Tadeusz Dabrowski: "Wenn die Welt schläft"

„Es ist gefährlich, zu viele Wörter zu kennen“       

05:47 Minuten
Vor blauem Hintergrund sind eine Sichel, ein Halbkreis und ein Kreis abgebildet. Darauf Autorenname und Buchtitel.
© Schöffling & Co

Tadeusz Dabrowski

Übersetzt von Renate Schmidgall

Wenn die Welt schläft. Schöffling&Co., Frankfurt 2022

101 Seiten

22,00 Euro

Von Marko Martin · 27.09.2022
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Ein Urvertrauen in die Sprache prägen die Lyrik des polnischen Dichters Tadeusz Dabrowski, wenn er über Wunder und Schrecken des Alltags schreibt. Lyrik jenseits gefälliger Postkarten-Verse, jedoch voll skeptischer Weltneugier.
Als im Frühjahr 2021 der Lyriker Adam Zagajewski im Alter von 75 Jahren verstarb, war vor allem in Deutschland von der Befürchtung zu lesen, mit ihm sei nun womöglich endgültig die große Zeit der polnischen Poesie zu Ende gegangen. Czeslaw Milosz, Wislawa Szymborska, Tadeusz Rozewicz, Zbigniew Herbert, Stanislaw Baranczak, Adam Zagajewski...aber wer würde folgen?
Zum Beispiel Tadeusz Dabrowski, Jahrgang 1979 und als solcher weder von den bitteren Jahrzehnten des Parteikommunismus noch vom Terror der nazideutschen Besatzung geprägt. Wohl aber von einer genuin polnischen Tradition des Hinschauens in Augenhöhe, des Nicht-vom-Podest-aus-Dichtens, von einer Poesie, die scheinbar mühelos die erste Wahrnehmung ebenso beschreibt wie sie die quasi letzten Dinge befragt.

Wichtigster Lyriker einer neuen Generation

Dass Dabrowski, der in Gdansk lebt und bisher sechs Lyrikbände veröffentlicht hat, von Adam Zagajewski als einer der wichtigsten Lyriker einer neuen Generation wahrgenommen wurde, ist deshalb mehr als nur eine Fußnote.
Mit der Auswahl „Wenn die Welt schläft“, die Tadeusz Dabrowskis jüngste Gedichte versammelt, erscheint nun bereits ein dritter Lyrikband auf Deutsch in der wie stets jeder Sprachnuance nachspürenden Übersetzung von Renate Schmidgall, die zuvor bereits Wislawa Szymborska und Adam Zagajewski übertragen hatte.
„Wenn die Welt schläft“ und die großen Erklärungen Pause machen, bleiben noch immer die Wunder und Schrecken, die der Alltag bereit hält: Ein kleiner Junge und ein Mädchen in einem Zugabteil, mit ihren Stiften beschäftigt, während ein desillusionierter Mann vor sich hin döst.

Ausdruck des Zweifelns

Ein Aushilfsorganist in einer Dorfkirche, der statt religiöser Lieder ebenso andachtsvoll polnischen Pop intoniert, zur Freude der halb tauben Frauen. Ein krebskranker Freund, der nun nicht mehr zu Whisky-Abenden einlädt, sondern unbedingt noch einmal eine Ausstellung von Meistern der Spätrenaissance sehen möchte. Dazu der Dichter selbst, liebend oder liebeskrank, in New York oder Zürich.
Bei all dem jedoch keine gefälligen Postkarten-Verse, und selbst das Epigrammatische Ausdruck des Zweifels:

„Es ist gefährlich,
zu viele Wörter zu kennen.

Jedes von ihnen hat seine
zweite Seite, die ebenfalls
eine zweite Seite hat,
und so weiter ohne Ende.
...
Wörter mit Ohren
nach innen.

Eine Welt, dicht
getäfelt mit Wörtern,
macht Angst.“

Was auch bedeuten könnte: Gedichten, die lediglich aus Sprachkritik bestehen, droht irgendwann der Leerlauf. Just vor diesem aber schützt Dabrowskis Sensorium, seine skeptische Weltneugier, vor allem aber jenes stets gefährdete und immer wieder neu zu verteidigende Urvertrauen in die Sprache.
Da ja selbst deren Unzulänglichkeit beschreibbar ist in Worten, die Brücken sind anstatt Mauern oder selbstreferenzielle Spiegelungen.

„Der Strom der Sprache trifft
in der Lyrik auf Widerstand
und wird einen Moment lang

Zum Gedicht, das zittert, trügt
singt, spielt und manchmal
schweigt."

Gedichte als ein „Dennoch“       

Es ist ein Dennoch, das immer wieder in Tadeusz Dabrowskis Gedichten zur Welt und zur Sprache kommen will, vertrackt und wundersam prägnant zugleich. Und so sind die Gründe, „Warum du die Dichtung zum Leben brauchst“, auch keine hehr rhetorischen, sondern Bilder von immenser poetischer Kraft:

„Sie lacht dir ins Gesicht wie das Kind, das du gern
verhätscheln würdest, wenn es deines wäre. Oder sie steht im Weg

wie die gebrechliche Mutter, die sich an nichts erinnert,
ins Bett macht und die du lebendig begraben würdest,
wären da nicht deine Liebe zu ihr und deine Position.“

Wobei der Rekurs auf die „Position“ des Dichters  wiederum dezent ironisch klingt, ebenso wie der Tonfall in jenen Gedichten, die den Kollegen Zagajewski, Rozewicz und Zbigniew Herbert gewidmet sind. Derlei herab gedimmtes Pathos aber ist kein Selbstzweck und schon gar nicht Zynismus. Im Gegenteil: Das geteilte Wissen um die Fragilität der freien Wörter wird zur Anklage gegen deren Verächter, so etwa im Gedicht „Sarajewo“:

„du Buch in den Händen der Berge, aus dem die Götter ein Schmierheft machten
deine Seiten gefressen von den Motten
der Kugeln, angesengt von der Glut aus der Zigarette des Anführers
und seiner fleißigen Schüler, die dich studierten
Zeile für Zeile mit ihren Scharfschütz-Lupen.“

So lange solche Gegen-Zeilen, solche Einsprüche geschrieben werden, muss man sich um Gegenwart und Zukunft der polnischen Poesie gewiss keine Sorgen machen. Höchste Zeit, Tadeusz Dabrowski zu entdecken.      
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