Symposium-Band "Wagner und der Nationalsozialismus"

Bayreuth in und nach der NS-Zeit – und wie das zusammenhängt

Ein Schild mit der Aufschrift "Die Gauhauptstadt Bayreuth grüßt die Festspielgäste" ist 1944 über einer Straße in Bayreuth an zwei Säulen befestigt. Darüber thront ein Reichsadler.
Die Bayreuther Richard-Wagner-Festspiele im Jahr 1944. Nach Kriegsende wurde der Festspielbetrieb 1951 wieder aufgenommen. © picture-alliance / dpa
Rainer Pöllmann im Gespräch mit Oliver Schwesig · 26.07.2018
Die Bayreuther Festspiele haben im vergangenen Jahr ein Symposium zum Thema "Wagner und der Nationalsozialismus" abgehalten. Es wurde Zeit, findet Musikredakteur Rainer Pöllmann. Nun erscheint die Dokumentation: eine anspruchsvolle und spannende Lektüre.
Oliver Schwesig: Es ist nach wie vor das wichtigste Ereignis für die Wagner-Fans, jedes Jahr die Bayreuther Festspiele. Gestern ging es los mit dem "Lohengrin". Und wir haben ja auch vor ein paar Tagen, vielleicht erinnern Sie sich, schon über die erste Uraufführung einer ganz neuen Oper in Bayreuth seit 1882 berichtet, die Uraufführung von Klaus Langs "Der vergessene Hochzeiter". Es gibt auch ein Rahmenprogramm im Rahmen der Bayreuther Festspiele, und zu dem gehört die Reihe "Diskurs Bayreuth". Diese Reihe lief 2017 zum ersten Mal mit Konzerten und einem Symposium. Das Thema im letzten Jahr war unter anderem das immer wieder heiß diskutierte Thema "Wagner und der Nationalsozialismus", und die Dokumentation dieses Symposiums erscheint nun in diesem Jahr als Buch, soll im August in den Läden sein. Rainer Pöllmann hatte die Gelegenheit, dieses Buch schon mal vorab zu Gesicht zu bekommen, und mit ihm will ich jetzt darüber reden. Hallo, Rainer Pöllmann!
Rainer Pöllmann: Hallo!
Schwesig: Zwei große Themenkomplexe gibt es in diesem Band. Welche sind das?
Pöllmann: Das ist zum einen tatsächlich Richard Wagner und der Nationalsozialismus in der Zeit des Nationalsozialismus, und zum anderen Richard Wagner beziehungsweise die Bayreuther Festspiele in der Nachkriegszeit. Beides hängt natürlich miteinander zusammen, und insofern sind das die zwei großen Kapitel dieses Buches, aber schon innig miteinander verwoben.

