System der Rücksichtnahme und Gängelung
Norbert Mappes-Niedik resümiert in seinem Buch die "Ethno-Falle" die Entstehung der letzten Balkan-Kriege. Der einstige UNO-Sonderbeauftragte für das ehemalige Jugoslawien kommt zu dem Schluss, dass die feindlichen Auseinandersetzungen nicht aufgrund von Religion und Volkszugehörigkeit ausgebrochen sind, sondern weil vorher 40 Jahre lang ein System der paritätischen Rücksichtnahme und Gängelung herrschte.
Norbert Mappes-Niediek lebt seit 1992 als freier Korrespondent für Österreich und Südosteuropa in der Steiermark. 1994/95 war er sogar Berater des UNO-Sonderbeauftragten für das ehemalige Jugoslawien. Sein viel beachtetes Buch über die Balkan-Mafia wurde in Kroatien, Bosnien, Mazedonien und Rumänien verlegt – er kennt sich aus in der Materie balkanischer Verstrickungen. Und will uns in seinem neuen Buch ‚Die Ethno-Falle’ ein Resümee anbieten. Was kann Europa aus den Balkan-Kriegen der Neunziger Jahre lernen?
" Auch in Jugoslawien galten alte Animositäten lange als vergessen…..Nicht die "Wiederkehr der Geschichte", das Erwachen böser Geister aus einem Dornröschenschlaf hat das Land für die Zerstörung vorbereitet, sondern die strukturelle Opposition zwischen ganz unsentimentalen und unideologischen Gemeinschaften – ein bürokratisches business as usual ….. wie wir es auch auf EU-Gipfeln beobachten können. Kommt es eines Tages in Europa zum Austragen der Gegensätze, wird gewiss auch wieder jemand auf den Dachboden steigen und in der – reich gefüllten – Mottenkiste wühlen."
Jener der nationalistischen Mythen und Komplexe, der sich dann jeder Konflikt bedient. Dieses Zitat stammt aus dem Schlusskapitel jenes lesenswerten und dennoch anstrengenden Buches. Denn die Realität selbst ist verwirrend – und glaubwürdige positive Perspektiven zu stiften bleibt mühsam.
Was der Leser aus diesem Buch lernen kann? Wie ein Konflikt zustande kam, welche Ursachen zu welchen Folgen führten und wie sich die Geschichte oft als Kette vermeintlicher Absurditäten entwickelt. Der Autor belegt, dass die kulturellen Unterschiede zwischen den Volksgruppen in Bosnien kaum größer waren und sind als jene zwischen Katholiken und Protestanten in Deutschland.
Ja, wäre die vorhandene Differenz entscheidend gewesen, hätten Konflikte zwischen den Slowenen und Albanern entstehen müssen. Aber offenbar inspirierte eher die Nicht-Unterscheidbarkeit von Kroaten und Serben den Konflikt. Selbst zu Zeiten praktizierter Kriegsverbrechen gab es parallel eine merkwürdige ethnische und religiöse Toleranz. Als glaube man nicht ganz an den eigenen Hass. Fundamentalisten, Ultra-Nationalisten haben den Krieg dominiert, sondern die Pragmatiker, die Technokraten..
" Was die Gesellschaftsvorstellungen betraf, dominierte auf allen Seiten eine überraschend uniforme post-sozialistische Haltung…..eine Mischung aus überkommenen Materialismus, sozialem Versorgungsdenken …..und überhaupt allem, was irgendwie mit Pathos daherkam."
Nicht die kulturellen und sozialen Unterschiede brachten die Volksgruppen gegeneinander auf, sondern das System eines Zentral-Staates, diese permanent auszugleichen. So unterstützte 1971 die kroatische Parteiführung eine reformorientierte Demokratiebewegung – und wurde entmachtet.
Weil es aber bei politischen Säuberungen nicht gerecht, sondern paritätisch zugehen durfte, so der Autor, entließ Staatschef Tito im Jahr darauf die serbische Parteiführung. Er entmachtete damit die letzte Gruppe von Politikern, die ihm und dem jugoslawischen Staat zugetan war. Bitteres Fazit:
" Fortan lebte Jugoslawien nicht mehr von seinen überzeugten Verteidigern, sondern nur noch vom Patt zwischen seinen Gegnern.- eine Lage, die auch heute, nach dem Kriege, dem Nachfolgerstaat Bosnien seine trügerische Stabilität garantiert."
Was dann der Autor anbietet, sind harte Schlussfolgerungen aus unbequemen Tatsachen: das jugoslawische System permanent durchquotierter Rücksichtsnahme war klar reformunfähig. Die Aufteilungskriege waren der "Rückzug aus einer Sackgasse ohne Wendemöglichkeit". Von Technomanagern geplant und vorangetrieben, die permanente nationale Ansprüche von Minderheiten und ihre gewohnten Rechte als lästig und gefährlich für einen nötigen Demokratisierungsprozess ansahen. Vertreibungen als Kriegsziel, um die Staaten künftig besser zu regieren.
Europa ließ sich auf mehrfache Weise täuschen. Und gerade für Länder wie Deutschland, wo man Kriege als praktisches Mittel der Politik nicht einmal mehr denken möchte, ergibt sich die Frage, ob es Schritte zum Krieg hin überhaupt noch als solche wahrnehmen kann.
