Symbol des Glücks und uralte Geheimwaffe

Rezensiert von Richard Schroetter |
Gelächelt wird immer: in der Politik, im Fernsehen und vor allem in Hollywood. Aber was ist Lächeln? Ein unwillkürlicher Reflex? Ein Zeichen von Höflichkeit oder Ausdruck der Zuneigung? Ein Symbol für Gesundheit und Glück? Der australische Historiker Angus Trumble zeigt in seinem Buch die Geschichte der freudigen Lippendehnung von der Antike bis heute, illustriert mit vielen Kunstwerken.
Wir wissen nicht, ob der Neandertaler einst gelächelt hat, aber von den griechischen Göttern wissen wir es ziemlich genau. Auf antiken Darstellungen, die freilich jüngeren Datums als der Neandertaler sind, finden wir immer wieder dieses mehrdeutige Mienenspiel, das uns oft Rätsel aufgibt.

Was bedeutet das Lächeln der Aphrodite, was das des Gottes Apolls und seines Gegenspielers Dionysos etwa? Ist es gut oder schlecht, aufrichtig oder herablassend gemeint, verbirgt sich dahinter ein ehernes Geheimnis (das vielleicht besser verborgen bleibt) oder äußerste Durchtriebenheit?

Folgen wir dem australischen Historiker Angus Trumble, so sind die ersten Zeugnisse von Rang die antiken Koren, athletische Jünglingsskulpturen aus dem 5. Jahrhundert vor Christus, deren Gesichter ein archaisches Lächeln schmückt. In seiner kleinen Geschichte des Lächelns beruft sich der Gelehrte gerne auf prominente Zeugnisse aus der Kunst und Kulturgeschichte, die anschaulich machen, dass die sichel- oder halbmondförmige Dehnung der Lippen seit mehreren Jahrtausenden nicht nur existiert und global ge"mund"habt wird, sondern auch eine schier unerschöpfliche Faszinationskraft besitzt. Anatomisch-physiologisch wird dieser Vorgang, den Leonardos Mona Lisa vielleicht noch am eindruckvollsten beherrscht, von dem Nervus Facalis in der Hirnrinde gesteuert, der fünf verschiedene Muskelgruppen wie ein kleines Orchester dirigiert. Zu ihnen gehört auch der Lachmuskel.

"Er nimmt gröbere Form- und Funktionsanpassungen der unteren Gesichtshälfte vor. Er ist an der Wangenhaut befestigt und endet neben der Unterlippe; so ist er der Hauptakteur beim Zurückziehen der Mundwinkel, wenn wir lächeln oder lachen oder aus einem anderen Grund die Lippen sozusagen zu den Ohren hinbewegen."

Das können bereits Säuglinge nach einigen Monaten.

"Sie machen anfangs unwillkürliche Bewegungen von Lippen und Mund, die zunächst nur annähernd und später immer deutlicher einem Lächeln ähneln, den Eltern so beredt wie möglich, dass es ihrem Baby gut geht."

Dem Baby nimmt man das Lächeln als ehrlich gemeint und unverstellt sofort ab. Doch das ändert sich mit dem Alter. Lächeln ist auch ein bewährtes Mittel zur Täuschung, eine Waffe, die obwohl uralt, offenbar niemals veraltet.

"Im Kampf um knappe Ressourcen und im Konflikt zwischen Raubtier und Beute verschafft Täuschung einen selektiven Vorteil. Hunderte von Tierarten verfügen über außergewöhnliche Techniken der Tarnung, der Mimikry und Täuschung. Schauspieler, Nachrichtensprecher, Moderatoren, Politiker sind gezwungen zu ewigem Lächeln, weil es Gesundheit und Glück symbolisiert."

Es reicht Trumble nicht, die Dimensionen des Lächelns zu beschreiben. Mit einem ironischen Schlenker, und solche kleinen Umwege machen seine Studie so unterhaltsam, führt er uns an die dahinter steckenden Beißwerkzeuge heran, die von den Lippen gnädig verdeckt werden, und die bis zu Anfang des 20. Jahrhunderts nicht sehr schön anzusehen waren.

Mit schlechten Zähne musste die Menschheit Jahrhunderte lang leben, wie mit Kohleherd, Kerzenlicht und Außentoilette. Lange konnte man nur wenig dagegen tun. Gute Zähne als Zeichen von Gesundheit und Vitalität, das kam erst Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem Sieg der neuen Zahnmedizin auf; die setzte neue Maßstäbe. Die jungen Helden der Revolution wurden nun mit weißen Zähnen und einem strahlenden Lächeln vorgestellt. Die Filmindustrie hat das Zähnezeigen geradezu zur Pflicht erhoben.

"Schreiten die derzeitigen Trends in der Zahnmedizin weiter so voran wie in den vergangenen 30 Jahren, so ist zu erwarten, dass die kosmetischen Behandlungen zur Verbesserung von Funktion und Aussehen unserer Zähne immer effektiver werden. Unsere Zähne werden weißer und möglicherweise größer werden. Auf unseren Wunsch werden sie regelmäßiger geformt und angeordnet sein. Ich bezweifle jedoch, dass mit diesen immer aufdringlicheren kosmetischen Verfahren mehr erreicht wird als ein oberflächliches Überspannen der Muskeln, die wir zum Steuern und Entfalten unseres Lächelns brauchen."
Seine Befürchtung, das echte Lächeln werde mit der Zeit kosmetisch ausradiert, scheint Trumble jedoch selbst nicht ganz ernst zu nehmen:

"Was auch immer wir tun werden, um unser Aussehen zu verbessern oder zu verändern: Wir können sicher sein, dass wir alle weiterhin lächeln werden."

Angus Trumble: Eine kleine Geschichte des Lächelns
Aus dem Englischen übers. von Martina Wiese
Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2006,
300 Seiten, 24,00 Euro