Tagebuch aus dem modernen Gulag
Ende der 90er Jahre versenkt die russische Armee atomaren Abfall im Japanischen Meer. Der Militärjournalist Grigori Pasko deckt diesen Umweltskandal auf und wird deshalb wegen Spionage und Landsverrat verhaftet. Für Pasko beginnt eine Odyssee durch Straflager und Gefängnisse. Nun sind seine Tagebuchnotizen aus der Haft auf Deutsch erschienen.
„Als ich in einem (…) speziell für den Gefangenentransport umgerüsteten Eisenbahnwaggon in das Arbeitslager verfrachtet wurde, wusste ich noch nicht, dass es sich um das beste im gesamten Strafvollzugssystem der Region Fernost handeln sollte. Wobei ‚das beste’ in diesem Falle bedeutet: die röteste aller roten Zonen. Und ‚rot’ wiederum meint: Zahlreiche Häftlinge übernehmen die Funktion von Aufsehern, Denunziationen sind an der Tagesordnung, der alte Verhaltens- und Ehrenkodex der kriminellen Welt ist faktisch außer Kraft…“
Als Grigori Pasko am 10. Dezember 2002 in die „Rote Zone“ am Rande der Ussuri-Taiga einzog, hatte er 21 Monate Untersuchungshaft in Wladiwostok hinter sich, anschließend einen mehrmonatigen Prozess vor einem Militärgericht, das ihn 1999 zu drei Jahren Gefängnis verurteilte, eine Amnestie durch Präsident Boris Jelzin, eine Neuauflage seines Prozesses, die unehrenhafte Entlassung aus dem Flottendienst und die Verurteilung zu vier Jahren Arbeitslager der strengsten Kategorie, worauf er wiederum ein Jahr lang im Gefängnis von Wladiwostok zu warten hatte, davon sieben Monate in Isolierhaft.
„Nach dem Aufwachen die Lider zu heben, kostet bereits Mut, denn jeder Tag bedeutet Kampf: mit der Umgebung und mit sich selbst.“
Wer ist dieser Pasko, erinnert sich heute in Russland überhaupt noch jemand an ihn? Welcher Verbrechen hat er sich schuldig gemacht?
Grigori Pasko, geboren 1962 in der Ukraine, Militärjournalist seit 1983, hat getan, was jedem Journalisten zur Ehre gereicht. Er hat Missstände aufgedeckt und der Öffentlichkeit bekannt gemacht. Nur war diese Öffentlichkeit in Russland nicht zu finden. Also wandte er sich an eine Presseagentur und eine Zeitung im fernöstlichen Nachbarland Japan. Das aber heißt auf Russisch „Spionage“ und „Landesverrat“, zumal es sich um einen ungeheuerlichen Umweltskandal handelte: Russische Soldaten der Pazifikflotte versenken Atommüll im fischreichen Japanischen Meer. Pasko macht heimlich Filmaufnahmen. Die Millionen, die Japan für eine korrekte Entsorgung gezahlt hat, so findet er heraus, verschwinden in den Taschen hoher Offiziere.
Ins Visier des russischen Geheimdienstes war Pasko jedoch schon früher geraten. In seinem Gefängnistagebuch schreibt er:
„Betrachte ich mich kritisch, entdecke ich eine Menge Beweise dafür, dass ich vor dem friedlichen Leben davongelaufen bin wie von Furien gehetzt. Ich habe auf des Messers Schneide balanciert... (...) Heute sage ich mir: Ich hätte aufhören, das Schicksal nicht herausfordern sollen. Aber wäre ich dann noch ich selbst gewesen? (...) Und was weiter? Weiter muss ich offenbar erst einmal leben.“
Und schreiben! Als sei der Gefängnisaufenthalt eine Dienstreise! Anfangs macht Grigori Pasko täglich Tagebuchnotizen, in einer Gemeinschaftszelle mit 22 Gefangenen auf 15 Quadratmetern und sechs Pritschen, wo in Schichten geschlafen wird und rund um die Uhr gnadenloser Lärm herrscht. Dazu Schmutz, Kälte, Hunger, Durst, Verwahrlosung, wie Dostojewski es nicht besser hätte schildern können. Besuchsverbot, Willkür bei den Verhören, Postkontrolle wie in Stalins Gefängnissen. Später sind es einzelne Episoden, die er festhält. Reflexionen, Gedächtnisübungen.
In der „Roten Zone“ dann 135 Tage absolutes Schreibverbot. Der letzte Teil seiner Erinnerungen wird erst entstehen, nachdem eine couragierte Zivilrichterin es auf Antrag der Verteidigung gewagt hatte, Paskos eineinhalb Jahre Reststrafe zur Bewährung auszusetzen. Grigori Pasko arbeitet wieder als Journalist und gibt ein Umweltschutzmagazin heraus. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, so teilt der Wallstein Verlag mit, wird sich demnächst mit seiner Klage gegen die Justizorgane der Russischen Föderation befassen.
