Synagogen in Deutschland

Das Leuchten des Davidsterns

19:19 Minuten
Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte. Die goldverzierte Kuppel glänzt im Sonnenschein vor strahlend blauem Himmel
Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte © picture alliance / Bildagentur-online/Joko
Von Carsten Dippel · 04.02.2022
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Synagogen sind seit jeher zentrale Orte für jüdisches Leben. Sie prägen die Gemeinde nach innen und sind nach außen hin ihre Aushängeschilder. Zugleich dokumentieren sie die brüchige Geschichte des Zusammenlebens von Juden und Nichtjuden.
Es ist ein angenehmer Spätsommertag, dieser 5. September 1866. Tausende strömen zur Einweihung der großen Synagoge in die Oranienburger Straße, Pferdefuhrwerke klacken über das Pflaster, die Herren tragen Zylinder.
Die Neue Synagoge ist Ausdruck eines erstarkten jüdischen Selbstbewusstseins. In ihrem maurischen Stil knüpft sie ganz bewusst an das Goldene Zeitalter in Spanien an.
„Tuet auf die Pforten, dass einziehe ein gerechtes Volk, das bewahret die Treue.“
So schmückt die jüdische Gemeinde in goldenen hebräischen Lettern voller Stolz das Eingangsportal ihrer neuen Synagoge, ein Prachtbau, wie ihn Europa noch nicht gesehen hat.
„Die wunderschöne große Fassade und die goldene Kuppel sind natürlich auch ein Stück Zeichen einer enttäuschten Hoffnung.“
Sagt Gesa Ederberg, sie ist hier in der Oranienburger Straße Rabbinerin einer kleinen Masorti-Gemeinde.

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„Weil man damals, als man das so baute, wirklich dachte, wir sind angekommen, wir sind hier zu Hause. Schaut mal, wir brauchen uns nicht mehr im Hinterhof verstecken, wir können an die Straßenfront, unsere Kuppel darf groß und sichtbar sein.“
Doch keine hundert Jahre später kam die große Katastrophe, so Ederberg:
„Und das ist schon was, was schmerzt. Also auch, wenn man zum Gottesdienst geht und das Treppenhaus lässt ja sehr bewusst in der Rekonstruktion die Spuren der Zerstörung sichtbar, das ist schon nicht einfach.“

Einstiger Stolz der mittelalterlichen Gemeinde

Erfurt an einem Spätsommertag. Hoch ragt sie auf, die etwas windschiefe romanische Fassade mit den aus Sandstein umfassten Fenstern.
„Wenn wir an die Nordfassade schauen, können wir vor allem die Spuren des Pogroms sehen.“
Sagt Karin Sczech, sie ist Archäologin und Beauftragte für das UNESCO-Welterbe in Erfurt. Hier, im Herzen der Altstadt, nur einen Steinwurf entfernt von der Krämerbrücke, am Knotenpunkt mittelalterlicher Handelswege, steht noch immer die alte Synagoge aus dem frühen 12. Jahrhundert.
Sie war einst der ganze Stolz der mittelalterlichen jüdischen Gemeinde. Es gleicht einem Wunder, dass sie in ihrer baulichen Substanz alle Zeiten überdauert hat.

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„Wir haben hier einen Steinbau, den ersten überhaupt, und der ist schon nicht klein. Es ist ein prominentes Gebäude gewesen von Anfang an. Und zu einem steinernen Bau gehört auch immer die Wirtschaftskraft, die das ermöglicht.“
In Ihrer Blütezeit lebte die jüdische Gemeinde Tür an Tür mit ihren christlichen Nachbarn. Neben den SchUM-Städten Speyer, Mainz und Worms sowie der Kaiserstadt Köln zählte Erfurt zu den bedeutendsten jüdischen Zentren in Mitteleuropa. Bis, wie an so vielen Orten, ein Pogrom 1349 diesem Miteinander ein brutales Ende setzte.