Bayreuth und Richard Wagner in der Nachkriegszeit

Schwesig: Das sind ja jetzt zwei Komplexe, die mittlerweile ausgiebig schon aufgearbeitet wurden. Gibt es denn da trotzdem neue Erkenntnisse?
Pöllmann: Ja, man kann in der Tat sagen, dass da schon Massen von Forschungsergebnissen dazu vorliegen. Aber immer wieder gibt es natürlich neue Akzentsetzungen. Ich muss gestehen, dass beim großen Kapitel "Wagner und der Nationalsozialismus", also der ersten Abteilung dieses Buches, die schien mir thematisch ein bisschen diffus, wenngleich perspektivenreich. Da geht es um Thomas Mann und Wagner. Da geht es um Wagner als Schriftsteller und, das fand ich ganz interessant, die allmähliche Verschiebung der Begriffe in seinen Texten. Er hat nie einen Begriff zurückgenommen, noch nicht einmal den Begriff der "Vernichtung" des Judentums. Aber er hat im Lauf seiner schriftstellerischen Karriere manche Begriffe dann einfach so flüssig verändert, dass sie am Schluss was ganz anderes bedeuten als am Anfang. Und vor allem habe ich aus diesem Buch gelernt, seine Autobiografie "Mein Leben" sollte man nicht im Mindesten als faktisch nehmen, sondern wirklich als eine gefakte Autobiografie zur Darstellung des eigenen höheren Ruhms natürlich. Und immer wieder natürlich in diesem Zusammenhang die neu zu stellende Frage nach Wagners Antisemitismus, die aber so ganz einfach eben trotzdem nicht zu beantworten ist.
Der für mich spannendere Teil war dann eigentlich der über Bayreuth und Richard Wagner in der Nachkriegszeit. Da gibt es "Bayreuth und die Alte Musik" zum Beispiel. Die Parallelität von Händl-Renaissance und Neu-Bayreuth, also dem entnazifizierten Bayreuth ab 1951, und wie sehr das miteinander zusammenhängt. Dass zum Beispiel in Bayreuth 1951 der Vorschlag kam, europäische Musikwochen unter dem Motto "Europäische Verständigung" mit alter Musik zu machen, also eine Parallelaktion zur Wiedereröffnung der Bayreuther Festspiele, eine Form der Wiedergutmachung der Stadt Bayreuth hinsichtlich "der Belastungen, die sich in Folge der Verquickung der Wagner-Festspiele mit den letzten politischen Ereignissen ergeben". Und so eine Wortwahl Anfang der 50er-Jahre über den Nazi-Terror, die muss man sich wirklich – auf der Zunge zergehen lassen, wollte ich sagen, aber genau das natürlich nicht. Es ist das Verschweigen, es ist das Drumherumreden um das, was gerade eben erst passiert ist.
Und für mich besonders interessant auch, "Bayreuth und die Neue Musik". Man fragt sich eigentlich, was haben die miteinander zu tun. Ein Artikel beschäftigt sich mit Bayreuth und Darmstadt, und ich dachte, was hat das Festival für Neue Musik mit Bayreuth zu tun? Doch etwas mehr, als ich ursprünglich dachte, in der Form von Pierre Boulez zum Beispiel, der 1967 den Parsifal dirigiert hat. Und in gewisser Weise kann man die Bestrebungen von Neu-Bayreuth, von diesem entideologisierten Bayreuth dann schon auch in eine Beziehung setzen zu dem, was im Bereich der zeitgenössischen Avantgarde in Darmstadt getrieben wurde. Das sind überraschende Einblicke, die ich eigentlich immer wieder sehr spannend fand.

Neuer Blick auf Wieland Wagner

Schwesig: Ein solches Symposium über Bayreuth in der NS-Zeit, ein Zentrum der Nazi-Ideologie, 1951 dann Neu-Bayreuth, Sie hatten es erwähnt: die Entrümpelung durch Wieland Wagner, aber keine wirkliche Aufarbeitung. Wie selbstkritisch, wie unabhängig ist denn so ein Symposium? Katharina Wagner hat es mit herausgegeben, da hängen alle irgendwie mit drin. Wie distanziert geht man denn da um mit diesem Thema?
Pöllmann: Es hängen veranstalterisch oder personell in der Tat alle mit drin. Und ich kann mir vorstellen, dass es schon ganz schön schwierig ist, in dieser Gemengelage ein solches wissenschaftliches Symposium zu veranstalten. Nichtsdestotrotz, es ist eine Veranstaltung der Bayreuther Festspiele zum ersten Mal, die das eben selbst machen und nicht nur sich als Objekt der Forschung mehr oder minder unwillig bereitstellen, sondern eben selbst da was machen, und Marie-Luise Maintz, die in diesem Jahr auch die Leiterin dieses Symposiums ist, hat da wirklich in völliger Unabhängigkeit arbeiten können und eine sehr gute Auswahl von Referenten und von einem Themenspektrum zusammengestellt. Das finde ich schon sehr bemerkenswert.
Überraschend war für mich, wenn man über die Bayreuther Gemengelage redet, wie kritisch inzwischen doch die Biografie und die Rolle von Wieland Wagner gesehen wird. Wieland Wagner war für lange Zeit der Gute, der Retter, der Gründer von Neu-Bayreuth, der den Nazi-Krempel rausgeschmissen hat, der Maßstab setzen will, abstrakte Inszenierungen gemacht hat, ein Genie. Dagegen dann immer Wolfgang Wagner als so der fränkische Pragmatiker.
Und immer klarer wird aber eben doch auch, dass Wieland Wagner in der Tat der Lieblingswagner von Adolf Hitler war, dass er der prädestinierte Leiter der Bayreuther Festspiele auch vom Naziregime her war. Und er wird in diesem Band dann schon auch sehr umstandslos als Karrierist zu Nazizeiten geschildert, dessen großes Glück eigentlich war, dass er nicht noch während des Krieges die Bayreuther Festspiele übernommen hat, sondern erst nachher dann sozusagen die Scherben aufkehren durfte und konnte. Also dieser Wandel in der Sicht auf Wieland Wagner ist nicht ganz neu, aber ist doch in diesem Band sehr stark.

