Tagebuchnotizen eines Todgeweihten voller Lebensmut
Das Online-Tagebuch des 36-jährigen Ivan Noble gilt als eins der meist gelesenen und ist nun in Buchform erschienen. Darin schildert der im Januar 2005 verstorbene BBC-Wissenschaftsjournalist sein Leben, seine Ängste und seinen Überlebenskampf nach der Diagnose Hirntumor.
"Gutartige Hirntumore gibt es nicht und selbst wenn es sie gäbe, Ihrer wäre keiner", lautet im August 2002 die vernichtende Diagnose eines Arztes in der örtlichen Klinik, in die Noble mit höllisch starken Kopfschmerzen von seinem Hausarzt überwiesen wurde. Es ist eine Diagnose, die alles verändert. Nichts, aber auch wirklich gar nichts mehr ist wie vorher. Wie auch: Noble leidet unter einem besonders bösartigen Krebs. Heilbar ist er nicht. Alles, was die Ärzte versuchen können, ist, den Hirntumor unter Kontrolle zu bringen; ihn zumindest zeitweise zum Stoppen zu bringen.
Der damals 36-jährige BBC-Wissenschaftsjournalist, der gerade Vater geworden ist und in seiner Freundin die Frau fürs Leben gefunden hat, wird mitten aus dem Leben gerissen. Aber er beschließt zweierlei: Erstens zu kämpfen und zweitens über sein Leben mit der Krankheit, über seine Behandlung und über seine Angst zu schreiben. Letzteres aus rein egoistischen Gründen, wie er später sagt.
Schon einen Monat nach Diagnoseeröffnung, im September 2002, erscheint seine erste Internet-Tagebuchnotiz auf der Webseite von BBC News. Sie beginnt mit den Worten: "Mein Leben und das meiner Familie ist gerade völlig auf den Kopf gestellt worden." Das hört sich zunächst fast schon lakonisch an, nach Nebensächlichkeit, und zeugt gleichzeitig von bestem schwarzen Humor. Ein Humor, den sich Noble stets versucht zu erhalten und der sich wie ein roter Faden durch seine beeindruckenden Tagebuchnotizen, wie auch durch den Titel des Buches selbst, zieht: "Ich wünsche mir eine weitere Hirnoperation so sehr wie ein Loch im Kopf."
Dabei wird nicht nur seine Familie auf den Kopf gestellt, sondern vor allem er selbst. In den kommenden zweieinhalb Jahren wird Noble bestrahlt, mit Chemotherapie behandelt und zwei Mal operiert. In den schlimmsten Zeiten muss er um jeden Tag, um jede Woche Lebenszeit bangen. Die Angst ist sein ständiger Begleiter; sie lähmt, schnürt den Hals zu und lässt ihn in hektischen, planlosen Aktionismus ausbrechen.
Dann wieder gibt es Momente der Hoffnung und des Glücks: Etwa dann, wenn er in Remission ist und die Ärzte den Tumor im Griff zu haben scheinen. Wenn er Pläne schmiedet und die Entwicklung seiner kleinen Tochter und die Geburt seines Sohnes begleiten kann. Wenn er auf Reisen geht und Freunde trifft.
Trotzdem: Es ist ein Leben im Ausnahmezustand. Schließlich geht es ums reine Überleben, um nichts weniger. Der Krebs ist allgegenwärtig. Jeder Gedanke, jede Handlung, jeder noch so kleine Handgriff wird von dem Wissen um ihn begleitet. Das hört sich grausam an, nach schrecklichem Leid, von dem man nichts hören und schon gar nicht lesen will.
Doch Noble gelingt es zu faszinieren: Ohne viel Pathos und trotzdem mitreißend zieht er seine Leserinnen und Leser immer tiefer hinein in seine Geschichte, in sein Leben. Man bangt mit ihm, weint mit ihm, freut sich mit ihm. Egal ob er Anekdoten über seine Familie und seine Freunde schreibt, von seiner Computer- und Handyleidenschaft berichtet oder den Frust schildert, wenn die Haare ausfallen und die Medikamente seinen Leib aufschwemmen. Man ist immer nah an ihm dran. Fühlbar.
