Tagebücher

Tratsch aus Paris

Gerd Haffmans im Gespräch mit Susanne Führer · 15.11.2013
Klatsch vom Allerfeinsten, das sind die Tagebücher der Brüder Goncourt für den Verleger Gerd Haffmans: Tiefsinnig und oft drastisch berichten Edmond und Jules Goncourt von den Tafelrunden der Literaturszene in der Französischen Republik. Heute erscheint das 7000 Seiten umfassende "Journal" zum ersten Mal vollständig auf Deutsch.
Klatsch vom Allerfeinsten, das sind die Tagebücher der Brüder Goncourt für den Verleger Gerd Haffmans: Tiefsinnig und oft drastisch berichten Edmond und Jules Goncourt von den Tafelrunden der Literaturszene in der Französischen Republik. Heute erscheint das 7000 Seiten umfassende "Journal" zum ersten Mal vollständig auf Deutsch.
Susanne Führer: Wer boshaften Klatsch liebt und noch dazu die französische Literaturszene des 19. Jahrhunderts, kommt bei den Brüdern Goncourt voll auf seine oder ihre Kosten. Heute erscheinen die 7000 Seiten umfassenden Tagebücher zum ersten Mal vollständig auf Deutsch, und zwar im Haffmans-Verlag bei 2001. Guten Tag, Gert Haffmans!
Gert Haffmans: Guten Tag!
Führer: Was hat Sie zu diesem Wahnsinnsprojekt gebracht?
Haffmans: Na, die Liebe zur Literatur natürlich, und eine ganz besondere Liebe zu dieser Art Literatur. Ich habe ja schon mich mit Hilfe von Flaubert langsam herangerobbt. Ich habe die Briefe von Flaubert gebracht an Colet und übrigens dann auch den Briefwechsel Flauberts mit den Brüdern Goncourt. Und das wurde ergänzt schon durch Zitate aus den Tagebüchern, und das war jedes Mal so beglückend bösartig, genau, exakt, informativ, dass die Lust auf mehr entstand.
Führer: Man muss ja sagen, immer, wenn man mal etwas liest über einen französischen Schriftsteller aus dem 19. Jahrhundert fällt in diesem Artikel mindestens ein Zitat der Brüder Goncourt.
Haffmans: Ja, sie haben alles abgedeckt, sie haben jeden gekannt. Sie kannten Victor Hugo, sie kannten Baudelaire, den sie übrigens überhaupt nicht mochten. Sie kannten Flaubert sehr genau, sie waren mit ihm befreundet, haben aber ungemein gehässig über ihn geschrieben, über seine Eitelkeit, über seine vermeintliche Großmannssucht, dass er die Spießer beeindrucken wollte, aber im Grunde haben sie ihn geliebt und verehrt, wenn das dann hart auf hart kam. Und aber auch gerade diese Stimmungsschwankungen sind ja auch toll.
Führer: Man sollte noch mal sagen, diese Tagebücher umfassen – wie viele Jahre sind das jetzt – von 1851 bis '96 – 45 Jahre. Und diese Brüder sollten wir vielleicht kurz so ein bisschen vorstellen, die waren ja doch ein merkwürdiges Paar. Ich meine, wer schreibt schon gemeinsam ein Tagebuch?
Haffmans: Das ist wahr. Das ist eine merkwürdige Symbiose, vor allem, weil sie doch acht Jahre auseinander lagen. Ich zum Beispiel mit meinem Bruder fünf Jahre auseinander, und wir haben doch erhebliche Differenzen in allem.
Führer: Die hatten ja ein wirklich so symbiotisches Verhältnis. Die haben zusammen geschrieben, die haben zusammen gelebt, die haben sich die Geliebte geteilt …
"Schluss mit dieser Plackerei, wir leben jetzt für die Kunst"
Haffmans: Ja, die Hebamme Maria haben sie sich geteilt. Nun hatten sie das Glück, dass sie einen sehr reichen Vater und schon einen reichen Großvater hatten, und der Vater ist relativ jung gestorben und dann hat die Mutter die Erziehung weiter übernommen, ist mit Ihnen auch in die Stadt gezogen, nach Paris. Und als die Mutter starb, studiert Edmond so ein bisschen herum und war in der Kanzlei von einem Rechtsanwalt. Und der Jüngere, Jules, war gerade mit der Schule fertig. Und da haben die beschlossen, so, Schluss mit dieser Plackerei, wir leben jetzt für die Kunst, für die Literatur, für Kunst. Und sie haben Kunst gesammelt, sie haben japanische Kunst gesammelt.
