Tabubruch mit "Tutti Frutti"

Von Michael Meyer · 01.01.2009
Vor 25 Jahren begann in Deutschland ein neues Zeitalter: Das des Privatfernsehens. Mit großer Werbekampagne und mit Unterstützung der CDU-Medienpolitik startete SAT.1 am 1. Januar 1984 seinen Sendebetrieb, einen Tag später folgte RTL.
Die Anfänge waren beschwerlich bis amateurhaft, im Laufe der Jahre gewann das kommerzielle Fernsehen aber fast ebenso viele Zuschauer, wie die Öffentlich-rechtlichen - oft allerdings mit deutlich anderen Programmen und Formaten. Michael Meyer lässt 25 Jahre Privatfernsehen Revue passieren:

"Guten Morgen, liebe Zuschauer! Die PKS wünscht Ihnen ... "

Aus heutiger Sicht wirkt der Anfang des bundesdeutschen Privatfernsehens geradezu niedlich: Das Programm hieß damals noch "PKS", Programmgesellschaft für Kabel und Satellitenrundfunk, und der Programmchef Jürgen Doetz begrüßte sitzend die Zuschauer betulich bis onkelhaft - neben ihm saß die erste Moderatorin des deutschen Privatfernsehens:

"Sie hören jetzt Händels Feuerwerksmusik…"

Gesendet wurde damals nur einige Stunden pro Tag und die Mischung aus alten Serien, Filmen und Shows auf dem Niveau von Betriebsfeiern lockte kaum jemandem an die Bildschirme - allerdings: Darum ging es am Anfang auch nicht in erster Linie, erinnert sich der damalige SAT.1-Chef und heutige Präsiden des Privatrundfunkverbands VPRT, Jürgen Doetz:

"Da galt es erst einmal, uns überhaupt zu etablieren. Wir hatten drei Wochen die Lizenz, als wir an den Sendestart gingen, meine Moderatorin war 14 Tage vorher noch arbeitslose Junglehrerin des Landes Rheinland-Pfalz, ich hatte eine Truppe von vielleicht 20 Leuten, von denen vielleicht die Hälfte überhaupt eine Ahnung von Fernsehen hatte, da hatten wir einen ganz anderen Blickwinkel, als man das heute so vermutet."

Während das spätere SAT.1 als "Verlegerfernsehen" mit dem Axel Springer Verlag als Gesellschafter auf der politischen Ebene immer eher der CDU-Seite zugerechnet wurde, startete einen Tag später RTL plus aus Luxemburg als Kind der SPD-Medienpolitik. Von Anfang an war RTL professioneller gemacht - nicht unbedingt anspruchsvoller, die RTL-Macher schafften es aber besser, sich quotenträchtig zu vermarkten, unter anderem mit nackter Haut. Die erfolgreiche, aber von Kritikern zerrissene Show hieß "Tutti Frutti":

"Ein neues Chin-Chin-Ballett mit den wirklich süßesten Früchten, am Freitag um 23 Uhr 05 bei RTL plus…"

Aber auch SAT.1 setzte zunehmend auf Krawall - etwa als Ende der 80er Jahre, Anfang der 90er "Reality-TV" angesagt war: Das waren jene Shows, die mit echten Videoaufnahmen von Unfällen, Überfällen und anderem, zweifelhafte Quotenerfolge einfuhren. Auch bei der Inflation der Boulevard-Talkshows am Nachmittag mischten RTL und SAT.1 kräftig mit:

"Wie sieht eigentlich Deine ideale Brust aus?"

"Na ja, ich sag mal, eine Handvoll."

Jürgen Doetz erklärt den "kalkulierten Tabubruch" von damals so:

"Das 'Tabubrechen' hatte zwei Wurzeln, die eine Wurzel heißt: aus der Not eine Tugend machen. Wir hatten keine großen Shows, wir konnten keine Stars bezahlen. Das heißt: Wir mussten billig machen, und das waren dann eben so Crash-TV-Versuche oder 'Einspruch!' bei SAT.1 mit Ulli Meyer. Das Zweite war: Man merkte, das erregt die deutsche Bevölkerung in einem Ausmaß, das man das wirklich nutzen kann, das war uns gar nicht so bewusst."

