Tänzerisches Bild des "anderen Brasiliens"
Brasilien hat eine der abwechslungsreichsten und aufregendsten Tanzszenen zu bieten. Ein Teil davon ist nun auch in Berlin zu sehen. Beim Festival "Move Berlim" werden zahlreiche Stücke aufgeführt, die die künstlerische Vielfalt, aber auch das politische und soziale Engagement der Tanzszene zeigen.
Geklatscht wird, sobald schöne Körper auf der Bühne auftauchen. Schöne schwarze Körper. Gejubelt, ja gejohlt wird, sobald schöne weiße Körper auf der Bühne auftauchen. In diesem kleinen Unterschied liegt die ganze schmerzhafte Diskrepanz zwischen schwarzer und weißer Existenz in Brasilien, die der Choreograph Luiz de Abreus’ in dem neuesten Stück zum Thema macht.
Das billigste Fleisch auf dem Markt ist schwarzes Fleisch – das wissen wir noch vom ersten in Berlin präsentierten Stück des brasilianischen Künstlers, dem "Samba des verrückten Negers". Auch dieses Mal schickt der brasilianische Provokateur wieder schwarze Körper auf die Bühne, stellt sie aus in ihrer Glätte, ihrer Jugend, ihrem Sexappeal. Macht sie anfangs zu Objekten unseres Blickes, zu Zielen unseres Begehrens. Seine jüngste Produktion heißt nicht umsonst "Menschenzermürbende Maschine", denn sie handelt von der schwierigen Situation der Schwarzen in Brasilien und dem alltäglichen Rassismus, den sie in ihrem eigenen Land noch immer ausgesetzt sind, wie Wagner Carvalho, künstlerischer Leiter des Festivals erzählt.
"Da wird die Situation der Afro-Brasilianer, der Schwarzen in Brasilien durchdiskutiert. In Salvador gibt es 85 Prozent der Bevölkerung mit afro-brasilianischem Hintergrund und 5 Prozent der Weißen kontrollieren die Stadt und Bahia als Bundesland. Und ich sage, wenn man ein bisschen über diese diskriminierende Situation in Brasilien erfahren möchte, flieg nach Salvador! Ist eine sehr schöne Stadt, das Meer, usw. Aber da sieht man, was es bedeutet, schwarz in Brasilien zu sein unter solchen Bedingungen. Und das hat Luiz in seinem Stück ganz tief bearbeitet mit seinen Tänzern und Tänzerinnen."
Und da geht es nicht nur um Provokation, sondern auch die persönliche Geschichte jedes Einzelnen. In dem Stück "Menschenzermürbende Maschine" verwenden die Tänzer Tanz, Musik, Bild- und Theaterelemente nicht allein, um ihre Schwierigkeiten zu thematisieren, sondern auch, um Alltagseindrücke, individuelle Erinnerungen und die Geschichten ihrer Vorfahren zu erzählen. Nicht anklagend oder larmoryant, sondern humorvoll und selbstironisch. Um die historische und aktuelle Rolle der Schwarzen in der brasilianischen Gesellschaft geht es während des Festivals "Move Berlim" nicht nur auf der Bühne, sondern auch in zahlreichen Vorträgen. Das Programm trifft damit den Nerv des brasilianischen Alltags.
"In Brasilien werden wir als Schwarze unsichtbar gemacht. Weil unsere Vergangenheit ist noch nicht tief bearbeitet worden. Das heißt, die Sklaverei, die 1880 zu Ende ging, ist noch nicht im alltäglichen Leben in Brasilien vorüber. […] Dass wir immer am Rand der Gesellschaft leben. […] Und ich glaube, diese Thematik wurde ganz stark 2001 […] diskutiert, weil zum ersten Mal hat die Regierung in Brasilien anerkannt, dass Brasilien ein rassistisches Land ist. […] Bis dahin gab es keine offizielle Haltung. […] Und wenn man im Tanzbereich guckt, ist es selten, dass man einen schwarzen Künstler, eine schwarze Künstlerin auf der Bühne sieht – im zeitgenössischen Tanz."
Doch werden bei "Move Berlim" auch andere, typisch brasilianische Themen aufgeworfen. Das Land hat eine stark politisierte Tanzszene, die sich in großen Teilen gesellschaftlichen Fragen widmet. So zum Beispiel die Compagnie Membros, die einen ganz eigenen Hip-Hop-Stil entwickelt hat. Hier verkehren sich die machohaften Gebärden des Straßentanzes in zuckende, zitternde Bewegungen, die den Eindruck von Hilflosigkeit und Schwäche erwecken. Die Mitglieder von Membros kommen aus Macaé, einer kleinen Stadt nördlich von Rio de Janeiro, die der Ölboom wirtschaftlichen Zuwachs, aber auch einen riesigen Zustrom an ungelernten Arbeitern beschert hat und damit größte soziale Unterschiede sowie eine hohe Verbrechensrate. Am Rande, in einem Elendsviertel dieser in sich zerrissenen Stadt liegt ein Kulturzentrum – die Heimat der Compagnie Membros, die mit ihrer speziellen Form des Hip Hop dem Lebensgefühl der Menschen um sie herum immer wieder Ausdruck verleiht. Typisch für den zeitgenössischen Tanz Brasiliens, meint Wagner Carvalho.
