Swoboda kritisiert "visionslose Politik" der EU

Hannes Swoboda im Gespräch mit Jörg Degenhardt |
Der stellvertretende Vorsitzende der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, Hannes Swoboda (SPÖ), hat vor einer weiteren Verschlechterung der europäisch-russischen Beziehungen gewarnt. Anstatt Russland weiter zu isolieren, müsse die EU Moskau ein Sicherheitskonzept anbieten, sagte Swoboda.
Jörg Degenhardt: Der Krieg im Kaukasus dauerte fünf Tage, aber die Folgen des Konflikts werden die Politik noch wohl auf unabsehbare Zeit beschäftigen. Heute wird eine Delegation der NATO in Tiflis, der georgischen Hauptstadt, erwartet, man will die Schäden an der militärischen Infrastruktur begutachten. Georgien strebt bekanntlich eine Mitgliedschaft in der Allianz an. Den wichtigeren Termin gibt es in Moskau. Dort verhandelt heute die Spitze der Europäischen Union, allen voran Nicolas Sarkozy, der amtierende Ratspräsident, mit Kreml-Chef Dmitri Medwedew. Ziel ist der Abzug russischer Soldaten aus Georgien. Dieser Teil des Sechs-Punkte-Plans ist aus EU-Sicht bislang nicht erfüllt und so bleiben auch die Verhandlungen über ein Partnerschaftsabkommen mit Russland erst einmal ausgesetzt. Hannes Swoboda von der Sozialdemokratischen Partei Österreichs ist jetzt mein Gesprächspartner. Er ist der stellvertretende Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament und er ist Mitglied im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten. Guten Morgen, Herr Swoboda!

Hannes Swoboda: Guten Morgen!

Degenhardt: Russland hat vor dem Gipfel mit der EU-Spitze vor Druck aus dem Westen in der Kaukasus-Krise gewarnt. Muss Sarkozy heute das Zuckerbrot anbieten, wenn er mit seiner Mission in Moskau erfolgreich sein will?

Swoboda: Ja, die Frage ist, was ist das Zuckerbrot. Ich halte es für ein bisschen problematisch, dass man jetzt mit einer sehr hoch oder höchstrangigen Delegation kommt, weil es natürlich Russland ermutigen könnte, erst recht Europa die kalte Schulter zu zeigen. Aber ich glaube, man darf sich nicht zu viel erwarten von einem Treffen. Wesentlich ist, dass die Gesprächsbereitschaft da offen bleibt und dass man einen Weg findet, wie man aus der Krise herauskommt, wie man vor allem auch internationale, vor allem auch europäische Beobachter in Georgien stationieren kann, um Russland ein bisschen eine Garantie zu bieten, dass Georgien nicht noch einmal so eine Aktion unternimmt, wie es im August diesen Jahres unternommen worden ist.

Degenhardt: Was ist aber, wenn die Russen weiter hart bleiben? Sie haben schon die Beobachtermission der EU erwähnt, die nach Georgien entsendet werden soll. Was ist, wenn da Moskau nicht mitspielt?

Swoboda: Dann wird es sehr schwierig, wobei wir natürlich Beobachter in Georgien installieren können. Das ist ja nicht eine Angelegenheit, die Russland beanspruchen könnte. Nur die Wirksamkeit dieser Beobachter und insbesondere die Beobachter in Südossetien und Abchasien, das hängt natürlich von Russland ab. Das würde zu einer weiteren Erkältung gewissermaßen der Beziehungen führen zwischen Russland und der Europäischen Union. Das wäre für beide Seiten nicht sehr vorteilhaft.

Degenhardt: Das heißt, die Europäer drohen dann wieder mit Sanktionen? Ist das nicht eher ein Ausdruck von Nichtpolitik?

Swoboda: Ich glaube nicht, dass es um Sanktionen geht. Wir haben auch eigentlich kaum Sanktionen in Zeiten der Sowjetunion gehabt. Man soll da ein bisschen am Boden der Realität bleiben. Aber wirtschaftlich kann das natürlich für Russland nicht unbedingt von Vorteil sein, insbesondere wenn man die Bewegungen auf den Finanzmärkten beobachtet, dann hat Russland ja bereits darunter gelitten. Und für die Europäische Union ist das auch nicht unbedingt von Vorteil, vor allem wenn es um Investitionen in Russland geht. Das ist ja für viele große Unternehmer interessant, das ist auch natürlich für die Energiebeziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland interessant und wäre viel besser, wenn es hier zu Fortschritten und zu Verhandlungen über ein gemeinsames Abkommen käme.

