Kommentar

Wie viel Symbolpolitik verträgt der Sport?

04:11 Minuten
Ukraines Handballmeister Motor Zaporozhye beim Spiel gegen TuSEM Essen.
Ukraine Handballmeister Motor Zaporozhye (in den weißen Trikots) spielt inzwischen in der zweiten Handballbundesliga, hier im Spiel gegen TuSEM Essen. © dpa / picture alliance / Dennis Ewert
Ein Kommentar von Thomas Wheeler · 25.12.2022
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Seit diesem Jahr spielt der ukrainische Handballmeister Motor Zaporozhye in der zweiten Bundesliga. Und Spanien und Portugal wollen mit der Ukraine die Fußball-WM 2030 ausrichten. Thomas Wheeler fragt sich, was hinter solchen Entscheidungen steckt.
Möglicherweise sitzen Sie gerade mit Ihrer Familie oder Freunden zusammen und feiern Weihnachten. Eine ukrainische Freundin von mir ist nicht bei ihren Verwandten. Ihr Vater und ihr Bruder haben sie gebeten, in Berlin zu bleiben. Die junge Frau hat einen Stromgenerator an die polnisch-ukrainische Grenze bringen lassen. Ihr Vater hat ihn dort abgeholt. Licht für die Familie, die wie viele Ukrainer wegen der russischen Angriffe immer häufiger im Dunkeln sitzt.
Licht als Symbol für den Stern von Bethlehem und in der Krippe wird in der Ukraine, wo einige Christen heute, die meisten aber am 6. Januar Weihnachten feiern, in diesen Tagen nur selten leuchten. Jeder, der sich angesprochen fühlt, kann gern einmal innehalten in unseren festlich beleuchteten Wohnungen und Häusern. 

Was hilft dem Sport und was ist Symbolpolitik?

Seit Kriegsbeginn am 24. Februar haben Menschen auf der ganzen Welt der ukrainischen Bevölkerung geholfen: mit Lebensmitteln, Kleidung oder Geldspenden. Das ist gelebte Solidarität. Bewunderns- und nachahmenswert. Auch hiesige Spitzensport- und Amateurvereine beteiligen sich daran. Aber was ist auf den Sport gemünzt Hilfe und was Symbolpolitik?
Wenn kleine und in der Regel ehrenamtlich geführte Vereine bei uns ukrainische Kinder oder Erwachsene aufnehmen, unterstützen sie Menschen in ihrer neuen Umgebung dabei, auf andere Gedanken zu kommen, sich abzulenken, neue Freundschaften zu schließen. Das ist echte Hilfe: selbstlos, offenherzig und weltoffen.

Doch was bringt beispielsweise die Integration des ukrainischen Handballmeisters Motor Zaporozhye in die zweite Bundesliga? In erster Linie Kosten für 19 andere Vereine, zum Beispiel mit Blick auf die Auswärtsfahrten in die NRW-Landeshauptstadt. Geld, das sinnhafter in der praktischen Hilfe in der Ukraine seine Verwendung hätte.

Thomas Wheeler, Sportjournalist

Der deutsche Handballbund und die Stadt Düsseldorf, wo die ukrainische Mannschaft ihre Spiele austrägt, meinen es sicherlich gut. Doch was haben die Menschen in der Ukraine im Kriegsalltag von solch einem Engagement?

Es erscheint wie ein Wettbewerb der Symbolik

Es hätte herrlich in diese symbolpolitisch aufgeladenen Zeiten gepasst, wenn die ukrainische Fußballnationalmannschaft auf den letzten Metern noch eine Wildcard für die Weltmeisterschaft in Katar bekommen hätte. Oder am besten gleich den Titel. Ob der international umstrittene FIFA-Präsident Gianni Infantino dafür wohl mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden wäre?
Chancen hat er darauf immer noch, denn Spanien, Portugal und die Ukraine bewerben sich gemeinsam um die WM 2030. Wie lässt sich eine solche Bewerbung eigentlich mit der immer stärker geforderten Nachhaltigkeit für internationale Sportereignisse vereinbaren?
Denken wir das mal weiter, je länger der Krieg in der Ukraine dauert und jeden Tag immer mehr Menschen getötet werden. Welche Zeichen setzt die Sportwelt noch? Wie kann man das noch toppen? Längst erscheint es wie ein Wettbewerb der Symbolik, der zur Gewohnheit geworden ist.
Und mal Hand aufs Herz beim Blick in den Spiegel: Wieviel Gefallsucht und Eitelkeit steckt in alledem? Was kommt hierzulande als nächstes? Erklärt die Deutsche Fußball-Liga Dynamo Kiew symbolisch zum deutschen Meister?

Macron warnt vor Politisierung des Sports

Frankreichs Präsident Emanuel Macron hat vor einer Politisierung des Sports gewarnt. Sieht er womöglich, dass der Übersättigungsgrad längst überschritten ist? Oder steckt in diesem Statement einfach nur reale Geopolitik?
Dann aber müssen wir auch darüber nachdenken, russische und weißrussische Athletinnen und Athleten wieder in die Sportfamilie aufzunehmen. Wenn wir mit der Überfrachtung des Sports durch gesellschaftspolitische Debatten aufhören, wäre natürlich auch Schluss mit der Symbolpolitik durch Verbände und Vereine.
Dann müssten sich Funktionäre und Athleten wieder auf ihr Kerngeschäft konzentrieren: den Sport. Ein Brückenbauer, der mit seiner Kraft schon immer Kulturen und Nationen zusammengebracht hat – zu jeder Jahreszeit.

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