Szenische Darstellung auf der Opernbühne

„Spiel, spiel, spiel! Spiele mit Gefühl!“

56:34 Minuten
Maria Callas steht auf einer Opernbühne im bodenlangen Kleid, den Blick nach rechts gewandt, links von ihr ist die Pappkulisse eines Baums zu sehen.
Maria Callas als Norma © imago stock&people
Von Heidi Mottl · 20.12.2019
Wie hat sich bei der Interpretation von Opernrollen die Gewichtung zwischen Darstellung und Stimme verändert? Was erwarten Sängerinnen, Regisseure und Publikum?
Opernsänger und -sängerinnen müssen singen UND spielen, darin liegt der Reiz und gleichzeitig die Herausforderung dieses Berufs. Während ein Schauspieler die Entwicklung der Gefühle mehr oder weniger frei einteilen kann, muss der Sänger diese innerhalb der vorgegebenen Taktzahlen darstellen. Dieser entscheidende Unterschied hat dazu geführt, dass man lange Zeit dachte, in der Oper sei ja gar nichts zu spielen – im Sinne eines Vorgangs oder einer Entwicklung – sondern nur etwas zu demonstrieren und zu verdeutlichen. Das hat sich als Irrtum herausgestellt. Mittlerweile wird von Opernsängern eine psychologische und ebenso körperliche Darstellung gefordert wie von Schauspielern – nur "schön zu singen" reicht schon lange nicht mehr. Doch das ist keine Erfindung unserer Zeit.

Nicht nur schwach, krank oder wahnsinnig

In den letzten Jahrzehnten sind besonders die szenischen Anforderungen an die Opernsängerinnen gestiegen. Davor wurden die Frauenrollen von Regisseuren oft als Opfer konzipiert, die schwach, krank oder wahnsinnig wurden – und vor allem von der Willkür der Männer abhingen. Dieses Rollenverständnis wurde immer mehr in Frage gestellt und so fand – zumindest auf den progressiven Opernbühnen – ein sichtbarer Wechsel statt. Nach und nach wurden starke selbstbestimmte Frauenfiguren gefordert und ebensolche Sängerinnen. Eine der Vorreiterinnen war sicherlich Maria Callas.
Ebenfalls in den 1950er Jahren wurde Martha Mödl als große Frauengestalterin, vor allem in Opern von Richard Wagner und Richard Strauss, gefeiert. Die Mödl stand für ein erwachendes neues Kunstverständnis im Nachkriegseuropa. Ihre häufige Bühnen-Partnerin Astrid Varnay erklärte in einem Interview, dass ihr manchmal vor der absoluten Rollenidentifikation der Kollegin angst und bang würde.

Die Hochschule als geschützter Erfahrungsraum

Die Musikhochschulen haben auf den wachsenden Anspruch an das szenische Spiel von Opernsängern vergleichsweise spät reagiert. Doch heutzutage gehört die szenische Darstellung von Anfang an zur Ausbildung dazu und ist an vielen Hochschulen auch schon Bestandteil des Aufnahmeverfahrens. An der Universität der Künste in Berlin bewerben sich jedes Semester für den Studiengang Operngesang 200 Sängerinnen und Sänger, maximal 17 werden davon aufgenommen. Ein großer Teil der Bewerber kommt aus den asiatischen Ländern – oft mit völlig anderen Vorstellungen, was von einer Opernsängerin erwartet wird. Frank Hilbrich kennt als Regisseur die Praxis an den Opernbühnen, auf die er seine Gesangsstudenten so gut wie möglich vorbereiten möchte:
"Es geht ja auch eigentlich immer wieder darum, dass man Erfahrungsräume schafft, geschützte Erfahrungsräume, wo man eben auch ausprobieren darf, was man dann im Theateralltag dann nicht mehr einfach so riskieren kann. Und ich war sehr glücklich, dass hier die Gesangslehrer eben auch sofort sagten, ja das ist wunderbar, lass sie schreien, sie sollen wissen, wo die Stimme ist, schlimmstenfalls verschreien sie sich mal, das ist natürlich nicht gut, aber wann wenn nicht hier, darf denn das mal passieren?
Im Musikfeuilleton von Heidi Mottl berichten Opernsängerinnen aus drei Generationen von ihren Erfahrungen: Ute Trekel-Burckhardt und Karan Armstrong, Nicole Chevalier, Alma Sadé und Marie Sofie Jacob.
Im Anschluss:
Carola Malter im Gespräch mit der jungen Mezzosopranistin Marie Seidler.
Mehr zum Thema