Führer: Sie haben Romane geschrieben …
Haffmans: Dann haben sie Romane geschrieben, dann haben sie Historisches geschrieben über die Frau im vorigen Jahrhundert. Sie liebten eigentlich die ganze Rokoko-Zeit, sie liebten die Zeit vor dem ersten Kaiserreich. Und sie liebten die galante Zeit, sie waren Kunstsammler und Autoren und Beobachter. Und eben auch, was sie aber damals noch nicht wissen konnten, sie haben ihr Tagebuch begonnen am 2. Januar 1851, das war der Staatsstreich Napoleons, des nachmaligen Napoleons III.
Führer: Vom Präsidenten zum Kaiser.
Haffmans: Genau. Der sich dann selbst zum Kaiser ernannt hat. Er war eigentlich ein Neffe von Napoleon I. und hat das zweite Kaiserreich – und immerhin, wie Paris heute aussieht, verdankt man ihm und seinem Baron Haussmann.
Führer: Aber kommen wir noch mal zurück zu den Tagebüchern, Herr Haffmans. Die beiden haben ja selbst geschrieben, das Tagebuch ist unsere allabendliche Beichte. Das stimmt ja nicht so ganz, weil sie ja im Grunde genommen hauptsächlich die Sünden der anderen beichten. Nun kannten sie zwar alle großen Namen, Sie haben einige genannt, Flaubert, Emile Zola, Heinrich Heine auch, aber ist das nicht eigentlich alles Klatsch, noch dazu boshafter Klatsch, den die beiden da notieren?
"Das Buch ist von einem nicht auszulesenden Reichtum"
Haffmans: Ja, der bleibt natürlich besser hängen, der boshafte Klatsch. Aber sie haben auch liebevoll und ernsthaft geschrieben. Das Buch ist von einem nicht auszulesenden Reichtum. Das möchte ich an dieser Stelle noch mal betonen. Wir versuchen hier in zehn Minuten 45 Jahre und 7000 Seiten so hereinzupressen, damit andere darauf eine ungefähre Ahnung haben, was sich da abspielt. Es ist auch Klatsch, es ist auch Boshaftigkeit, es ist aber auch sehr viel Liebevolles, auch über Flaubert, auch über zum Beispiel Daudet, mit dem Edmond nachher sehr befreundet war. Es sind erschütternde Szenen, zum Beispiel, wie er den Tod seines Bruders beschreibt. Das ist fast unmenschlich. Wie kann man so mitfühlend, so genau sein und gleichzeitig so akribisch, klinisch fast aufschreiben?
Führer: Man muss auch sagen, sie sind ja auch für Aphorismen gut, ich zitiere mal eins: „Die meisten Einfälle kommen einem beim Dessert. Der Geist entsteht aus der Scheiße, die sich zu bilden beginnt.“ Auch nicht schlecht.
Haffmans: Ja, sie waren in diesen Dingen von ungeheurer Drastik. Zum Beispiel die Gespräche im Magny, dem Restaurant, wo sich die Geistesgranden Frankreichs zu der Zeit – Renan, Hypolite Taine, als Gast kam Turgenjew dazu – die waren von äußerster Ungeniertheit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich Theodor Storm und Fontane und Möricke derart drastisch, rücksichtslos auch gerade über sexuelle Dinge, über exkrementale Dinge geäußert hätten.
Und die haben eben noch die Unverschämtheit besessen, dass alles aufzuschreiben, was man ja eigentlich nicht macht, was man im vertrauten Kreis mit viel Alkoholikakonsum von sich gibt, sollte in dem Kreis bleiben. Aber für uns und die Nachwelt ist das natürlich wunderbar, es ist geradezu ein WikiLeaks der Zeit.
Führer: Gemischt mit „Gala“ ein bisschen.
Haffmans: Mit allem. Es ist auch schmierig, es ist auch bösartig, aber es ist weiß Gott nicht nur das. Sie sind sehr analytisch, was zum Beispiel die Qualitäten Zolas angeht. Sie sind sehr gut in ihrem Urteil über zeitgenössische Kunst. Sie sind elitär, weil sie eben auch unabhängig waren. Trotzdem waren sie genau wie jeder andere, zitterten jedem Erfolg entgegen. Ein Misserfolg beim Theater, das war eine Katastrophe. Sie sind auch sehr menschlich dabei.