Wohl deshalb gehört sein Online-Tagebuch - das jetzt in Buchform vorliegt - zu den meistgelesenen Büchern im Internet. Das besondere daran ist: Seine Eintragungen sind von Anfang an auf Interaktivität ausgelegt. Anders als bei den Kolumnen von Ruth Piccardie ("The Observer") und John Diamond ("The Times"), die ebenfalls über ihre Krankheit schrieben, sucht Noble den Kontakt zu seinen Lesern.
Hunderttausende klicken sich auf die Seite und schreiben eigene E-Mails. Sie danken Noble für seine Offenheit, die ihnen dabei hilft, mit ihren eigenen Ängsten besser zurechtzukommen. Andere wiederum schicken ihm einfach nur ihre besten Wünsche, machen ihm Mut. Viele erzählen von ihrem eigenen Schicksal oder dem ihrer Verwandten.
Geschichten rund um seine eigene Geschichte entstehen so, etwa die von dem Arzt, der hofft, durch Nobles Schilderungen, ein besserer Arzt zu werden und lernen will, seinen Patienten bei Diagnoseeröffnung in die Augen zu schauen und besser zu zuhören. Oder die von der Ehefrau, die ihren Ehemann, der auch an Krebs litt, erst durch das Lesen des Tagebuches besser verstanden hat und heute aktiv in der Krebsselbsthilfe arbeitet.
Es ist genau diese Kombination, die dieses Internet-Tagebuch so spannend macht, so lesenswert. Denn es zeigt: Krebs kann jeden treffen, morgen schon. Noble ist nur einer von vielen. Ohne erkennbaren Grund, ohne eigenes Verschulden hat es ihn getroffen. Er hat einfach Pech gehabt, "dass ein Klumpen von Zellen sich geirrt haben und nicht mehr wissen, wie man aufhört zu wachsen".
Um so mehr gilt es, im hier und heute zu leben und trotz Angst und Verzweiflung nie die Dinge aus den Augen zu verlieren, die wirklich wichtig sind: Die Liebe, Freunde, Kinder und all die kleinen Dinge, die einen zum Lachen bringen. Nichts anderes lehrt uns Noble. Und obwohl er den Kampf gegen den Krebs im Januar 2005 verloren hat, macht sein Buch trotzdem Mut. Lebensmut.
Ivan Noble: Wie ein Loch im Kopf - Mein Tumortagebuch
Übersetzt von Juliane Gräbener-Müller
Kabel/ Piper Verlag 2006
192 Seiten. 16,90 Euro.
Der damals 36-jährige BBC-Wissenschaftsjournalist, der gerade Vater geworden ist und in seiner Freundin die Frau fürs Leben gefunden hat, wird mitten aus dem Leben gerissen. Aber er beschließt zweierlei: Erstens zu kämpfen und zweitens über sein Leben mit der Krankheit, über seine Behandlung und über seine Angst zu schreiben. Letzteres aus rein egoistischen Gründen, wie er später sagt.
Schon einen Monat nach Diagnoseeröffnung, im September 2002, erscheint seine erste Internet-Tagebuchnotiz auf der Webseite von BBC News. Sie beginnt mit den Worten: "Mein Leben und das meiner Familie ist gerade völlig auf den Kopf gestellt worden." Das hört sich zunächst fast schon lakonisch an, nach Nebensächlichkeit, und zeugt gleichzeitig von bestem schwarzen Humor. Ein Humor, den sich Noble stets versucht zu erhalten und der sich wie ein roter Faden durch seine beeindruckenden Tagebuchnotizen, wie auch durch den Titel des Buches selbst, zieht: "Ich wünsche mir eine weitere Hirnoperation so sehr wie ein Loch im Kopf."
Dabei wird nicht nur seine Familie auf den Kopf gestellt, sondern vor allem er selbst. In den kommenden zweieinhalb Jahren wird Noble bestrahlt, mit Chemotherapie behandelt und zwei Mal operiert. In den schlimmsten Zeiten muss er um jeden Tag, um jede Woche Lebenszeit bangen. Die Angst ist sein ständiger Begleiter; sie lähmt, schnürt den Hals zu und lässt ihn in hektischen, planlosen Aktionismus ausbrechen.
