Täuschend echt

14.02.2010
Seit der Antike versuchen Künstler, ihre Betrachter in die Irre zu führen und ihnen Schein als Sein, Illusion als Wirklichkeit vorzuführen. Mit Kunstwerken aus 55 deutschen und internationalen Sammlungen widmet sich das Bucerius Kunst Forum in Hamburg den Täuschungsmanövern in der Kunst.
Der Junge steigt aus dem Bild: Mit einem Fuß steht er auf der unteren Leiste, seine Hände umklammern den Bilderrahmen, sein Kopf ragt bereits aus dem dunklen Bildgrund über den goldenen Rahmen hinaus - mit aufgerissenen Augen starrt er in die Welt - ein Schritt noch, und er tauscht den Bildgrund gegen die Wirklichkeit.

Pere Borell del Casos 1874 entstandenes Gemälde hängt im Zentrum der Ausstellung, denn, so Gastkuratorin Bärbel Hedinger, es vereint all das, was ein Trompe-l'oeil ausmacht.

"Das ist ein wichtiges Indiz des Trompe-l'oeil, dass es sich aus dem Rahmen raus, auf den Betrachter zubewegt. Also nicht mit Fluchtpunkten ins Bild hinein, sondern immer aus dem Bild heraus, sodass der Betrachter es berühren möchte: Ist jetzt die Hand schon über den Bilderrahmen gelegt? Ist der Bilderrahmen gemalt oder ist der echt?"

Trompe-l'oeils täuschen vor, Realität zu sein, spielen mit Illusion und Wirklichkeit. Seit der Antike fasziniert Künstler die Lust an der Simulation. Und so reicht die Ausstellung von einem römischen Mosaik über Gemälde aus der Renaissance und dem 17. Jahrhundert bis hin zu Jasper Johns Bierdosen aus Bronze, einer Nische mit scheinbar vergessenem Handwerkszeug von Fischli & Weiß, Zeichnungen von Gerhard Richter und Fotografien von Thomas Demand.

Hedinger: "Der Betrachter wird genarrt, er wird verführt hinzugucken - und dann kommt als nächste Reaktion gleich, dass er berühren möchte, weil das Auge allein ihm noch nicht die richtige Antwort gibt. Und dieses Spiel, dieses Hin und Her zwischen Wirklichkeit und Schein, das hat die Maler immer interessiert."

Höhepunkt der Augentäuscher-Malerei war das 17. Jahrhundert: Vor allem das mächtige niederländische und englische Bürgertum hatte für feudale Historienbilder oder Herrscherportraits nichts übrig, und verlangte nach neuen Bildideen. So ließen sich die Künstler Einiges einfallen: Die in der Ausstellung präsentierte reife Birne mit den braunen Flecken etwa ist aus Marmor. Die pummeligen, plastischen Putten Jacob de Wits sind Grisay-Malerei. Die Grafik, die eine Musikantenfamilie zeigt, fiel offenbar gerade von der Wand: Das Glas des Rahmens ist zersplittert, eine Ecke des Blattes abgerissen, darunter das Holz der Unterlage sichtbar - und doch ist alles gemalt. Ortrud Westheider, Leiterin des Bucerius Kunst Forums:

"Es geht auch um den Wettstreit zwischen den Künsten. Damit versuchen sie natürlich zu zeigen: Wir als Maler können in unserem Material, mit Ölfarbe, so tun als sei es ein Stein. Und das passiert ganz oft: Sehr beliebt ist es auch, den Kupferstich zu malen, und zwar so, dass dann auch gekrönte Häupter dachten, ich nehm jetzt mal den Kupferstich zur Hand. - Das war der Reiz."

Doch demonstrieren Trompe-l'oeils oft mehr als nur Kunstfertigkeit: Die Sprengung des herkömmlichen Bildrahmens bedeutet auch, dass die Kunst eindringt in die Wirklichkeit, sich diese aneignet, und Stellung zu ihr bezieht.

Im 17. Jahrhundert waren beispielsweise Bilder von sogenannten Steckbrettern sehr beliebt. Die Ausstellung zeigt einige dieser minutiös gemalten Pinnwände, die vollgehängt sind mit Briefen, Büchern und kleinen Portraits von Zeitgenossen. Oft spiegelt die Auswahl des Gezeigten eine politische Stellungnahme zur Zeit - etwa wenn Aufklärer abgebildet werden, und fortschrittliche Bücher. Oder: Ende des 18. Jahrhunderts schummelt ein unbekannter Künstler unter zahlreiche fein gemalte Geldscheine kleine Portraits gieriger Börsenspekulanten.

Dagegen ließen sich Könige und Fürsten gern von Wunderkammer-Bildern verwirren, auf denen Maler in Kabinettschränken versammelten, was neu, selten und kostbar war: schillernde Südsee-Muscheln, Korallen, orientalische Musketen, Elfenbeinschnitzereien, die dem Betrachter vom Regal entgegenzurutschen scheinen - immer wieder wollten sie die Schätze anfassen - und trafen doch nur die Leinwand. Für Ortrud Westheider auch ein Akt der Bewußtseinsbildung:

"Wenn man das ganze Phänomen betrachtet: Dieses Sich-Bilden-Lassen vom Künstler, was da drinnen steckt, sich aufklären lassen durch die Enttäuschung - es ist nicht die Realität, es ist der Schein - und dieses Hin und Zurück, sich wieder täuschen lassen, wieder zu sehen, wie urteile ich richtig, das ist natürlich etwas, was auch mit der Ausbildung der Fürsten zu tun hat. Und da ist es, glaube ich, nicht übertrieben, zu sagen: Der Fürst wurde ausgebildet, die richtige Entscheidung zu fällen. Und das ist der Kontext."

Anschaulich führen die versammelten Kunstwerke vor, wie sich im Laufe der Jahrhunderte die Wahrnehmung von Wirklichkeit veränderte - und dass wir heute keinem Bild mehr trauen können.

So hängt mitten im Hauptraum - unweit der vermeintlich in einer Nische vergessenen Töpfe und Bretter der Handwerker Fischli & Weiß - eine Arbeit von Thomas Demand. Demand beschäftigt sich damit, was in unserem digitalen Zeitalter überhaupt noch als "wirklich" gelten kann: Seine großformatige Fotografie zeigt ein Fenster mit Jalousie. Wenn man weiß, das der Künstler seine Bildmotive nach real existierenden Vorgaben abfotografiert, im Atelier aus Papier nachbaut, das Resultat wiederum fotografiert, und uns als "Fenster mit Jalousie" präsentiert, wirft er damit all die Fragen um Simulation und leichtsinnigen Bilderglauben auf, die unsere Zeit prägen - und damit unsere heutige Wahrnehmung von Wirklichkeit.

Service:
Täuschend echt - Illusion und Wirklichkeit in der Kunst
13.2. bis 24.5.2010
Bucerius Kunst Forum, Hamburg