Sydney Smith: "Unsichtbar in der großen Stadt"

Ganz klein in der großen Stadt

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Das Buchcover zeigt die Illustration eines Mädchens, die sich in einer Scheibe spiegelt — im Hintergrund sieht man eine Großstadt.
"Ich weiß, wie es ist, klein zu sein in einer großen Stadt". So beginnt das Kinderbuch von Sydney Smith. © Aladin / Deutschlandradio
Von Sylvia Schwab · 09.12.2020
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Ein Kind, alleine in einer großen Stadt – wie sich das anfühlt, illustriert Sydney Smith mit eindringlichen Bildern. Doch der Blick auf das Gedränge und den Trubel der Großstadt ist voller Zuversicht. Eine Geschichte voller Gefahren und Vertrauen.
Was für Bilder! Sydney Smith‘ zweites Bilderbuch zieht seine Betrachter förmlich hinein in eine berührende Geschichte. Es geht um Sorge und Trost, um die Gefahren der Großstadt und die Geborgenheit zu Hause. Auch ohne den knappen Text vermitteln die Illustrationen schon eine sehr eigene und intensive Atmosphäre. Beim Betrachten entdeckt man immer wieder noch neue Details, die den Text vorsichtig ergänzen.

Ein Kind auf der Suche

Ein Kind – ob Mädchen oder Junge bleibt offen – fährt und läuft durch die winterliche Großstadt. Mal sitzt es in der Bahn oder dann steht es im Straßentrubel, auf einer Brücke oder in einer engen Gasse, im verschneiten Park oder vor einem Fischladen.
Man erkennt es an seiner grünen Jacke, den gelben Stiefeln und dem roten Bommel an der Mütze. Dieses Kind – es erzählt in Ich-Form – sucht und macht sich Sorgen um jemanden, der oder die sich verirrt hat.
Es stellt sich all die drohenden Gefahren vor, aber auch die kleinen verborgenen Fluchtorte und Winkel, die es kennt. Wer hat sich da verlaufen? Ein Freund? Ein Geschwisterkind? Erst mit der Zeit ergibt sich aus leisen Andeutungen in den Bildern, dass die Katze des Kindes verschwunden ist.

Großartige Bilder

Sydney Smith‘ Bilder zu dieser eindringlichen Geschichte sind einfach und großartig zugleich. Das ungewöhnliche Hochformat des Buches verstärkt den Eindruck von der Höhe der Häuser und der Enge der Straßen. In flachen Querformaten über eine Doppelseite zoomt der Künstler dann weitere Details heran: Schneegestöber, verschneite Äste und Dächer.
Der Wechsel von Quer- und Hochformat, vielen kleinen oder einem großen Bild pro Seite, rahmenlosen und gerahmten Szenen wirkt auf den Betrachter wie eine kleine Schule der Gestaltung von Dynamik und Ruhe, Dramatik und Stille.
Und dann die Farben! Matt leuchten sie in warm-gedämpften Tönen. Mal verschwimmen die Konturen, wenn das Kind durch die beschlagenen Scheiben der Bahn das Treiben auf der Straße beobachtet. Dann wieder sind sie scharf gezeichnet und spiegeln sich in glitzernden Fassaden.
Die Lichter der Ampeln und Autos glänzen durch den trüben Nebel, Bäume im Park dämmern im Schneeregen und plötzlich ist die Winterluft wieder klar und licht. Der Wechsel von präzise konturierten und diffus verwischten Szenen wirkt wie ein Schwanken zwischen Realität und Fantasie.

Alles wird gut

Gegenüber den zartgedämpften Farben ist der knappe Text klar und wuchtig. Schon der erste Satz ist eindrücklich: "Ich weiß, wie es ist, klein zu sein in einer großen Stadt." Genau dieses Gefühl von Klein- und Alleinsein im Trubel und Gedränge der Großstadt wird in der Erzählung des Kindes und den einfühlsamen Bildern unmittelbar deutlich.
Aber Angst oder Einsamkeit breiten sich nicht aus. Hier weiß ein Kind, wie anstrengend das Großstadtleben für Kinder und Katzen ist, aber es ist zuversichtlich und angstfrei.
Es ist eine etwas andere Weihnachtsgeschichte, die Sydney Smith hier erzählt: atmosphärisch dicht, voller realer Gefahren, aber auch voller Vertrauen, dass alles gut wird, nicht nur für Katzen!

Sydney Smith: "Unsichtbar in der großen Stadt"
Übersetzt von Bernadette Ott
Aladin/ Stuttgart 2020
40 Seiten, 18 Euro
ab 4 Jahren

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