Dann wieder gibt es Momente der Hoffnung und des Glücks: Etwa dann, wenn er in Remission ist und die Ärzte den Tumor im Griff zu haben scheinen. Wenn er Pläne schmiedet und die Entwicklung seiner kleinen Tochter und die Geburt seines Sohnes begleiten kann. Wenn er auf Reisen geht und Freunde trifft.
Trotzdem: Es ist ein Leben im Ausnahmezustand. Schließlich geht es ums reine Überleben, um nichts weniger. Der Krebs ist allgegenwärtig. Jeder Gedanke, jede Handlung, jeder noch so kleine Handgriff wird von dem Wissen um ihn begleitet. Das hört sich grausam an, nach schrecklichem Leid, von dem man nichts hören und schon gar nicht lesen will.
Doch Noble gelingt es zu faszinieren: Ohne viel Pathos und trotzdem mitreißend zieht er seine Leserinnen und Leser immer tiefer hinein in seine Geschichte, in sein Leben. Man bangt mit ihm, weint mit ihm, freut sich mit ihm. Egal ob er Anekdoten über seine Familie und seine Freunde schreibt, von seiner Computer- und Handyleidenschaft berichtet oder den Frust schildert, wenn die Haare ausfallen und die Medikamente seinen Leib aufschwemmen. Man ist immer nah an ihm dran. Fühlbar.
Wohl deshalb gehört sein Online-Tagebuch - das jetzt in Buchform vorliegt - zu den meistgelesenen Büchern im Internet. Das besondere daran ist: Seine Eintragungen sind von Anfang an auf Interaktivität ausgelegt. Anders als bei den Kolumnen von Ruth Piccardie ("The Observer") und John Diamond ("The Times"), die ebenfalls über ihre Krankheit schrieben, sucht Noble den Kontakt zu seinen Lesern.
Hunderttausende klicken sich auf die Seite und schreiben eigene E-Mails. Sie danken Noble für seine Offenheit, die ihnen dabei hilft, mit ihren eigenen Ängsten besser zurechtzukommen. Andere wiederum schicken ihm einfach nur ihre besten Wünsche, machen ihm Mut. Viele erzählen von ihrem eigenen Schicksal oder dem ihrer Verwandten.
Geschichten rund um seine eigene Geschichte entstehen so, etwa die von dem Arzt, der hofft, durch Nobles Schilderungen, ein besserer Arzt zu werden und lernen will, seinen Patienten bei Diagnoseeröffnung in die Augen zu schauen und besser zu zuhören. Oder die von der Ehefrau, die ihren Ehemann, der auch an Krebs litt, erst durch das Lesen des Tagebuches besser verstanden hat und heute aktiv in der Krebsselbsthilfe arbeitet.
Es ist genau diese Kombination, die dieses Internet-Tagebuch so spannend macht, so lesenswert. Denn es zeigt: Krebs kann jeden treffen, morgen schon. Noble ist nur einer von vielen. Ohne erkennbaren Grund, ohne eigenes Verschulden hat es ihn getroffen. Er hat einfach Pech gehabt, "dass ein Klumpen von Zellen sich geirrt haben und nicht mehr wissen, wie man aufhört zu wachsen".
Um so mehr gilt es, im hier und heute zu leben und trotz Angst und Verzweiflung nie die Dinge aus den Augen zu verlieren, die wirklich wichtig sind: Die Liebe, Freunde, Kinder und all die kleinen Dinge, die einen zum Lachen bringen. Nichts anderes lehrt uns Noble. Und obwohl er den Kampf gegen den Krebs im Januar 2005 verloren hat, macht sein Buch trotzdem Mut. Lebensmut.
Ivan Noble: Wie ein Loch im Kopf - Mein Tumortagebuch
Übersetzt von Juliane Gräbener-Müller
Kabel/ Piper Verlag 2006
192 Seiten. 16,90 Euro.