Orthodoxe fordern eigene Synagoge in Leipzig

Während die sächsische Messestadt Leipzig langsam erwacht, ist ein knappes Dutzend Männer zum Morgengebet in die alte Synagoge Keilstraße gekommen. Die Männer haben die Tefillin, die Gebetsriemen angelegt und sich den Gebetsschal übergeworfen. Rabbiner Zsolt Balla, die Augen zum Thoraschrein gewandt, betet vor.
In einer orthodoxen Synagoge befindet sich die Bimah, das Pult, auf das die Thora-Rolle zum Lesen ausgerollt wird, nah am Thoraschrein. Doch bevor aus ihr gelesen wird, trägt Rabbiner Balla die Schriftrolle einmal um die Bimah.
Die orthodoxe Synagoge in der Leipziger Keilstraße, nach dem berühmten Ort Brody in Galizien auch Brodyer Synagoge genannt, fand in einem 1904 umgebauten Wohnhaus ihren Platz, ausgestaltet mit arabesken Formen.
Die eigentliche Synagoge in Leipzig war reformorientiert, weshalb die orthodoxe Gemeinde damals einen eigenen Betsaal wollte. Das Gebäude wurde 1937 "arisiert", diente als Seifenfabrik und wurde im Oktober 1945 wieder als Synagoge geweiht.
Synagogen wurden zu wunden Stellen gemacht
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 standen Hunderte Synagogen in Deutschland in Flammen. Ihre Fenster wurden eingeschlagen, die silbernen Leuchter entwendet, Thora-Rollen aus ihrem Schrein gerissen. Noch Tage danach qualmte es vielerorts. Nur selten griff die Feuerwehr ein und wenn, dann, um anliegende Gebäude zu schützen. Was der wütende Mob in dieser Pogromnacht übrig ließ, fiel später oft den Bomben im Krieg zum Opfer.
Viele Plätze, an denen einst Synagogen standen, sind heute verwaist. Wunde Stellen in der Stadt, nur mehr eine Gedenktafel zur Erinnerung.

Nur 50 Jahre hat die Synagoge stehen dürfen

Im thüringischen Eisenach erinnert heute ein kleines Mahnmal an die alte Synagoge. Ein unscheinbarer Platz am Rande des Stadtzentrums. 1885 eingeweiht, hatte sie gerade einmal 50 Jahre gestanden, bevor sie in der Pogromnacht 1938 lichterloh brannte. Zu DDR-Zeiten wurde hier immerhin ein Gedenkstein errichtet.
„In meiner Schulzeit als DDR-Kind kann ich mich nicht erinnern, dass wir jemals dort gewesen waren. Ich habe die privat mal so nebenbei zufällig entdeckt beim Fahrradfahren in der Ecke, diesen Platz. Also das, muss ich sagen, wurde wirklich versäumt in der DDR-Bildung.“
Alexandra Husemeyer ging hier in den 1980er-Jahren zur Schule. Eine Zeit, in der es für DDR-Schulklassen obligatorische Fahrten in die KZ-Gedenkstätten gab. Doch keine Geschichtsstunde führte an den Ort der einstigen Synagoge.

Vor dem Vergessen retten

Manche Synagogen haben überdauert, in den Hinterhöfen, geschützt in Häuserzeilen. Die Synagoge Rykestraße in Berlin, der orthodoxe Betsaal in der Brunnenstraße unweit der ehemaligen Mauer. Einige alte Landsynagogen wurden liebevoll restauriert, auch wenn es heute weit und breit keine jüdische Gemeinde mehr gibt: in Bad Berkach, in Binswangen, in Schupbach.
Seit mehr als zwei Jahrzehnten arbeitet ein Team der TU Darmstadt an der virtuellen Rekonstruktion von zerstörten Synagogen. Mit modernster 3-D-Technik erstehen sie neu. Virtual Reality macht es möglich, ins Damals einzutauchen.
Einen anderen Zugang wählt die Bet-Tfila-Forschungsstelle für jüdische Architektur in Braunschweig.
„Man sieht ebenfalls sehr schön auf der Empore des Modells diese Orgel, wohl die erste in einer derartigen Synagoge, diese Orgel hat aufgrund eines Fotos rekonstruiert werden können“, sagt Harmen Thies.

Jüdisches Kulturerbe bewahren
Hunderte Synagogen in Deutschland und Europa sind im Nationalsozialismus zerstört worden. Aber auch jüdische Gebäude, die nach dem Zweiten Weltkrieg noch existierten, verfielen oft oder wurden umgenutzt und vergessen. Forscher in Braunschweig wollen verhindern, dass diese jüdische Architektur gänzlich verloren geht: Sie dokumentieren die Gebäude und bauen sie in Modellen nach.

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Der Gründer von Bet Tfila steht an einem Holzmodell des Jacobstempels im niedersächsischen Seesen, geweiht 1810, die weltweit erste Reformsynagoge. Die Rekonstruktionen gleichen einem Puzzlespiel. Von vielen Synagogen sind kaum mehr als Fotos geblieben. Mit viel Glück finden sich noch alte Bauzeichnungen.
„Die Synagogen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts sind ein bauliches Sinnbild für die Sehnsucht der jüdischen Reformbewegung, die Grenzen des Gettos zu überwinden und von der christlichen Gesellschaft akzeptiert zu werden.“
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