anderes zu entwickeln. Erst das ist effektives Wirtschaften."

57.000 Taiwaner arbeiten für TSMC

Zurück im Technologiepark. Ein Shuttle-Bus fährt TSMC-Angestellte zwischen den Gebäuden hin und her. Aus den Lautsprechern an der Bushaltestelle kommt klassische Musik, einen TSMC-Kindergarten gibt es hier, und ein eigenes Fitnesscenter. Vor einem der Gebäude sitzt Herr Lin und macht Mittag.
Sein Gefühl zu TSMC: "Stolz! Die ganze Welt kennt den Chipfabrikanten. Und den Taiwanern hat er viele Arbeitsplätze gebracht."
Als Installateur hat der 39-Jährige oft in den TSMC-Gebäuden zu tun. Das Unternehmen ist ein großer Wirtschaftsfaktor in der Region. Fast 57.000 Taiwaner arbeiten für TSMC. Im vergangenen Jahr machte TSMCs Anteil an allen Unternehmenssteuern von Taiwan elf Prozent aus. Die Taiwaner bezeichnen den Konzern poetisch als Huguo Shenshan - "den Gottesberg, der über das Land wacht".
Bei dem Kosenamen geht es aber nicht nur um Wirtschaft, glaubt Herr Lin: "Vielleicht hat es auch mit China zu tun. Weil es TSMC gibt, halten sie sich eher zurück. Ich verstehe es so, dass für sie Taiwan vor allem wegen seiner Technologiebranche wertvoll ist."

TSMC ist das "Siliziumschild" gegen China

Die chinesische Wirtschaft ist wie der Rest der Welt auf die Chips aus Hsinchu angewiesen. Eine gewaltsame Übernahme Taiwans durch den großen Nachbarn könnte auch der chinesischen Industrie schaden, sagen Experten. TSMC wird daher auch als das "Siliziumschild" Taiwans gehandelt. Der amerikanische Ostasienforscher Thomas Shattuck erklärt die Theorie:
"TSMC ist als Unternehmen so wichtig für das Funktionieren der Gesellschaft, dass seine Bedeutung das Risiko einer Eskalation aufwiegt. Ein Konflikt, wie eine militärische Invasion Taiwans, könnte die Beschädigung TSMCs zur Folge haben. Eine Fabrikationsanlage könnte von einer Rakete getroffen werden, oder wie auch immer. Aber alle brauchen TSMC, und jeder hat ein Interesse daran, TSMC am Laufen zu halten. Dadurch entsteht das sogenannte Siliziumschild."
Die Chipkrise in der Automobilbranche lässt erahnen, was passieren würde, wenn die Produktionsbänder in Hsinchu stillstünden. Denn TSMC versorgt die größten Spieler in der Weltwirtschaft mit maßgeschneiderten Chips.
"Selbst für Apple ist es zu teuer, die Chips herzustellen, die es braucht. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie TSMC wirklich den Markt beherrscht und seine Sache so gut macht, dass alle großen Tech-Firmen für die Chipherstellung von ihm abhängig sind."
Thomas Shattuck beobachtet die Entwicklung als wissenschaftlicher Mitarbeiter am amerikanischen Foreign Policy Research Institute. Die USA hatten Chinas Tech-Riesen zuletzt den Zugang zu den begehrten Chips erschwert.

