Szenensplitter eines Fragments
Es ist ein Stück über das Scheitern: Die Geschichte vom Soldaten Woyzeck, der an der Gesellschaft und ihren Gewaltverhältnissen zugrunde geht, wurde in den letzten Jahren häufig gespielt. Tilmann Köhler zersplittert das Drama kunstvoll und radikal, bezieht das Publikum in seine Inszenierung ein – wobei Verständlichkeit und Spannung jedoch auf der Strecke bleiben.
Büchners „Woyzeck“, erst 1913, 77 Jahre nach dem Tod des Dichters, zu seinem 100. Geburtstag in München uraufgeführt, wird mittlerweile viel auf deutschen Bühnen gespielt. Das eigentlich titellose Fragment mit seinen ständig den Ort wechselnden Szenen, in denen die geschundene Kreatur Woyzeck an der Gesellschaft und ihren Gewaltverhältnissen scheitert, das zugleich Eifersuchts- und Sozialdrama, Rühr- und Aufrührstück sein kann, wird gern zum sozialpolitischen Kommentar aktualisiert und zu einem durchgehenden Handlungsstück geglättet. So hat Volker Lösch seinen Woyzeck im vergangenen Jahr in Dresden in die Mitte der Gesellschaft eintauchen und dort an den rechten Gewaltverhältnissen scheitern lassen. In Berlin wurde der Woyzeck an der Schaubühne allein dreimal inszeniert, von Michael König, Michael Simon und zuletzt 2003 von Thomas Ostermeier. Ostermeier verortete seinen Verlierer Woyzeck in ostdeutscher Provinz, wie es auf ganz andere Weise bereits Andreas Kriegenburg 1991 an der Volksbühne getan hatte.
Tilman Köhler dagegen taucht nicht ein in eine soziale Bilderwelt unserer Zeit. Der 28-jährige Köhler zersplittert Büchners Szenensplitter radikal, zuweilen bis zur Unkenntlichkeit von Figuren und Entwicklungen. Dabei zeigt seine theatrale Versuchsanordnung über den Weg eines Subjekts zum Objekt weder einen konkreten Ort noch ein genau gezeichnetes Subjekt, sondern vermittelt vor allem ein Zeitgefühl.
Bei Büchner heißt es einmal „Freies Feld“, und etliche Szenen finden auf dem Jahrmarkt statt. Die offene, nackte, von einem Gitterkäfig umfangene Bühne von Karoly Risz wirkt wie ein Druckraum, – für die Stückfiguren, die Schauspieler und die Zuschauer. Wir sind gefangen, in undeutlichen, aber bedrängen Verhältnissen.
Diese Bühne gibt der Öffentlichkeit einer zeitlosen Gesellschaft Raum für die Ziellosigkeit ihres Jahrmarkttreibens. Dabei müssen die meisten Zuschauer auf der Bühne stehen und immer wieder den Schauspielern ausweichen, die durch den Raum hetzen oder ihre vier Spielpodeste durch die Menge treiben (nur wenige finden Platz auf stegartigen, unbequemen Sitzgelegenheiten). Gespielt wird mit starkem körperlichem Einsatz. Es wird viel auf das Gitter geklettert und von den Podesten herab aufgesagt, und ein Jazztrio gibt aus dem Rang den hektischen Antrieb dazu.
Tilman Köhler und sein Dramaturg Ludwig Haugk haben viele Szenen umgestellt, sie haben das Fragmentarische der Texte weitergetrieben und die Szenen zu Kürzestsituationen verknappt und ineinander montiert. Außerdem haben sie das 20-köpfige Büchner'sche Personal auf mehr als die Hälfte verringert, und nur fünf Schauspieler teilen sich die verbliebenen Figuren. All dies ist mit großer Kunstfertigkeit gemacht, doch vermag es allenfalls den Stückkenner zu erfreuen, während viele Zuschauer deutliche Verständnisprobleme hatten.
Eine Spielleiterin (Hilke Altefrohne) mit Frack und zart angedeutetem Bart wirft zu Beginn eine Pferdemaske für die Jahrmarktsszene mit dem dressierten Pferd auf die Bühne und gibt das Motto vor: „Sehn Sie die Kreatur, wie Gott gemacht: nichts, nichts, nichts.“ Diese Ausruferin, wie alle oft mit dem Mikrofon hantierend, kommentiert, zitiert, weist an, fragt nach und flüstert ein, sagt und singt vor.
Der dunkelhäutige Michael Klammer ist ein lieb verwirrter Woyzeck, kein „offenes Rasiermesser“, und Robert Kuchenbuchs Tambourmajor, bei Büchner „ein Kerl wie ein Baum“, ist kein strahlendes, sondern ein eher unscheinbares Mannsbild, das immer davon redet, dass es seinen Federbusch holen werde, während Julischka Eichel als Marie, mit einer umgehängten Babypuppe herumtobend, ihre Augen blitzen und ihre langen Kunsthaare wehen lässt. Sie alle sind weniger Figuren als Ideen und Teil eines vielstimmigen öffentlichen Chores, der manch Lied zwischen „Ein Jäger aus der Pfalz“ und einem sinnsucherischem Choral zum Besten gibt oder das „Märchen vom arm Kind“, verteilt im Raum, dem Publikum vorträgt.
Es gibt manch schöne Szene, so, wenn Marie über die Weite des Raums vergeblich ihre Arme für Woyzeck ausstreckt und flehend ruft: „Rühr mich an, Franz“, oder wenn Woyzeck sein Geld, wie in einer Stafette, letztlich vom Konkurrenten, dem Major, bekommt. Doch insgesamt verdeutlicht oder verdichtet die dramaturgische Einrichtung keinen Aspekt des Stückes, und zugleich werden dadurch, dass außer den Darstellern von Woyzeck und Marie alle anderen mehrere Rollen spielen, die Haltungen und Handlungen des Doktors und des Hauptmanns sogar bis zur Undeutlichkeit verwischt.
