"Hier habe ich mehr Freiheit"
"In Syrien war ich gezwungen ein Kopftuch zu tragen", sagt Ghada, die in einer Berliner Flüchtlingsunterkunft lebt. Sie und andere Frauen ordnen ihr Leben in Deutschland neu: Ghadas Tochter soll zum Schwimmunterricht, sie selbst möchte einen Job erlernen.
Mai Zehna, 39 Jahre alt, vor dreieinhalb Jahren aus Syrien gekommen, lebt jetzt in Berlin.
"Die Gesetze in Syrien unterstützen Frauen nicht so richtig. Es gibt schriftliche Gesetze, aber in der Realität ist es total anders. Zum Beispiel: In Syrien ist es verboten, dass ein Mann seine Frau schlägt. Aber in der Realität passiert das trotzdem. Es gibt so viele Kulturunterschiede. Die Gesellschaft schaut unterschiedlich auf Mann und Frau. Es gibt hier mehr Unterstützung und Freiheit als in Syrien für Frauen."
In Syrien hat Mai als Kunstlehrerin gearbeitet, in Deutschland macht sie eine berufsbegleitende Erzieherausbildung und arbeitet zwei Tage pro Woche im Kindergarten. Mai ist in Jableh gebore, an der syrischen Mittelmeerküste.
"Ich bin in einer offenen Familie aufgewachsen und wurde genauso erzogen wie mein Bruder. Zwischen uns gab es keine Unterschiede. Dort wo ich geboren und aufgewachsen bin, kennen die Leute sich. Es ist eine weltoffene Stadt. Die Frauen sehen europäisch aus. Natürlich gibt es auch Frauen mit Kopftuch, aber viele sind auch unverschleiert."
"Die Rechte von Frauen werden in Syrien unterdrückt"
Mai Zehnas Erfahrungen sind ganz andere als sie Ghada gemacht hat. Die 44-Jährige kam vor sieben Monaten aus Aleppo. Sie flüchtete vor ihrem Mann und ihrer radikal religiösen Familie. Ihren Nachnamen nennen wir deshalb nicht. Nach Deutschland kam Ghada nur mit ihrem kleinsten Kind: einem Sohn. Ihre Tochter und ihren ältester Sohn musste sie bei ihrem Mann in Syrien lassen.
"Die Rechte von Frauen werden in Syrien unterdrückt. Wir müssen uns den Regeln beugen. Unsere Familien bestimmen. Ich habe genug davon."
Ghada wohnt jetzt in einem kleinen Zimmer mit ihrem dreijährigen Sohn in einer Berliner Flüchtlingsunterkunft. Hier in Deutschland trägt sie kein Kopftuch mehr. Das ist für sie eine Befreiung von den strengen Tradition in ihrer Familie. Trotzdem drückt sich Religion für sie nicht in einem Stück Stoff aus.
"In Syrien war ich gezwungen, ein Kopftuch und einen langen, schwarzen Mantel zu tragen. Die strikten Regeln und die Intoleranz vom radikalisierten Teil der Gesellschaft sind härter, als die religiösen Vorschriften. Hier in Deutschland habe ich mehr Freiheit. Ich bin weit weg von der Unterdrückung. Und der Islam ist ja auch nicht, was wir tragen, sondern das, was wir füreinander tun."
Ghada durfte in Syrien nicht arbeiten. Das wollten Mann und Familie nicht. In Deutschland will sie arbeiten - vielleicht als Köchin. Ihren Mann würde sie nur nachholen, wenn der ihr neues Leben akzeptiert. Das bedeutet auch, dass ihr Tochter hier in Deutschland keine Hijab tragen müsste - das Tuch, das Haare und Hals verdeckt. Ghada hat auch kein Problem damit, wenn ihre Tochter zu den Klassenfahrten fahren würde. Im Schwimmunterricht soll sie allerdings einen Badeanzug tragen, der auch Arme und Beine bedeckt. Das sei passender im islamischen Glauben.