Gerade der europäische Westen urteilt oft mit der großzügigen Arroganz jener, die sich selbst per se die Macht zubilligen, jedes Problem bei gutem Willen zu lösen. Manchmal ist aber schon viel damit erreicht, Spannungen einzufrieren oder ihre negativen Auswirkungen zu beschränken. Was kann also Europa aus diesem Konflikt lernen? Zwei- und dreimal hinzuschauen und nicht raschen Erklärungen zu vertrauen. Und unbequeme Bücher wie dieses zur Kenntnis zu nehmen.
Norbert Mappes-Niediek: Die Ethno-Falle
Der Balkan-Konflikt und was Europa daraus lernen kann
Christoph-Links-Verlag, Berlin 2005
" Auch in Jugoslawien galten alte Animositäten lange als vergessen…..Nicht die "Wiederkehr der Geschichte", das Erwachen böser Geister aus einem Dornröschenschlaf hat das Land für die Zerstörung vorbereitet, sondern die strukturelle Opposition zwischen ganz unsentimentalen und unideologischen Gemeinschaften – ein bürokratisches business as usual ….. wie wir es auch auf EU-Gipfeln beobachten können. Kommt es eines Tages in Europa zum Austragen der Gegensätze, wird gewiss auch wieder jemand auf den Dachboden steigen und in der – reich gefüllten – Mottenkiste wühlen."
Jener der nationalistischen Mythen und Komplexe, der sich dann jeder Konflikt bedient. Dieses Zitat stammt aus dem Schlusskapitel jenes lesenswerten und dennoch anstrengenden Buches. Denn die Realität selbst ist verwirrend – und glaubwürdige positive Perspektiven zu stiften bleibt mühsam.
Was der Leser aus diesem Buch lernen kann? Wie ein Konflikt zustande kam, welche Ursachen zu welchen Folgen führten und wie sich die Geschichte oft als Kette vermeintlicher Absurditäten entwickelt. Der Autor belegt, dass die kulturellen Unterschiede zwischen den Volksgruppen in Bosnien kaum größer waren und sind als jene zwischen Katholiken und Protestanten in Deutschland.
Ja, wäre die vorhandene Differenz entscheidend gewesen, hätten Konflikte zwischen den Slowenen und Albanern entstehen müssen. Aber offenbar inspirierte eher die Nicht-Unterscheidbarkeit von Kroaten und Serben den Konflikt. Selbst zu Zeiten praktizierter Kriegsverbrechen gab es parallel eine merkwürdige ethnische und religiöse Toleranz. Als glaube man nicht ganz an den eigenen Hass. Fundamentalisten, Ultra-Nationalisten haben den Krieg dominiert, sondern die Pragmatiker, die Technokraten..
" Was die Gesellschaftsvorstellungen betraf, dominierte auf allen Seiten eine überraschend uniforme post-sozialistische Haltung…..eine Mischung aus überkommenen Materialismus, sozialem Versorgungsdenken …..und überhaupt allem, was irgendwie mit Pathos daherkam."
Nicht die kulturellen und sozialen Unterschiede brachten die Volksgruppen gegeneinander auf, sondern das System eines Zentral-Staates, diese permanent auszugleichen. So unterstützte 1971 die kroatische Parteiführung eine reformorientierte Demokratiebewegung – und wurde entmachtet.
Weil es aber bei politischen Säuberungen nicht gerecht, sondern paritätisch zugehen durfte, so der Autor, entließ Staatschef Tito im Jahr darauf die serbische Parteiführung. Er entmachtete damit die letzte Gruppe von Politikern, die ihm und dem jugoslawischen Staat zugetan war. Bitteres Fazit:
" Fortan lebte Jugoslawien nicht mehr von seinen überzeugten Verteidigern, sondern nur noch vom Patt zwischen seinen Gegnern.- eine Lage, die auch heute, nach dem Kriege, dem Nachfolgerstaat Bosnien seine trügerische Stabilität garantiert."
Was dann der Autor anbietet, sind harte Schlussfolgerungen aus unbequemen Tatsachen: das jugoslawische System permanent durchquotierter Rücksichtsnahme war klar reformunfähig. Die Aufteilungskriege waren der "Rückzug aus einer Sackgasse ohne Wendemöglichkeit". Von Technomanagern geplant und vorangetrieben, die permanente nationale Ansprüche von Minderheiten und ihre gewohnten Rechte als lästig und gefährlich für einen nötigen Demokratisierungsprozess ansahen. Vertreibungen als Kriegsziel, um die Staaten künftig besser zu regieren.
Europa ließ sich auf mehrfache Weise täuschen. Und gerade für Länder wie Deutschland, wo man Kriege als praktisches Mittel der Politik nicht einmal mehr denken möchte, ergibt sich die Frage, ob es Schritte zum Krieg hin überhaupt noch als solche wahrnehmen kann.
Gerade der europäische Westen urteilt oft mit der großzügigen Arroganz jener, die sich selbst per se die Macht zubilligen, jedes Problem bei gutem Willen zu lösen. Manchmal ist aber schon viel damit erreicht, Spannungen einzufrieren oder ihre negativen Auswirkungen zu beschränken. Was kann also Europa aus diesem Konflikt lernen? Zwei- und dreimal hinzuschauen und nicht raschen Erklärungen zu vertrauen. Und unbequeme Bücher wie dieses zur Kenntnis zu nehmen.
Norbert Mappes-Niediek: Die Ethno-Falle
Der Balkan-Konflikt und was Europa daraus lernen kann
Christoph-Links-Verlag, Berlin 2005