Schön gedacht ist dann der Schluss: da stehen Woyzeck und Marie sich auf zwei Podesten gegenüber, und Woyzeck tötet sie nicht mit dem Messer, sondern mit seinen zweifelnden Worten, bis der eiserne Vorhang zwischen ihnen herunter geht.
Was die Inszenierung besitzt, sind ein Konzept, etliche schöne Einzelszenen und viele Aha-Momente für den Büchner-Kenner. Was der Inszenierung aber fehlt, ist nicht nur Büchners Poesie, sondern auch Spannung, Stringenz und allgemeine Verständlichkeit.
Tilman Köhler dagegen taucht nicht ein in eine soziale Bilderwelt unserer Zeit. Der 28-jährige Köhler zersplittert Büchners Szenensplitter radikal, zuweilen bis zur Unkenntlichkeit von Figuren und Entwicklungen. Dabei zeigt seine theatrale Versuchsanordnung über den Weg eines Subjekts zum Objekt weder einen konkreten Ort noch ein genau gezeichnetes Subjekt, sondern vermittelt vor allem ein Zeitgefühl.
Bei Büchner heißt es einmal „Freies Feld“, und etliche Szenen finden auf dem Jahrmarkt statt. Die offene, nackte, von einem Gitterkäfig umfangene Bühne von Karoly Risz wirkt wie ein Druckraum, – für die Stückfiguren, die Schauspieler und die Zuschauer. Wir sind gefangen, in undeutlichen, aber bedrängen Verhältnissen.
Diese Bühne gibt der Öffentlichkeit einer zeitlosen Gesellschaft Raum für die Ziellosigkeit ihres Jahrmarkttreibens. Dabei müssen die meisten Zuschauer auf der Bühne stehen und immer wieder den Schauspielern ausweichen, die durch den Raum hetzen oder ihre vier Spielpodeste durch die Menge treiben (nur wenige finden Platz auf stegartigen, unbequemen Sitzgelegenheiten). Gespielt wird mit starkem körperlichem Einsatz. Es wird viel auf das Gitter geklettert und von den Podesten herab aufgesagt, und ein Jazztrio gibt aus dem Rang den hektischen Antrieb dazu.
Tilman Köhler und sein Dramaturg Ludwig Haugk haben viele Szenen umgestellt, sie haben das Fragmentarische der Texte weitergetrieben und die Szenen zu Kürzestsituationen verknappt und ineinander montiert. Außerdem haben sie das 20-köpfige Büchner'sche Personal auf mehr als die Hälfte verringert, und nur fünf Schauspieler teilen sich die verbliebenen Figuren. All dies ist mit großer Kunstfertigkeit gemacht, doch vermag es allenfalls den Stückkenner zu erfreuen, während viele Zuschauer deutliche Verständnisprobleme hatten.
Eine Spielleiterin (Hilke Altefrohne) mit Frack und zart angedeutetem Bart wirft zu Beginn eine Pferdemaske für die Jahrmarktsszene mit dem dressierten Pferd auf die Bühne und gibt das Motto vor: „Sehn Sie die Kreatur, wie Gott gemacht: nichts, nichts, nichts.“ Diese Ausruferin, wie alle oft mit dem Mikrofon hantierend, kommentiert, zitiert, weist an, fragt nach und flüstert ein, sagt und singt vor.
Der dunkelhäutige Michael Klammer ist ein lieb verwirrter Woyzeck, kein „offenes Rasiermesser“, und Robert Kuchenbuchs Tambourmajor, bei Büchner „ein Kerl wie ein Baum“, ist kein strahlendes, sondern ein eher unscheinbares Mannsbild, das immer davon redet, dass es seinen Federbusch holen werde, während Julischka Eichel als Marie, mit einer umgehängten Babypuppe herumtobend, ihre Augen blitzen und ihre langen Kunsthaare wehen lässt. Sie alle sind weniger Figuren als Ideen und Teil eines vielstimmigen öffentlichen Chores, der manch Lied zwischen „Ein Jäger aus der Pfalz“ und einem sinnsucherischem Choral zum Besten gibt oder das „Märchen vom arm Kind“, verteilt im Raum, dem Publikum vorträgt.
Es gibt manch schöne Szene, so, wenn Marie über die Weite des Raums vergeblich ihre Arme für Woyzeck ausstreckt und flehend ruft: „Rühr mich an, Franz“, oder wenn Woyzeck sein Geld, wie in einer Stafette, letztlich vom Konkurrenten, dem Major, bekommt. Doch insgesamt verdeutlicht oder verdichtet die dramaturgische Einrichtung keinen Aspekt des Stückes, und zugleich werden dadurch, dass außer den Darstellern von Woyzeck und Marie alle anderen mehrere Rollen spielen, die Haltungen und Handlungen des Doktors und des Hauptmanns sogar bis zur Undeutlichkeit verwischt.
Schön gedacht ist dann der Schluss: da stehen Woyzeck und Marie sich auf zwei Podesten gegenüber, und Woyzeck tötet sie nicht mit dem Messer, sondern mit seinen zweifelnden Worten, bis der eiserne Vorhang zwischen ihnen herunter geht.
Was die Inszenierung besitzt, sind ein Konzept, etliche schöne Einzelszenen und viele Aha-Momente für den Büchner-Kenner. Was der Inszenierung aber fehlt, ist nicht nur Büchners Poesie, sondern auch Spannung, Stringenz und allgemeine Verständlichkeit.