Ein "Kollateralschaden" dieser Tabubrüche waren jede Menge schlechter PR: Von "Proleten-Fernsehen" und "Ekel-TV" war in den Zeitungen die Rede, die Landesmedienanstalten rügten auch schon mal die eine oder andere Sendung und auch den Zuschauern verging nach einiger Zeit die Lust auf Porno, Pannen und Proleten.

Ab 1989 kamen andere Fernsehmitbewerber auf den Markt, die Wichtigsten unter ihnen waren die Sender VOX, Pro7, RTL2 und Kabel Eins, die nach und nach sämtlich in die TV-Familien von RTL und Pro7/SAT.1 eingemeindet wurden.

Heute gleicht die Fernsehlandschaft einem Kuchen, an dem Dutzende knabbern - der Anteil der jeweiligen Sender am Zuschauer- und Werbemarkt ist deutlich kleiner geworden. Allerdings teilen sich die beiden großen Gruppen RTL und Pro7/SAT.1 noch immer über 60 Prozent des Marktes auf - und das, obwohl nicht erst seit der jetzigen Wirtschaftskrise immer häufiger Wiederholungen oder billig produzierte Ware ins Programm kommt.

Die Pro7/SAT.1-Gruppe hat es dabei in all den Jahren nicht geschafft, in ruhiges Fahrwasser zu kommen: Erst stritt sich Medienmogul Leo Kirch mit dem Axel-Springer-Verlag über die programmliche Ausrichtung von SAT.1, dann wurde Pro7/SAT.1 nach der Kirch-Pleite an den amerikanischen Medienmogul Haim Saban verkauft - und nun beherrschen die Finanzinvestoren "KKR/Permira" das Unternehmen.

Mit dem Umzug von SAT.1 von Berlin nach München ist man an einen Endpunkt angelangt - das sieht man auch in der Fernsehbranche so. Monatelang war unklar, wer künftiger Konzernchef werden sollte. Vor vier Wochen gab man bekannt: Ab 1.März 2009 wird der ehemalige Pharma-Manager Thomas Ebeling Pro7/SAT1 lenken. Eine gute Wahl? Eher das Ergebnis einer verzweifelten Suche, meint der Medienjournalist Steffen Grimberg:

"Man hat ja offenbar auch in der Branche reihum angeklopft, und das so lange nach Bekanntwerden des Ausscheidens von Guillaume de Posch, also des momentan noch amtierenden Vorstandschefs, hat man ja Monate hinter den Kulissen gesucht. Aber jeder hat offenbar dankend abgelehnt. Das ist ja das Entscheidende. Von daher ist das schon ein Schleudersitz, auf dem sich Herr Ebeling da jetzt befindet."

Doch trotz der anhaltenden Turbulenzen bei Pro7/SAT.1 und einer Werbeflaute bei allen Fernsehsendern, die sich 2009 womöglich noch verstärken wird: Die Bilanz nach 25 Jahren Privatfernsehen ist insgesamt positiv, meint der Direktor der Landesmedienanstalt Berlin-Brandenburg, Hans Hege, der selbst seit 1985 in dieser Funktion die kommerzielle Medienlandschaft beobachtet:

"Es hat durchaus einen befruchtenden Wettbewerb gegeben und gibt ihn noch. Die Privaten haben von den Öffentlich-rechtlichen durchaus auch gelernt, etwa bei den Anforderungen an die Programmqualität. Umgekehrt haben die Öffentlich-rechtlichen Sender heute mehr auf die Zuschauer Rücksichten zu nehmen, als es vorher war, als es noch keine Konkurrenz gab. Manchmal nähert sich das fast zu sehr an, die Frage stellt sich immer wieder neu. Und da denke ich, haben wir insgesamt doch ein ganz gutes Profil, einerseits des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der sich ja auch ausgebreitet hat, und der privaten Veranstalter auf der anderen Seite."