Syrien

Klage über systematische Folter

Die Schweizer Juristin Carla Del Ponte bei einer Pressekonferenz der "Commission of Inquiry on Human Rights in Syria" am 18.3.2014 im europäischen Hauptsitz der UN in Genf
Carla Del Ponte bei einer Pressekonferenz der "Commission of Inquiry on Human Rights in Syria" in Genf © picture-alliance / dpa / Salvatore Di Nolfi
Moderation: Nana Brink · 18.07.2014
Die UN-Ermittlerin Carla Del Ponte wirft dem UN-Sicherheitsrat Untätigkeit bei der Suche nach einer politischen Lösung für die Syrien-Krise vor. Die Schweizer Juristin berichtet von systematischen Folterungen im Bürgerkriegsland. Trotz mehrerer Anfragen darf sie nicht in das Land reisen, um ihre Aufgabe zu erfüllen.
Nana Brink: Der Bürgerkrieg in Syrien, der seit Beginn 2011 schon mehr als 170.000 Menschen das Leben gekostet hat, der ist ein wenig in den Hintergrund der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Baschar al-Assad ist ja diese Woche zum dritten Mal als Präsident vereidigt worden und ein Ende des Bürgerkriegs scheint in weite Ferne gerückt. Auch die internationale Gemeinschaft scheint machtlos, derweil werden beiden Seiten, sowohl dem Assad-Regime, aber auch den Aufständischen Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Die Schweizerin Carla Del Ponte war Chefanklägerin des internationalen Kriegsverbrechertribunals für Ex-Jugoslawien, jetzt ist sie Mitglied in der Kommission aus internationalen Juristen zu Menschenrechtsverletzungen in Syrien, die ist von der UN 2011 ins Leben gerufen. Einen schönen guten Morgen, Frau Del Ponte!
Carla Del Ponte: Guten Morgen!
Brink: Woher bekommen Sie denn Informationen? Sie können ja eigentlich nicht nach Syrien reisen!
Del Ponte: Ja, das stimmt leider. Wir haben mehrmals eine Anfrage gestellt, aber bislang wurde alles abgelehnt. Wir können nicht nach Syrien. Aber natürlich ermitteln wir in den Nachbarländern. Und wir einvernehmen alle Leute, die herausgeflogen sind aus dem Staat. Wir haben mehr als 3.200 Interviews gemacht, das sind Opfer, das sind auch Leute, die dabei waren. Und natürlich sind das gute Zeugen für unsere Ermittlungen.
Brink: Wie muss ich mir das vorstellen: Sprechen Sie dann mit den Menschen in den Flüchtlingslagern oder wie kommen Sie an die ran?
Del Ponte: Das ist es, in den Flüchtlingslagern, in den Spitälern und wir sind auch an der Grenze.
Brink: Nun ist ja gesagt, ich habe es schon erwähnt, es gibt Menschenrechtsverletzungen auf beiden Seiten. Haben Sie dafür auch Beweise oder Anzeichen?
Del Ponte: Oh doch, wir haben etliche Beweise gesammelt, von beiden Seiten dieser Menschenrechtsverletzungen. Aber leider gibt es kein internationales Tribunal, keinen Gerichtshof. Und wir sammeln alle Beweise und warten darauf, dass schlussendlich doch ein internationales Tribunal etwas machen könnte. Denn sonst ist unsere Arbeit hilflos. Die hohen politischen und militärischen Verantwortlichen müssen vor Gericht kommen.
Brink: Können Sie uns noch etwas näher erklären, um welche Art von Menschenrechtsverletzungen es sich denn handelt auf beiden Seiten? Was konnten Sie da recherchieren?
Kinder als Kämpfer und Opfer des Krieges
Del Ponte: Meistens sind das natürlich Tötungen. Aber was wir hier gesehen haben, bevor all diese Opfer getötet wurden, sind sie gefoltert worden. Also, die Foltermethoden, die dort angewendet werden, haben wir noch nie gesehen, es ist unglaublich. Und natürlich sind es Männer, sind es Frauen, sind es auch Kinder. Denn was auch sehr tragisch ist, ist, dass die Kinder auch in die Konflikte involviert sind, das heißt, sie sind auch Kämpfer. Also, 12 bis 15-jährige Kinder müssen kämpfen und dadurch sind sie auch oft Opfer dieses Krieges.
Brink: Sie sind ja nun sehr erfahren, wie gesagt, Sie waren Chefanklägerin des Internationalen Kriegsverbrechertribunals für Ex-Jugoslawien und jetzt sagen Sie, das sind Methoden, die Sie noch nie gesehen haben?