Das Gefängnistagebuch „Die Rote Zone“ wird keiner, der es in die Hand nimmt, wieder weglegen, ehe auch die letzte Seite gelesen ist. „Ein Stück dokumentarischer Literatur“ nennt es Thomas Roth. Das Buch ist bisher nur in deutscher Übersetzung erschienen. In Russland fand es keinen Verleger.
Rezensiert von Karin Schorsch
Grigori Pasko: Die Rote Zone. Ein Gefängnistagebuch
Übersetzt von Hannelore Umbreit
Wallstein Verlag 2006
368 Seiten, 24,90 Euro
Als Grigori Pasko am 10. Dezember 2002 in die „Rote Zone“ am Rande der Ussuri-Taiga einzog, hatte er 21 Monate Untersuchungshaft in Wladiwostok hinter sich, anschließend einen mehrmonatigen Prozess vor einem Militärgericht, das ihn 1999 zu drei Jahren Gefängnis verurteilte, eine Amnestie durch Präsident Boris Jelzin, eine Neuauflage seines Prozesses, die unehrenhafte Entlassung aus dem Flottendienst und die Verurteilung zu vier Jahren Arbeitslager der strengsten Kategorie, worauf er wiederum ein Jahr lang im Gefängnis von Wladiwostok zu warten hatte, davon sieben Monate in Isolierhaft.
„Nach dem Aufwachen die Lider zu heben, kostet bereits Mut, denn jeder Tag bedeutet Kampf: mit der Umgebung und mit sich selbst.“
Wer ist dieser Pasko, erinnert sich heute in Russland überhaupt noch jemand an ihn? Welcher Verbrechen hat er sich schuldig gemacht?
Grigori Pasko, geboren 1962 in der Ukraine, Militärjournalist seit 1983, hat getan, was jedem Journalisten zur Ehre gereicht. Er hat Missstände aufgedeckt und der Öffentlichkeit bekannt gemacht. Nur war diese Öffentlichkeit in Russland nicht zu finden. Also wandte er sich an eine Presseagentur und eine Zeitung im fernöstlichen Nachbarland Japan. Das aber heißt auf Russisch „Spionage“ und „Landesverrat“, zumal es sich um einen ungeheuerlichen Umweltskandal handelte: Russische Soldaten der Pazifikflotte versenken Atommüll im fischreichen Japanischen Meer. Pasko macht heimlich Filmaufnahmen. Die Millionen, die Japan für eine korrekte Entsorgung gezahlt hat, so findet er heraus, verschwinden in den Taschen hoher Offiziere.
Ins Visier des russischen Geheimdienstes war Pasko jedoch schon früher geraten. In seinem Gefängnistagebuch schreibt er:
„Betrachte ich mich kritisch, entdecke ich eine Menge Beweise dafür, dass ich vor dem friedlichen Leben davongelaufen bin wie von Furien gehetzt. Ich habe auf des Messers Schneide balanciert... (...) Heute sage ich mir: Ich hätte aufhören, das Schicksal nicht herausfordern sollen. Aber wäre ich dann noch ich selbst gewesen? (...) Und was weiter? Weiter muss ich offenbar erst einmal leben.“
Und schreiben! Als sei der Gefängnisaufenthalt eine Dienstreise! Anfangs macht Grigori Pasko täglich Tagebuchnotizen, in einer Gemeinschaftszelle mit 22 Gefangenen auf 15 Quadratmetern und sechs Pritschen, wo in Schichten geschlafen wird und rund um die Uhr gnadenloser Lärm herrscht. Dazu Schmutz, Kälte, Hunger, Durst, Verwahrlosung, wie Dostojewski es nicht besser hätte schildern können. Besuchsverbot, Willkür bei den Verhören, Postkontrolle wie in Stalins Gefängnissen. Später sind es einzelne Episoden, die er festhält. Reflexionen, Gedächtnisübungen.
In der „Roten Zone“ dann 135 Tage absolutes Schreibverbot. Der letzte Teil seiner Erinnerungen wird erst entstehen, nachdem eine couragierte Zivilrichterin es auf Antrag der Verteidigung gewagt hatte, Paskos eineinhalb Jahre Reststrafe zur Bewährung auszusetzen. Grigori Pasko arbeitet wieder als Journalist und gibt ein Umweltschutzmagazin heraus. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, so teilt der Wallstein Verlag mit, wird sich demnächst mit seiner Klage gegen die Justizorgane der Russischen Föderation befassen.
Das Gefängnistagebuch „Die Rote Zone“ wird keiner, der es in die Hand nimmt, wieder weglegen, ehe auch die letzte Seite gelesen ist. „Ein Stück dokumentarischer Literatur“ nennt es Thomas Roth. Das Buch ist bisher nur in deutscher Übersetzung erschienen. In Russland fand es keinen Verleger.
Rezensiert von Karin Schorsch
Grigori Pasko: Die Rote Zone. Ein Gefängnistagebuch
Übersetzt von Hannelore Umbreit
Wallstein Verlag 2006
368 Seiten, 24,90 Euro