Atemberaubende Tour d'Horizon

Schwesig: Interessant. So eine Sammlung von Symposiumsbeiträgen ist ja zunächst erst mal eine wissenschaftliche Abhandlung, ein wissenschaftliches Buch, und ich entnehme jetzt, Rainer Pöllmann, Sie als Fachmann haben da eine Menge interessante Sachen gefunden. Aber für wen ist dann so ein Buch geschrieben? Wirklich nur für die Wagner-Enthusiasten, oder kann ich als Nicht-Wagnerianer da trotzdem auch noch was Spannendes rausziehen?
Pöllmann: Ein gewisses Interesse an Richard Wagner und der Oper im 19. und 20. Jahrhundert oder auch an Zeitgeschichte sollte man natürlich mitbringen. Und oft genug sind ja gerade die Wagner-Enthusiasten auch die, die, ob berufshalber oder privat die Fachleute sind. Es ist ein Aufsatzband, der schon manches voraussetzt, der auch oft genug seine Erkenntnisse in lakonischen Nebensätzen versteckt. Oft genug ging es mir da so, dass ich da wirklich dachte, huch, was ist denn da jetzt in einem Satz zusammengefasst. Es ergibt manchmal eine atemberaubende Tour d'Horizon.
Da wird für das Jahr 1967 zum Beispiel, Boulez in Bayreuth, der 400. Geburtstag Claudio Monteverdis, der Beginn der historischen Aufführungspraxis zumindest als das Musikleben prägende Praxis, und die politische Revolte des Jahres '67, kurzgeschlossen in einem einzigen Satz. Das macht einen manchmal ein bisschen schwindelig, aber es ist natürlich auch das Schöne, dass in diesem Symposionsbericht – Symposien können furchtbar langweilig sein. Und ich war nicht dort bei diesem Symposion, aber so, wie sich mir dieser Symposionsbericht jetzt in seiner Schriftform darstellt, scheint es wirklich eine sehr muntere Angelegenheit gewesen zu sein. Und diese Erkenntnisse und das Zusammendenken von ganz disparaten Erkenntnissen, das ist wirklich eine Qualität dieses Bandes.

Kein Anzeichen für einen Schlussstrich

Schwesig: Vielleicht noch ganz kurz zum Schluss: Wagner und der Nationalsozialismus – es ist ja durchaus begrüßenswert, dass sich die Festspiele diesem Kapitel nach wie vor immer noch stellen. Wenn man diesen Band jetzt betrachtet, ist das für die Festspielmacher ein Anlass, darüber in Zukunft weiter zu diskutieren, eine Basis für weitere Diskussionen – oder hat das jetzt so ein bisschen den Charakter: Okay, wir würden dieses unbequeme Thema jetzt auch gerne langsam mal zu den Akten legen? Was für einen Eindruck haben Sie?
Pöllmann: Für einen Schlussstrich sehe ich jetzt keine Anzeichen. Es war hohe Zeit, dass Bayreuth als Institution selbst sich diesem Thema endlich, endlich, endlich mal gestellt hat. Und sie werden das sicher auch weiter tun - vielleicht nicht als Dauerbeschäftigung. Aber dass es damit jetzt auch gut sein soll, dafür gibt es keine Anzeichen.
Schwesig: "Sündenfall der Künste? Richard Wagner, der Nationalsozialismus und die Folgen", so heißt ein neues Buch mit einer Sammlung von Symposiumsbeiträgen zu diesem Thema. Herausgegeben von Katharina Wagner, Holger von Berg und Marie-Luise Maintz im Bärenreiter-Verlag erschienen, 220 Seiten dick. Ab Mitte August, wie gesagt, ist der Band dann erhältlich. Rainer Pöllmann informierte. Vielen herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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