"Mädchen müssten anders kontrolliert werden als Jungs"
In der selben Flüchtlingsunterkunft wie Ghada wohnt auch Dalal Ebrahim. Sie hat bislang noch keine Tochter, dafür aber fünf Söhne. Davon ist einer in Syrien vermisst - in einem der Gefängnisse der Assad-Regierung. Ihr Mann ist noch verzweifelt auf der Suche, wo genau der Sohn ist. Dalal ist erst vor drei Monaten mit drei Söhnen von Damaskus nach Deutschland gekommen. Beim Thema Mädchen - denkt die 43-Jährige - gibt es Unterschiede. Mädchen müssten anders kontrolliert werden als Jungs.
"Mein Sohn darf am Schwimmunterricht teilnehmen, aber hätte ich eine Tochter, würde ich das niemals akzeptieren."
Dass Schwimmunterricht sogar lebenswichtig sein kann, erzählt Buthaina Mustaffa. Das neunjährige Mädchen wäre bei ihrer Flucht über die Ägäis beinahe im Meer ertrunken, erzählt sie. Jetzt will sie unbedingt schwimmen lernen, obwohl sie sich schämt.
"Ich gehe gerne schwimmen. Aber wenn Jungs dabei sind, schäme ich mich. Wenn die Mädchen unter sich bleiben, ist es okay."
Buthaina kam vor einem Jahr mit ihrer Familie nach Deutschland. Sie stammt aus dem Norden Syriens, aus den kurdischen Gebieten. Als sie herkamen, trug ihre Mutter noch eine Hijab. Jetzt nicht mehr, sie will sich hier anpassen, möchte als Krankenpflegerin arbeiten - und das Kopftuch passte besser die frühere Heimat.
Damit geht es Buthainas Mutter wie vielen syrische Frauen. In Deutschland verändern viele ihre Einstellungen, auch wenn das Spektrum groß ist. Das bestätigt auch die Anwältin Mona Asaad. Die 59-Jährige hat in Damaskus misshandelte Frauen für die Hilfsorganisation "Die Schwestern des Guten Hirten" kostenlos anwaltlich unterstützt.
"In Syrien gibt es ganz unterschiedliche Frauen. Manche sind in sehr offenen Familien aufgewachsen, andere stammen aus einem religiös-fanatischen Umfeld. Es gibt Frauen, die gut ausgebildet sind und die arbeiten gehen, andere bleiben im Haus. Es gibt auch Unterschiede zwischen Städten und Dörfern. Das Leben im Dorf ist für die Frauen meistens schwerer, weil die Frauen hier besonders stark von den Männern unterdrückt werden."
Anwältin Mona Asaad baut zur Zeit mit anderen deutschen Freunden eine Initiative auf, die Workshops in Berliner Asylheimen anbieten soll. Dort will sie vor allen Dingen Geflüchtete ansprechen, die über Monate auf ihre Papiere warten und dort schlichtweg nichts zu tun haben. Gemeinsam wollen sie über die deutsche Kultur sprechen und Fragen zu Gesetzen, Gewohnheiten und Verpflichtungen beantworten.
Am Anfang fällt es schwer, die neuen Regeln zu akzeptieren
"Die Neuankömmlinge haben viele Probleme mit dem deutschen System und den Gesetzen. Am Anfang fällt es vielen schwer, aber sie müssen die Regeln in der neuen Gesellschaft akzeptieren, auch wenn das nicht immer einfach ist, weil sie neu sind. Ich möchte mit meinen deutschen Freunden in Asylheime gehen, zu den Leuten, die dort manchmal sechs Monate auf Papiere warten. In dieser Zeit können wir sie vorbereiten auf die neue Gesellschaft. Mit ihnen gemeinsam über die Gesetze sprechen, die Verfassung, die Kultur, damit es für sie verständlicher wird, und sie wissen, was ihre Aufgabe ist."
Obwohl die syrischen Frauen viele unterschiedliche Meinungen vertreten, haben sie doch eine Gemeinsamkeit: Sie müssen in Deutschland ein neues Leben anfangen. Viele von ihnen sind stark und motiviert, so mein Eindruck. Bis sie in Deutschland wirklich angekommen sind, müssen aber beide Kulturen noch viel miteinander reden. Denn nur im Dialog miteinander werden Syrer und Deutsche es schaffen, sich wirklich zu verstehen.