Del Ponte: Exakt, das ist aus meiner Erfahrung nicht nur von Ex-Jugoslawien, auch vom Ruanda-Tribunal, da war ich auch Chefanklägerin. Aber das, was wir jetzt hier jetzt erleben in Syrien, die Folter, die angewendet wird, ist unglaublich, unglaublich. Darum glaube ich, man sollte das in einem Gerichtshof darstellen können.
Brink: Das ist bislang ja nicht so bekannt geworden, es soll ja bereits Listen geben für eine mögliche Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof. Wie groß ist denn wirklich die Hoffnung, dass es jemals zu so einer Anklage kommen wird? Sie sind ja nicht sehr optimistisch, oder Sie klingen nicht so.
Del Ponte: Ja, wissen Sie, ich glaube, dass früher oder später doch wir dazu kommen, dass der Internationale Gerichtshof sich damit beschäftigt. Aber die Zeit, die vergeht, ist natürlich sehr schädlich. Denn jeden Tag haben wir neue Opfer von diesen Verbrechen. Und das ist, was mich eigentlich verärgert. Denn wenn Gerechtigkeit, wenn Justiz ein Schritt sein könnte, ich bin sicher, wäre das etwas weniger, also weniger Opfer, weniger von diesen Kriegsverbrechen. Aber eben niemand kümmert sich von der internationalen Gemeinschaft darum. Und natürlich, die Leute, die dort kämpfen, glauben, sie sind außerhalb des Gesetzes und sie können machen, was sie wollen. Das ist ein bisschen, was wir erfahren.
Systematische Folterungen auf beiden Seiten
Brink: Sie sagen ja dann, diese Folterungen sind auch wirklich systematisch?
Del Ponte: Sie sind systematisch von beiden Seiten. Wir haben Folter in den Gefängnissen, in den Checkpoints haben wir etliche Folterungen und ... Also, es ist einfach ... Was wir jetzt erfahren haben, das ist einfach ... Folter ist etwas, das sich sofort einstellt, wenn sie Leute im Gefängnis gefangen halten.
Brink: Sie haben ja auch Zeugen von Massakern in Syrien befragt und Kollegen von Ihnen glauben, dass ja schriftliche Beweise für einen möglichen Prozess gerichtsfester sind. Gibt es überhaupt einen realistischen Weg der internationalen Gemeinschaft, diesen Bürgerkrieg zu stoppen?
Del Ponte: Das ist die große Frage. Denn natürlich haben wir immer in unseren Berichten gesagt, es muss eine politische Lösung sein. Aber wie Sie sehen, die politische Lösung ist immer weg. Jetzt mit Genf II sind wir zu nichts gekommen, sogar Mister Brahimi hat abgesagt. Wenn Sie denken, die besten Mediatoren, die wir hatten, also Kofi Annan und Brahimi, sind weg, jetzt kommt ein dritter, de Mistura, aber man sieht keinen Weg, keine friedliche Lösung. Und im Kriegsgebiet glauben beide Seiten, sie werden diesen Krieg gewinnen. Und natürlich geht das einfach weiter, denn von beiden Seiten bekommen sie neue Waffen, neue finanzielle Mittel, und die kämpfen weiter. Also, was wir hier sehen, ist, dass der Krieg kein Ende hat.
"Der UN-Sicherheitsrat hat von Anfang an gefehlt"
Brink: Haben Sie denn das Gefühl, dass die internationale Gemeinschaft sich zurückgezogen hat?
Del Ponte: Ich meine, die internationale Gemeinschaft, und ich denke hier besonders an den Sicherheitsrat ... Also, der Sicherheitsrat der UNO hat von Anfang an gefehlt. Denn dort wäre dann eigentlich der richtige Wille herausgekommen, um diesen Krieg zu beenden. Aber es war nicht möglich, die Mitgliedsstaaten zusammenzubringen zu einer Lösung, und das ist es. Also, es ist wirklich unmöglich, wie die internationale Gemeinschaft und besonders der Sicherheitsrat zu keiner Lösung kommen. Das ist unglaublich.
Brink: Ist das nicht unglaublich frustrierend für Sie, haben Sie manchmal nicht das Gefühl, ich schmeiße das jetzt alles hin?
Del Ponte: Oh doch, oh doch, da haben Sie vollkommen recht! Aber ich meine, als ich in diese Kommission kam, hat man mir gesagt, sechs Monate. Jetzt sind es drei Jahre. Und was mich am meisten frustriert, ist, dass, wäre ich noch Chefanklägerin, ich könnte schon Anklageschriften herausgeben. Denn wir haben genug Material, genug Beweise. Aber eben es existiert nicht, wir arbeiten einfach, wir wissen nicht, für wen und wann.
Brink: Die Juristin Carla Del Ponte, Mitglied der UN-Kommission gegen Menschenrechtsverletzungen in Syrien. Schönen Dank, Frau Del Ponte, für das Gespräch!
Del Ponte: Ich danke Ihnen, ich danke Ihnen, schönen Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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