Wegen den USA liefert Taiwan nicht mehr nach China

Auflagen aus der Trump-Ära verbieten Herstellern wie TSMC, gleichzeitig mit amerikanischen Firmen und chinesischen Auftraggebern wie Huawei zusammenzuarbeiten.
"Ziel ist es, Chinas wirtschaftliche Entwicklung zu verlangsamen und eine weitere Verschmelzung von chinesischen Technologiefirmen und dem chinesischen Militär zu verhindern. Denn das könnte künftig die Leben amerikanischer Soldaten gefährden. Es geht darum, eine Entwicklung Chinas auf Kosten der USA zu unterbinden."
Menschen vor einer Werbetafel mit dem Huawei-Logo auf der PT Expo in Peking.
Der chinesische Konzern Huawei war der zweitgrößte Kunde von TSMC.© picture alliance / AP / Mark Schiefelbein
20 Prozent seines Geschäfts machte TSMC zuletzt in China. Amerikanische Auflagen zwangen das Unternehmen letztes Jahr schließlich, sich im Handelskrieg für eine Seite zu entscheiden.
"Das hatte Auswirkungen auf TSMC. Denn der chinesische Konzern Huawei war sein zweitgrößter Kunde. Als Trump diese Anordnungen machte, gingen TSMC de facto Millionen US-Dollar an Nettoprofiten verloren."
Aber die Gefahr, von seinen westlichen Kunden abgeschnitten zu werden, überwog. Laut Shattuck sei eine Lockerung der Auflagen unter Biden denkbar - der generelle Kurs China gegenüber bleibe aber bestehen. TSMC hat die Trennung vom Kunden Huawei jedenfalls nicht geschadet. Für die nächsten fünf Jahre prognostiziert der Konzern ein jährliches Umsatzwachstum von zehn bis fünfzehn Prozent.
Auf einer Investorenkonferenz Mitte Oktober spricht TSMC-Geschäftsführer C.C. Wei vom "steigenden Siliziumgehalt" in Endgeräten als größtem Wachstumstreiber.
"Wir treten in eine Phase strukturellen Wachstums ein. Der mehrjährige Megatrend von 5G und PC-Anwendungen wird voraussichtlich einen massiven Bedarf an Rechenleistung antreiben, für die zukunftsweisende Technologie von Nöten ist."
Der Firmenchef gab auch bekannt, dass die Firma eine Niederlassung in Japan plant. Eine TSMC-Fabrik im US-Bundesstaat Arizona ist seit Juni im Bau, ein weiteres Werk in Deutschland ist im Gespräch. Ostasienforscher Thomas Shattuck meint, die Werke signalisierten zwar Kooperationsbereitschaft bei der Verlagerung kritischer Technologien ins Ausland. Die fortschrittlichsten Chipmodelle und die größten Gewinne blieben aber weiter in Taiwan.
"Wenn eine Regierung TSMC Steuervergünstigungen oder ein billiges Gelände anbietet, dann nehmen sie das mit minimalen Investitionen wahr und bekommen dafür die guten Schlagzeilen: TSMC kommt her und schafft Arbeitsplätze! Aber die Fabriken, die sie bauen, sind ein Tropfen auf den heißen Stein im Vergleich zu der Produktion in Taiwan."

TSMC-Gründer kritisiert USA und China

Das Unternehmen selbst nimmt keine Stellung zu geopolitischen Fragen. Im Gegensatz zum pensionierten Gründer von TSMC, Morris Chang: "Der freie Handel beschleunigt den technologischen Fortschritt. Wenn man die Zeit zurückdrehen will, hat das nicht nur höhere Kosten zur Folge, sondern auch eine Verlangsamung der technologischen Entwicklung."
Das sagte der Ruheständler kürzlich auf einer Pressekonferenz im Präsidialamt. Namen nennen will er keine: "Die Länder, von denen ich rede, wissen schon, wer sie sind."
Er meint damit den amerikanischen Handelskrieg genauso wie Chinas Wirtschaftsprotektionismus. Und was er sagt, hat Gewicht. Der 90-jährige Gründervater des Halbleitergiganten ist in Taiwan allen ein Begriff.
TSMC-Gründer Morris Chang
Ist in Taiwan allen ein Begriff: Morris Chang, Gründer und ehemaliger Vorstandsvorsitzender von TSMC.© imago / ZUMA Wire / Walid Berrazeg
"Er ist sehr berühmt und ein Statussymbol für Hsinchu. Wir haben hier eine Redensart: Hsinchus Straßen sind so ebenmäßig gepflastert, weil Morris Chang auf ihnen zur Arbeit gegangen ist."
Phoebe ist Studentin in der 500.000-Einwohnerstadt, an der Eliteuniversität Tsing Hua. Sie ist auf dem Weg zum Unterricht im TSMC-Gebäude. Ein imposanter Universitätsbau, gestiftet von TSMC mit dem Ziel der Nachwuchsförderung. Der Tsing Hua-Campus liegt nur zehn Fahrminuten von den Chipfabriken entfernt. Für viele Studierende ein begehrter Arbeitsplatz.
"Mein Fachbereich ist eher in der Wirtschaft. Aber wenn es eine passende Stelle gibt, kann ich mir auch vorstellen, dort zu arbeiten."
Phoebes Uni ist bekannt für Exzellenz im Technologiebereich. Die Spezialisierung auf die Zukunftsbranche Hightech eröffnete Taiwan in den achtziger Jahren den Weg in den Wohlstand - Weg von den Fließbändern, an denen Taiwaner billige Elektrogeräte für den Westen zusammenschraubten.
"Ich bin sehr stolz und glücklich, dass heute alle wissen: Taiwan macht zwar immer noch Auftragsfertigung, aber es ist hochpräzise Hightech-Fertigung."

