"Tänzer durch die Welt"

Von Volkhard App |
Der 2002 tödlich verunglückte Maler Michel-Majerus hat ein außergewöhnliches Werk zeitgenössischer Malerei hinterlassen. Zwei Ausstellungen zeichnen nun seine malerische Entwicklung nach und versammeln das Beste aus seinem Oeuvre.
"Die Absichten des Künstlers werden überbewertet", war da zu lesen, und "Fuck the intention of the artist". Einer musste es ja mal sagen - Schriftzüge auf einer gigantischen Skaterbahn, die Michel Majerus 2000 im Kölnischen Kunstverein aufbauen ließ, auch als Widerstand gegen die Erhabenheit in der Kunst.

Doch nun wird nach seinen künstlerischen Absichten geforscht und um seine Bewertung gerungen. Der 1967 in Luxemburg geborene und an der Staatlichen Akademie in Stuttgart ausgebildete Maler nahm als später Nachfahre der Popart, sozusagen als deren Zauberlehrling, Vieles von dem auf, was ihm in der visuellen Welt entgegentrat.

Das waren anfangs putzige Bilderbuchfiguren, vor allem ein oft wiederkehrendes Kätzchen, dann kamen "Manga"- Comicmädchen und der Astronaut und der Cowboy aus dem Trickfilm "Toy Story" hinzu, "Super-Mario" aus dem Reich der Videospiele fand gnädige Aufnahme, Warenlogos, ein vergrößerter Turnschuh und sogar das Modell des HIV-Virus tauchten auf seinen Gemälden auf, und zuletzt posierte der Rockstar Marilyn Manson.

Majerus sammelte und montierte diese Motive per Computer und übertrug sie dann auf seine Leinwände, von denen etliche so riesig sind, dass sie aus vielen Einzeltafeln bestehen. Diese Formate haben mit den Hamburger Deichtorhallen den richtigen Schauplatz gefunden. Robert Fleck, Direktor der Deichtorhallen:

"Man ist da als Mensch immer nur ein Drittel bis ein Viertel so groß wie das Bild. Die Idee des Künstlers war, eine Art Cinemascope wie in der zeitgenössischen Filmtechnik zu erreichen. Da ist Majerus medial ganz bewusst gewesen."

Fleck hat wie die anderen Ausstellungsmacher persönliche Erinnerungen an den jung gestorbenen Künstler:

"Bei einem Besuch 1997 war ich sehr beeindruckt von seiner Bescheidenheit… Das Berliner Studio war sehr klein, und er konnte einem immer nur eine Leinwand zeigen und sagte dann, dass die sieben oder acht Leinwände daneben im Regal dazugehörten. So etwas hatte ich noch nie erlebt, dass sich ein junger Künstler auf solche Formate einlässt, bei denen man sonst sagt: "Lass die Hände davon!""

Die kleineren Gemälde werden in der hannoverschen Kestnergesellschaft gezeigt. An beiden Orten, in Hamburg und Hannover, lässt sich die malerische Entwicklung des Künstlers nachvollziehen – wie er in den frühen neunziger Jahren noch höchst detailliert arbeitete und in den vorgefundenen Bildwelten geradezu gefangen schien. Dann wurden seine Kompositionen immer freier, die zitierten Motive verbanden sich mit großer malerischer Geste: breite Pinselspuren, Klecksereien, auch abstrahierte und fast schon ein wenig leer wirkende Bildpartien spiegeln diesen Fortschritt. Gern auch spielte er stilistisch auf Protagonisten der Moderne an. Veit Görner, Direktor der hannoverschen Kestnergesellschaft:

"Majerus beschäftigt sich in seiner Malerei einerseits mit der Kunstgeschichte, traditionell wichtigen Vorbildern wie zum Beispiel de Kooning, Warhol und Lichtenstein, und auf der anderen Seite mit der modernen Ikonographie, die wir aus dem Fernsehen, aus Video- und Computerspielen kennen."

Und immer wieder stehen Texte, ja Parolen auf seinen Gemälden und Installationen. Nichts sei von Dauer, lesen wir da, und - dass was heute gut ausschaue, nicht zwangsläufig auch morgen gut aussehen müsse. Ernstzunehmende Botschaften – oder eher künstlerisches Spielmaterial? Veit Görner:

"Es ist im Grunde beides. Es sind programmatische Aussagen darunter, die besagen, dass sich unsere Wahrnehmungen und unsere Wertvorstellungen über Visuelles ständig ändern. Aber es handelt sich auch um Ironisierung, weil es Sätze und Paraphrasen sind, die aus der Popmusik und der Werbung kommen und im Grunde klischeehaft übernommen werden."

Aber man darf schon darüber diskutieren, ob der Künstler eine genaue Strategie verfolgte, eine kritische Weltsicht hatte oder geradezu manisch alles ihm Passende in seinen Kosmos aufnahm:

"Ich habe Michel Majerus sehr gut gekannt, war mit ihm befreundet. Er war eigentlich ein Tänzer durch die Welt, ist leichten Fußes zwischen Berlin und Los Angeles über die Welt hinweggegangen und hat einfach nur in sich aufgesogen, wollte gucken, in welcher Welt er lebt – nicht in einem ernsthaften, politisch - philosophischen Sinn: er wollte die Welt, die Gegenwart als Faszinosum begreifen."

"Unexepected disaster" ist auf einem Gemälde zu lesen. Eine Katastrophe sind die beiden Ausstellungen in Hamburg und Hannover sicher nicht, vielmehr versammeln sie mit das Beste aus seinem Oeuvre. Die bizarren Installationen aber bleiben weitgehend ausgeblendet. Man erinnert zwar mit Gemälde- und Objekt-Ensembles an zurückliegende Ausstellungen von Majerus in Basel und Mailand, in der Kestnergesellschaft sind außerdem Holzkisten aufgebaut, und das Publikum wird mit einer Wand aus 100 kleinformatigen Bildern empfangen, dem in die Tiefe gespiegelten und so unendlich erscheinenden Motivvorrat des Künstlers. Doch die markanten, schon historischen Installationen leben vor allem in den Köpfen der Zeitgenossen weiter, darunter die Großtat von 2002: Majerus verhängte das Brandenburger Tor mit bedruckten Stoffbahnen, so dass die Touristen an vertrauter Stelle plötzlich die Fassade einer stadtbekannten Mietskaserne entdeckten, über deren Dach die Quadriga galoppierte. Eine soziale und kulturelle Irritation.

Auf seinem letzten, unvollendeten Gemälde ist noch die Bleistiftvorzeichnung zu erkennen, "Taliban Pop" sollte es heißen. Zweifellos waren seine Bilder eine Art Seismograph ihrer Zeit - schwer zu sagen, wie viel sie den Betrachtern in zwanzig oder dreißig Jahren noch bedeuten. Und müßig ist die Frage, in welche Richtung sich Majerus stilistisch weiterentwickelt hätte - aber sie wird häufig gestellt.

Im November 2002 wollte er dem Berliner Kunstbetrieb mal kurz entfliehen und seine Eltern in Luxemburg besuchen. Kurz vor dem Ziel stürzte das Flugzeug ab.


Service:
Die Deichtorhallen zeigen die Werke von Majerus vom 18.11.2005 bis zum 26. 1.2006.
Die Ausstellung in der Kästnergesellschaft ist vom 19.11.2005 bis zum 12.2.2006.