Tabuzone Ost
In wenigen Wochen feiern wir den 15. Jahrestag der deutschen Einheit. Dass sich die Menschen in den Ländern östlich und westlich der einstigen innerdeutschen Grenze in dem Maße der geglückten staatlichen Zusammenfügung näher gekommen wären, lässt sich nicht behaupten. Auch der gewaltige Finanztransfer, der Wiederaufbau verfallener Städte, die Modernisierung der Straßen und öffentlichen Einrichtungen, der steigende Wohlstand trotz Arbeitslosigkeit und die grenzenlose Freiheit haben die Kluft zwischen dem Lebensgefühl in Ost und West nicht einebnen können.
Immer wieder brechen Konflikte als Folge der unterschiedlichen Entwicklung im geteilten Deutschland auf. Dies kann nur den erstaunen, der vergessen oder verdrängen will, wie unterschiedlich das Leben in einer Demokratie und in einer Diktatur ist. Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm hat mit seiner Feststellung, die erzwungene Proletarisierung unter der SED-Herrschaft sei eine Ursache für Gewaltbereitschaft und Werteverlust in Ostdeutschland gewesen einen Aufschrei der Empörung ausgelöst. Er musste sich entschuldigen. Er wollte nicht die Menschen in Ostdeutschland damit verletzen, sondern aufrütteln. Der CDU-Politiker Schönbohm hat Richtiges am falschen Beispiel und zur falschen Zeit gesagt. Der Mord an neun Babys hat Schönbohm wie viele Menschen bestürzt, ihn als Brandenburger und als Innenminister besonders. Sein Erklärungsversuch war nicht überzeugend, konnte und musste missverstanden werden, vor allem in Zeiten des Wahlkampfes. Angela Merkel, die CDU-Kanzlerkandidatin selber, fürchtet nicht zu Unrecht, dass derartige Äußerungen der CDU und damit ihr selber schaden. Denn Angela Merkel ist trotz ihrer ostdeutschen Herkunft in Ostdeutschland weniger populär als im Westen des Landes.
Sprechen wir also nicht über den Kindesmord. In Abgründe menschlichen Verhaltens kann man immer wieder in allen Gesellschaften blicken. Unbestreitbar ist aber die Feststellung Schönbohms, dass die Gewaltbereitschaft in Ostdeutschland deutlich höher ist als in Westdeutschland. Die Ursachen dafür liegen durchaus in der Proletarisierung der Gesellschaft, im Werteverlust, der nicht nur Schönbohm besorgt. Die Fremdenfeindlichkeit in einem Gebiet, in dem kaum Fremde leben und in das sich Fremde nicht wagen, ist erschreckend. Das Wahlverhalten in Ostdeutschland ist ein Indiz für die geistige Verödung. Immer mehr Wahlbürger, so zeigen es die Umfragen, wollen Protest wählen und fühlen sich deshalb entweder von den Rechtsextremen, wie der NPD, oder der kommunistischen PDS angesprochen.
Der sozialdemokratische Bundestagspräsident Thierse hatte vor Jahren mit der dramatischen Formulierung „Der Osten steht auf der Kippe“ mehr Unterstützung, auch aber nicht nur finanzielle Unterstützung, angemahnt. Die von der Bundesregierung eingesetzte Dohnanyi-Kommission hat eindrucksvoll Fehlentwicklungen in der Ostförderung aufgezeigt. Ein Großteil der Förderung ist fehlgeleitet worden. Dohnanyi wies auch darauf hin, dass die Leistungskraft der gesamten deutschen Volkswirtschaft durch die Belastung des Finanztransfers gefährlich geschwächt wird. Die Befürchtungen sind längst eingetreten. Aber die Lage hat sich nicht verbessert. Gegen den Widerstand eines so großen Bevölkerungsteils lässt sich offenbar keine vernünftige Wirtschafts- und Strukturpolitik durchsetzen.
Vierzig Jahre SED-Herrschaft haben den östlichen Teil Deutschlands ruiniert. Die Probleme heute sind die Folgen. Aber die Nachfolgepartei, die PDS, die immer noch die reichste und am besten organisierte Partei Ostdeutschlands ist, macht erfolgreich Stimmung gegen jene, die versuchen, die schwere Erblast abzutragen. Die PDS profitiert von den Problemen, die sie selber verursacht hat – nur unter anderem Namen. Schon in den zurückliegenden Wahlkämpfen in Ostdeutschland klangen die Parolen der PDS und der NPD zum Verwechseln ähnlich.