"Ich glaube, was auf der Bühne passiert, ist ein Gesicht des Landes. Wir haben ein paar Beispiele im Festival. […] Tanz zum Beispiel wird in einigen Orten als Bestandteil des Bürgersinns praktiziert, das heißt, man versucht, ein Bewusstsein aufzubauen […] durch den Tanz. Weil die Elemente werden da rein gebracht, zu sagen: ja, wir haben ein Recht auf Ausbildung, Gesundheit und Kultur, Sport, usw. […]In ganz Brasilien gibt es Gruppen, Künstler, die ganz sozial und politisch engagiert arbeiten und bringen diese Fragestellung auf die Bühne als Bestandteil von ihre Existenz. Der Tanz wird nicht nur im Theater praktiziert. Das ist auf der Straße.[…] Man geht zu unterschiedlichen Kommunen, man geht in die Peripherie mit Projekt."
Das Programm von "Move Berlim" bildet die Vielfältigkeit und Fülle des zeitgenössischen Tanzes in Brasilien ab, seine starke politische Ausrichtung, aber auch und vor allem seine besonderen tänzerischen und choreographischen Qualitäten. Selten treffen inhaltliche Relevanz und die Suche nach neuen ästhetischen Formen so interessant aufeinander wie in den Produktionen der jungen brasilianischen Choreographen. In der "Unsichtbaren Geschichte" der Compagnie Quasar geht es zum Beispiel nicht nur um die Vielschichtigkeit zwischenmenschlicher Beziehungen und die Rolle, die die fünf Sinne dabei spielen; es wird auch außergewöhnlich und außergewöhnlich schön getanzt. Weich fließend, streng akrobatisch, von traumhafter Leichtigkeit, ohne Stopps und zugleich jede Bewegung differenziert und von der anderen abgesetzt. Choreographisch komplex und von beeindruckender tänzerischer Technik.
Ob politische Spurensuche, gesellschaftliche Provokation oder ästhetische Eroberung – der zeitgenössische brasilianische Tanz lohnt die Entdeckung und in ihr die Begegnung mit einem kleinen Ausschnitt dieses riesigen Landes.
"Brasilien ist da präsent. Ich würde sagen, man hat nicht die Haltung, wir werden Brasilien hier präsentieren, wir werden hier Brasilien transportieren. Nein, wir zeigen ein bisschen hier von Brasilien. Das ist diese Vielfältigkeit. Wir arbeiten mit der Dezentralisierung von Rio und San Paulo. Wir arbeiten mit der Vielfältigkeit, wir arbeiten gegen die eurozentrische Weise, wie Brasilien betrachtet wird. Ich glaube, man hat die Chance, in dieser dritten Ausgabe […] ein anderes Brasilien zu sehen."
Das billigste Fleisch auf dem Markt ist schwarzes Fleisch – das wissen wir noch vom ersten in Berlin präsentierten Stück des brasilianischen Künstlers, dem "Samba des verrückten Negers". Auch dieses Mal schickt der brasilianische Provokateur wieder schwarze Körper auf die Bühne, stellt sie aus in ihrer Glätte, ihrer Jugend, ihrem Sexappeal. Macht sie anfangs zu Objekten unseres Blickes, zu Zielen unseres Begehrens. Seine jüngste Produktion heißt nicht umsonst "Menschenzermürbende Maschine", denn sie handelt von der schwierigen Situation der Schwarzen in Brasilien und dem alltäglichen Rassismus, den sie in ihrem eigenen Land noch immer ausgesetzt sind, wie Wagner Carvalho, künstlerischer Leiter des Festivals erzählt.
"Da wird die Situation der Afro-Brasilianer, der Schwarzen in Brasilien durchdiskutiert. In Salvador gibt es 85 Prozent der Bevölkerung mit afro-brasilianischem Hintergrund und 5 Prozent der Weißen kontrollieren die Stadt und Bahia als Bundesland. Und ich sage, wenn man ein bisschen über diese diskriminierende Situation in Brasilien erfahren möchte, flieg nach Salvador! Ist eine sehr schöne Stadt, das Meer, usw. Aber da sieht man, was es bedeutet, schwarz in Brasilien zu sein unter solchen Bedingungen. Und das hat Luiz in seinem Stück ganz tief bearbeitet mit seinen Tänzern und Tänzerinnen."
Und da geht es nicht nur um Provokation, sondern auch die persönliche Geschichte jedes Einzelnen. In dem Stück "Menschenzermürbende Maschine" verwenden die Tänzer Tanz, Musik, Bild- und Theaterelemente nicht allein, um ihre Schwierigkeiten zu thematisieren, sondern auch, um Alltagseindrücke, individuelle Erinnerungen und die Geschichten ihrer Vorfahren zu erzählen. Nicht anklagend oder larmoryant, sondern humorvoll und selbstironisch. Um die historische und aktuelle Rolle der Schwarzen in der brasilianischen Gesellschaft geht es während des Festivals "Move Berlim" nicht nur auf der Bühne, sondern auch in zahlreichen Vorträgen. Das Programm trifft damit den Nerv des brasilianischen Alltags.
