Tafeln in Not

Mehr Bedürftige, weniger Spenden 

05:59 Minuten
Ehrenamtliche Helfer des Hamburger Tafel und des Arbeiter-Samariter-Bunds packen im Zentraldepot Kisten mit Lebensmitteln für die Ausgabestellen der Tafeln.
Die Tafeln sind doppelt von der Coronapandemie betroffen: Zum einen fallen ältere Helfer aus, zum anderen gibt es weniger Lebensmittelspenden. © Picture Alliance / dpa / Markus Scholz
Von Axel Schröder · 28.10.2020
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Immer weniger Menschen können von ihrem Einkommen ihre Familien ernähren und sind daher auf Unterstützung angewiesen - etwa durch die Hamburger Tafeln. Doch was passiert, wenn die dafür nötigen Spenden ausbleiben?
Die Schlange vor der Ausgabestelle ist lang. Alle halten Abstand, tragen Masken. Kaum jemand will sich dazu befragen lassen, warum er hier steht. Bis auf Michelle:
"Ich hoffe, dass ich was bekomme. Obst, Gemüse, Aufschnitt, vielleicht ein Brötchen, vielleicht ein paar Blumen. Ich bin dankbar dafür. Ich glaube, wir sind alle dankbar, dass wir hier stehen dürfen. Gerade auch in der Coronazeit."
Pünktlich um 15 Uhr dürfen die Ersten in den improvisierten Laden des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB). Ein Dutzend Freiwillige hilft mit, meist ältere Frauen.
"Wir haben verschiedene Tische eingerichtet", sagt Sabrina Rosenstock. Sie koordiniert die Quartiersarbeit des ASB in Hamburg-Jenfeld. "Alles unter Corona-Bedingungen natürlich aktuell. Wir teilen immer zwischen Trockenware, also Sachen, die sich wie Schokolade, Süßigkeiten lange halten, und Kühlware auf, also alles, was gekühlt werden muss: Milch, Joghurt, sogar auch Fleisch. Auf der anderen Seite ist dann das Obst, Gemüse, jeweils getrennt. Hier vorne gibt es noch Brot. Es kommt natürlich immer ganz drauf an, was wir von der Tafel auch geliefert bekommen."
Dieser Nachschub der Hamburger Tafel läuft mittlerweile nicht mehr so rund wie vor der Coronakrise.

Es fehlt an Nachschub

Das Zentrallager der Tafel ist nur 200 Meter von der Lebensmittelausgabe entfernt. Noch sind die Regale zwar gefüllt, aber der kleine Extravorrat der Tafel ist längst aufgebraucht, erklärt Jan Henrik Hellwege. Der Geschäftsführer des gemeinnützigen Vereins steht zwischen den Hochregalen:
"Das sind lang haltbare Lebensmittel, die keine Kühlung brauchen, also Fertiggerichte zum Beispiel. Getränke und Desinfektionsmittel haben wir hier im Moment auch stehen. Aber vor allem auch Konserven."

Kaum mehr Spenden von der Gastronomie

27 Stützpunkte hat die Tafel im Hamburger Stadtgebiet. Sie beliefert 65 soziale Einrichtungen, die Nahrungsmittel dann weiter verteilen. Meistens gehe es um Ware mit einem fast oder gerade abgelaufenen Mindesthaltbarkeitsdatum, sagt Hellwege. Diese Ware wird immer knapper. Nicht nur, aber auch wegen der Coronakrise:
"Wir haben hier in Hamburg einmal im Jahr die größte norddeutsche Lebensmittelmesse. Auch bei diesen Veranstaltungen fallen immer sehr viele Lebensmittel ab. Ein Überschuss, der am Ende nicht verbraucht wird. Das haben wir sonst alles abgeholt. Es ist für uns deutlich spürbar, dass da ein großes Loch ist", sagt Hellwege.
Jens Hellwege von den Hamburger Tafeln
Weniger Spenden in Coronazeiten erhalten: Jens Hellwege leitet die Hamburger Tafeln.© Axel Schröder / Deutschlandradio
Die Lebensmittel- und Gastronomiemesse ist nur ein Beispiel von vielen. Nach jeder größeren Veranstaltung konnte die Tafel bisher überschüssige Speisen abholen. Online veranstaltete Konferenzen bringen der Tafel dagegen nichts.
Entmutigen lässt sich Hellwege dadurch nicht. Er beklagt sich nicht, sondern packt an, organisiert und sucht nach Lösungen. So wie im Frühjahr, als die älteren unter den ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer zu Hause bleiben mussten. Der Schutz vor dem Coronavirus ging vor:
"Das bedeutete für uns, dass wir von 120 Mitarbeitern noch 20 übrighatten. Die anderen hundert sind nämlich Rentner über 60. Dann konnten wir unsere Supermarktabholung nicht mehr aufrechterhalten, weil wir einfach zu wenig Menschen hatten."

Corona nur ein Brennglas

Mittlerweile haben sich viele jüngere Menschen gemeldet, um einzuspringen, wenn die alten ausfallen. Aber die Tafeln kämpfen nicht nur mit coronabedingten Problemen. Hinzu kommt, dass die großen Supermarktketten immer weniger Waren kostenfrei abgeben, bei denen das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist:
"Die haben immer cleverere elektronische Systeme", so Hellwege. "Die können viel besser voraussehen, wo wirklich abverkauft wird, und bestellen wesentlich gezielter."
Auch diese Ware fehlt jetzt. Dabei steigt schon seit Jahren die Zahl derer an, für die die Tafeln der einzige Weg sind, sich mit Lebensmitteln zu versorgen.
"Corona ist jetzt ein Brennglas. Es verstärkt diesen Effekt, den wir vorher schon hatten, dass die Anzahl an Leuten schneller steigt, als wir das gewohnt sind. Gleichzeitig bringt uns der Rückgang bei den Lebensmitteln natürlich in eine sehr schwierige Lage."
Eine Lösung für das Problem hat auch Hellwege nicht. Natürlich würden auch Geldspenden an die Tafel helfen. Aber gerade in Krisenzeiten, sei das alles andere als eine sichere Einnahmequelle. Aus dem Überfluss schöpfen kann die Hamburger Tafel nicht mehr.
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