Chipgießerei war 1987 einzigartig auf der Welt

Zu verdanken ist es seiner Idee: Morris Chang, Doktor der Elektrotechnik, der nach einer Laufbahn im amerikanischen Tech-Sektor nach Taiwan ging und dort 1987 TSMC gründete. Seine Vision: Eine Fertigungsanlage, die sich ganz auf die Auftragsproduktion von Computerchips spezialisiert.
"Das Modell der Chipgießerei war damals einmalig auf der Welt. Das hatte den Vorteil, dass wir keine Konkurrenz hatten, und den Nachteil, dass wir keine Kunden hatten."
Auf dem Taipei Forum, einem Wirtschaftsgipfel im April 2021, erinnert sich der Gründer, wie er damals beim größten amerikanischen Chiphersteller Intel erfolglos um Investitionen warb. Heute hat TSMC Intel klar überholt - auf dem Markt und in der Entwicklung. Intel arbeitet noch am Sieben-Nanometer-Chip. TSMC ist zwei Generationen voraus und wird Mitte 2022 sein Drei-Nanometer-Modell auf den Markt bringen. Jeder vierte Chip weltweit stammt heute aus taiwanischer Produktion, freut sich der Gründer.
"Fast jeder Mensch verwendet im Alltag Halbleiterchips von TSMC. Ich muss Ihnen gestehen, ich verwende ein Hörgerät. Und ich habe festgestellt, dass auch das einen TSMC-Chip hat. Wie ich das festgestellt habe? Der Verkäufer bietet mir alle drei Jahre ein neues Modell an. Ich habe es oft gekauft, aber ehrlich gesagt, ein Unterschied ist nicht zu merken."

Chinas Halbleiterproduktion liegt fünf Jahre zurück

Dass Taiwans Halbleiter heute Weltspitze sind, haben sie amerikanischem Wissenstransfer und den strukturellen Anreizen der Regierung zu verdanken. Aber der große Nachbar will aufholen: China hat das Projekt "Made in China 2025" gestartet – das soll den Ausbau der heimischen Tech-Branche bewirken. 70 Prozent des eigenen Chipbedarfs will die Volksrepublik China bald selbst bedienen.
Unwahrscheinlich, meint Elektrotechniker Morris Chang: "Die Konkurrenz aus China liegt nach 20 Jahren und zig Milliarden US-Dollar an Subventionen in der Halbleiterproduktion immer noch über fünf Jahre hinter TSMC zurück. Im Halbleiterdesign liegt es ein, zwei Jahre hinter Taiwan und den USA. China ist noch kein Gegner."
Und der Rest der Welt? Der ist abhängig von der Chipfertigung in einer instabiler werdenden Weltregion. Amerikanische und europäische Bestrebungen, die heimische Chipproduktion auszubauen, sind verständlich - aber nicht immer realistisch. Der US-Forscher Thomas Shattuck erinnert daran, dass eine einzige Halbleiterfabrik 20 Milliarden US-Dollar kostet.
"Du kannst nicht einfach mit dem Finger schnipsen und eine Halbleiterfabrik bauen. Die Entwicklung dauert viele Jahre. Bis sich jemand entschließt, zig, wenn nicht hunderte, Milliarden Dollar einzusetzen, um mit TSMC zu konkurrieren, bestimmt TSMC für die nächsten zehn, zwanzig Jahre das Spiel."
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