"In Brasilien werden wir als Schwarze unsichtbar gemacht. Weil unsere Vergangenheit ist noch nicht tief bearbeitet worden. Das heißt, die Sklaverei, die 1880 zu Ende ging, ist noch nicht im alltäglichen Leben in Brasilien vorüber. […] Dass wir immer am Rand der Gesellschaft leben. […] Und ich glaube, diese Thematik wurde ganz stark 2001 […] diskutiert, weil zum ersten Mal hat die Regierung in Brasilien anerkannt, dass Brasilien ein rassistisches Land ist. […] Bis dahin gab es keine offizielle Haltung. […] Und wenn man im Tanzbereich guckt, ist es selten, dass man einen schwarzen Künstler, eine schwarze Künstlerin auf der Bühne sieht – im zeitgenössischen Tanz."
Doch werden bei "Move Berlim" auch andere, typisch brasilianische Themen aufgeworfen. Das Land hat eine stark politisierte Tanzszene, die sich in großen Teilen gesellschaftlichen Fragen widmet. So zum Beispiel die Compagnie Membros, die einen ganz eigenen Hip-Hop-Stil entwickelt hat. Hier verkehren sich die machohaften Gebärden des Straßentanzes in zuckende, zitternde Bewegungen, die den Eindruck von Hilflosigkeit und Schwäche erwecken. Die Mitglieder von Membros kommen aus Macaé, einer kleinen Stadt nördlich von Rio de Janeiro, die der Ölboom wirtschaftlichen Zuwachs, aber auch einen riesigen Zustrom an ungelernten Arbeitern beschert hat und damit größte soziale Unterschiede sowie eine hohe Verbrechensrate. Am Rande, in einem Elendsviertel dieser in sich zerrissenen Stadt liegt ein Kulturzentrum – die Heimat der Compagnie Membros, die mit ihrer speziellen Form des Hip Hop dem Lebensgefühl der Menschen um sie herum immer wieder Ausdruck verleiht. Typisch für den zeitgenössischen Tanz Brasiliens, meint Wagner Carvalho.
"Ich glaube, was auf der Bühne passiert, ist ein Gesicht des Landes. Wir haben ein paar Beispiele im Festival. […] Tanz zum Beispiel wird in einigen Orten als Bestandteil des Bürgersinns praktiziert, das heißt, man versucht, ein Bewusstsein aufzubauen […] durch den Tanz. Weil die Elemente werden da rein gebracht, zu sagen: ja, wir haben ein Recht auf Ausbildung, Gesundheit und Kultur, Sport, usw. […]In ganz Brasilien gibt es Gruppen, Künstler, die ganz sozial und politisch engagiert arbeiten und bringen diese Fragestellung auf die Bühne als Bestandteil von ihre Existenz. Der Tanz wird nicht nur im Theater praktiziert. Das ist auf der Straße.[…] Man geht zu unterschiedlichen Kommunen, man geht in die Peripherie mit Projekt."
Das Programm von "Move Berlim" bildet die Vielfältigkeit und Fülle des zeitgenössischen Tanzes in Brasilien ab, seine starke politische Ausrichtung, aber auch und vor allem seine besonderen tänzerischen und choreographischen Qualitäten. Selten treffen inhaltliche Relevanz und die Suche nach neuen ästhetischen Formen so interessant aufeinander wie in den Produktionen der jungen brasilianischen Choreographen. In der "Unsichtbaren Geschichte" der Compagnie Quasar geht es zum Beispiel nicht nur um die Vielschichtigkeit zwischenmenschlicher Beziehungen und die Rolle, die die fünf Sinne dabei spielen; es wird auch außergewöhnlich und außergewöhnlich schön getanzt. Weich fließend, streng akrobatisch, von traumhafter Leichtigkeit, ohne Stopps und zugleich jede Bewegung differenziert und von der anderen abgesetzt. Choreographisch komplex und von beeindruckender tänzerischer Technik.
Ob politische Spurensuche, gesellschaftliche Provokation oder ästhetische Eroberung – der zeitgenössische brasilianische Tanz lohnt die Entdeckung und in ihr die Begegnung mit einem kleinen Ausschnitt dieses riesigen Landes.
"Brasilien ist da präsent. Ich würde sagen, man hat nicht die Haltung, wir werden Brasilien hier präsentieren, wir werden hier Brasilien transportieren. Nein, wir zeigen ein bisschen hier von Brasilien. Das ist diese Vielfältigkeit. Wir arbeiten mit der Dezentralisierung von Rio und San Paulo. Wir arbeiten mit der Vielfältigkeit, wir arbeiten gegen die eurozentrische Weise, wie Brasilien betrachtet wird. Ich glaube, man hat die Chance, in dieser dritten Ausgabe […] ein anderes Brasilien zu sehen."