Führer: Heute erscheint erstmals das „Journal“, das Tagebuch der Brüder Edmond und Jules de Goncourt in vollständiger deutscher Übersetzung. Darüber rede ich im Deutschlandradio Kultur mit dem Verleger Gerd Haffmans. Herr Haffmans, ich meine, jetzt haben Sie nur gelobt. Man muss ja auch sagen, so richtig sympathisch sind einem die Brüder ja doch nicht immer. Also, sie respektierten die Frauen nicht, von der Demokratie haben sie nichts gehalten, und Antisemiten waren sie auch. Das kann nicht nur Spaß gemacht haben, das zu verlegen.
"Sie waren keine Demokraten, aber sie waren nicht autoritätshörig"
Haffmans: Nein, das sag ich ja auch gar nicht. Aber sie sind eine unglaubliche Quelle überhaupt, um an Informationen zu kommen, die man sonst einfach gar nicht hätte. Gerade das ganze Alltagsleben, es geht ja auch um Speisefolgen, was hat man angezogen, wie hat man gewohnt? Wie war eine Menüfolge, zum Beispiel das berühmte zur Errichtung des Flaubert-Denkmals. Es ist alles bis in kleinste Einzelheiten beschrieben.
Zum Antisemitismus. Sie haben Heinrich Heine geliebt. Man muss dazu sagen – noch mal zuerst: Man soll es nicht leugnen, ja, das waren sie. Aber das war doch eine vor-Hitler'sche Unschuld, muss man sagen. Sie haben zum Beispiel nicht an die Schuld des Hauptmanns Dreyfus geglaubt. Sie wussten, dass das ein Politskandal war. Ja, sie waren keine Demokraten, aber sie waren weiß Gott nicht autoritätshörig und schon gar nicht kirchengläubig. Und sie haben mit dem Religionsverständnis doch sehr gehadert und sich davon unabhängig gewusst. Und sie waren einfach kritische Freigeister, ohne sich jetzt zu irgendetwas zu bekennen. Sie haben eigentlich die Liberalen genauso bekämpft wie die Royalisten, die ganzen Napoleaner, die Bonapartisten waren ihnen auch zuwider. Zum Beispiel eine sehr schöne Beschreibung, als dieser Staatsstreich vonstatten ging, haben sie gesagt, na ja, immerhin, ein Gutes hat das, wir werden jetzt von Lebemännern regiert, sie haben wenigstens Laster.
Führer: Ich finde ja eine sehr schöne Idee von Ihnen, Herr Haffmans, dass Sie demnächst auf Lesereise gehen, also um aus diesen Tagebüchern zu lesen, und zwar gemeinsam mit Ihrem Bruder, Peter Haffmans, von dem Sie fünf Jahre trennen, wie Sie sagen. Was lesen Sie da, haben Sie vielleicht eine Lieblingspassage für uns?
Haffmans: Wir wollen natürlich versuchen, so einen Überblick zu schaffen und versuchen, etwas von der Beschreibungskunst rüberzubringen. Zum Beispiel, sie sind eingeladen bei der Prinzessin Mathilde. Mathilde ist eine Nichte Napoleons III. Sie ist die Tochter von Jerome von Westfalen, der - der Bruder Napoleons I. - mal das Königreich Westfalen regiert hat und sehr viel übrigens für die Kultur getan hat. Und sie hatte praktisch, sie war bei den Bonapartisten für die Kultur zuständig und hatte einen offenen Salon, wo sie viele Literaten, Künstler empfing. Und da waren sie zum ersten Mal eingeladen, als gleichzeitig Napoleon III. auftauchte. Und hier, gegenüber, ist eine Gruppe von mit Orden und Bändern gespickten Männern, vor denen eine monströse Visage steht, das dümmste, das gemeinste und grauenhafteste Lurchengesicht – blutunterlaufene Augen, Schlupflider, ein Sabbermund, und wie der Schlitz einer Sparkasse, eine Art Satyr des Goldes, Baron Rothschild.
Führer: Der Verleger Gert Haffmans las uns eine Passage aus dem „Journal“ von Edmond und Jules de Goncourt. Heute erscheinen diese Tagebücher zum ersten Mal vollständig auf Deutsch, und zwar im Haffmans-Verlag bei 2001. Elf Bände, dazu ein Beibuch, für nur 250 Euro. Und ich danke Ihnen sehr herzlich fürs Gespräch.
Haffmans: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.