Es ist bemerkenswert, dass in der öffentlichen Auseinandersetzung die Folgen der SED-Diktatur tabuisiert werden. Reflexhaft wird die Wahrheit mit der Behauptung, damit würden die Menschen beleidigt und Biographien verunglimpft, erstickt. Die Folgen dieser Tabuisierung sind verheerend. Die Abwanderung von Ost nach West setzt sich fort, Landschaften veröden. Unternehmen investieren weniger als es nötig und möglich wäre, weniger Touristen kommen in die wunderschönen Ferienlandschaften als wünschenswert wäre. Die Gründe dafür haben etwas mit dem gesellschaftlichen Klima im Lande zu tun. Darüber muss gesprochen werden – aber kann wohl erst nach den Wahlen gesprochen werden.
Sprechen wir also nicht über den Kindesmord. In Abgründe menschlichen Verhaltens kann man immer wieder in allen Gesellschaften blicken. Unbestreitbar ist aber die Feststellung Schönbohms, dass die Gewaltbereitschaft in Ostdeutschland deutlich höher ist als in Westdeutschland. Die Ursachen dafür liegen durchaus in der Proletarisierung der Gesellschaft, im Werteverlust, der nicht nur Schönbohm besorgt. Die Fremdenfeindlichkeit in einem Gebiet, in dem kaum Fremde leben und in das sich Fremde nicht wagen, ist erschreckend. Das Wahlverhalten in Ostdeutschland ist ein Indiz für die geistige Verödung. Immer mehr Wahlbürger, so zeigen es die Umfragen, wollen Protest wählen und fühlen sich deshalb entweder von den Rechtsextremen, wie der NPD, oder der kommunistischen PDS angesprochen.
Der sozialdemokratische Bundestagspräsident Thierse hatte vor Jahren mit der dramatischen Formulierung „Der Osten steht auf der Kippe“ mehr Unterstützung, auch aber nicht nur finanzielle Unterstützung, angemahnt. Die von der Bundesregierung eingesetzte Dohnanyi-Kommission hat eindrucksvoll Fehlentwicklungen in der Ostförderung aufgezeigt. Ein Großteil der Förderung ist fehlgeleitet worden. Dohnanyi wies auch darauf hin, dass die Leistungskraft der gesamten deutschen Volkswirtschaft durch die Belastung des Finanztransfers gefährlich geschwächt wird. Die Befürchtungen sind längst eingetreten. Aber die Lage hat sich nicht verbessert. Gegen den Widerstand eines so großen Bevölkerungsteils lässt sich offenbar keine vernünftige Wirtschafts- und Strukturpolitik durchsetzen.
Vierzig Jahre SED-Herrschaft haben den östlichen Teil Deutschlands ruiniert. Die Probleme heute sind die Folgen. Aber die Nachfolgepartei, die PDS, die immer noch die reichste und am besten organisierte Partei Ostdeutschlands ist, macht erfolgreich Stimmung gegen jene, die versuchen, die schwere Erblast abzutragen. Die PDS profitiert von den Problemen, die sie selber verursacht hat – nur unter anderem Namen. Schon in den zurückliegenden Wahlkämpfen in Ostdeutschland klangen die Parolen der PDS und der NPD zum Verwechseln ähnlich.
Es ist bemerkenswert, dass in der öffentlichen Auseinandersetzung die Folgen der SED-Diktatur tabuisiert werden. Reflexhaft wird die Wahrheit mit der Behauptung, damit würden die Menschen beleidigt und Biographien verunglimpft, erstickt. Die Folgen dieser Tabuisierung sind verheerend. Die Abwanderung von Ost nach West setzt sich fort, Landschaften veröden. Unternehmen investieren weniger als es nötig und möglich wäre, weniger Touristen kommen in die wunderschönen Ferienlandschaften als wünschenswert wäre. Die Gründe dafür haben etwas mit dem gesellschaftlichen Klima im Lande zu tun. Darüber muss gesprochen werden – aber kann wohl erst nach den Wahlen gesprochen werden.