Degenhardt: Genau da wollte ich hin, Herr Swoboda. Das alte, glaube ich, datiert aus der Zeit von Boris Jelzin, ist längst von der Zeit überholt. Schneiden sich die Europäer nicht ins eigene Fleisch, wenn sie jetzt entscheiden, die Verhandlungen über dieses Partnerschaftsabkommen, die werden ausgesetzt, weil doch die Europäer zuerst davon profitieren?

Swoboda: Das ist richtig. Auf der anderen Seite muss man natürlich gewisse Signale setzen, schon auch um die innere Kohäsion, den Zusammenhalt innerhalb der Europäischen Union zu bewahren. Und es hat keinen Sinn mit Russland zu verhandeln, wenn es dermaßen widerspenstig ist, denn dann werden wir auch bei den Verhandlungen über das Partnerschaftsabkommen nicht zu Erfolgen kommen. Die Frage, die grundsätzlich anzuschneiden ist, ist natürlich, ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, um auf die Idee von Medwedew einer europäischen Friedenssicherheitskonferenz näherzutreten. Das wird sicherlich von vielen skeptisch gesehen. Aber wir müssen Russland etwas anbieten an Kooperation, sei es einer gesamteuropäischen Konferenz, sei es Kooperation innerhalb der NATO. Ohne dass wir Russland integrieren in ein Sicherheitssystem, wird es sicherlich nicht gehen, mit Russland diese Beziehungen zu verbessern.

Degenhardt: Warum müssen wir Russland etwas anbieten, um es mal salopp zu sagen, weil die Russen letztendlich auch wirtschaftlich am längeren Hebel sitzen?

Swoboda: Nicht unbedingt. Aber es sind nun mal gemeinsame Nachbarn. Man muss sich nur vorstellen, Russland wäre so knapp an die Grenzen Amerikas vorangedrungen, was dann passiert wäre. Großmächte haben so ein eigenartiges Sicherheitsgefühl, wo sie alles in ihrer Umgebung eigentlich kontrollieren wollen. Das gilt für China, das gilt für die Vereinigten Staaten von Amerika und das gilt für Russland. Wenn wir gemeinsame Nachbarn haben, dann sollte man auch ein gemeinsames Sicherheitssystem entwickeln, ohne natürlich die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit dieser Nachbarn irgendwie infrage zu stellen. Das ist ein Prozess, der nicht von heute auf morgen gehen kann. Ich erinnere an die KSZE-Konferenz in Helsinki. Das sind alles Dinge, die über Jahren entwickelt worden sind. Aber das ist leider in den vergangenen Jahren versäumt worden. Das war ein großer Fehler, einfach immer nur immer vorzudringen und Russland in diesem Sinn zu isolieren, auch wenn Russland natürlich insbesondere durch die steigenden Energiepreise jetzt wieder an eine Art Neoimperialismus entwickelt hat, was wir zutiefst bedauern müssen.

Degenhardt: Das heißt, wenn ich Sie richtig interpretiere, Herr Swoboda, die Europäer stehen gewissermaßen am Scheideweg, was ihre Beziehungen zu Russland angeht und es ist noch gar nicht klar, wohin diese Reise gehen soll?

Swoboda: Das ist richtig. Es ist in den letzten Jahren eigentlich eine visionslose Politik betrieben worden auf der einen Seite. Auf der anderen Seite haben natürlich die neuen Mitgliedsländer eine gewisse Angst und dass Europa hier wieder nachgibt, dass ein neues Jalta entsteht. Diese Angst muss man diesen Ländern nehmen. Wir müssen gemeinsam mit ihnen etwas entwickeln, aber es kann nicht daran gehen, jetzt einfach eine Russland-Konfrontationsstrategie ohne eigentlich einen klaren Ausgang und ohne Exit-Strategie zu entwickeln.

Degenhardt: Vielen Dank für das Gespräch! Am Telefon von Deutschlandradio Kultur war Hannes Swoboda von der SPÖ. Er ist der stellvertretende Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament und Mitglied im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten. Einen guten Tag noch, Herr Swobda!

Swoboda: Guten Tag ebenfalls!