Switlowodsk der Liebe wegen

Von Martina Nix |
Vor acht Jahren zog der Vater in die Ukraine. Natascha wollte nicht in Deutschland leben, also haben sie in ihrer Heimatstadt Switlowodsk am Dnjepr ein Haus gebaut. Switlowodsk ist jung. Aus allen Unionsrepubliken waren sie 1954 gekommen, um ein Kraftwerk und eine neue Stadt aufzubauen.
Es herrschte Aufbruchstimmung. An die 500 Orte wurden dem künstlich angelegten Krementschuger Meer geopfert. Die Leute erzählen, dass nicht alle Bewohner in die neue sozialistische Stadt umziehen wollten. Sie sollen in ihren Häusern ertrunken sein, als das Wasser kam.

Der Vater stammt aus Selchow, einem kleinen Dorf in Brandenburg. Er war Tischler von Beruf und Kaufmann. Heute ist er Rentner. Als erstes hat er den alten Holzzaun gestrichen, dann legte er einen Garten an mit Rasen und Blumenrabatten. Die Nachbarn schüttelten die Köpfe. Ein Garten ist Anbaugebiet für Kartoffeln, Gemüse und vielleicht noch Tummelplatz für Hühner. Einst soll hier eine Kirche gestanden haben. Ein heiliger Ort, an den es jeden, der einmal da war, wieder hinzieht, sagt Natascha. Doch es gibt auch andere Gründe, einmal im Jahr nach Switlowodsk zu fahren. Die Menschen, die hier mit dem Vater leben, sind zur zweiten Familie geworden.

Martina Nix: Geboren 1968 in Berlin. Studium der Neueren deutschen Literatur, Philosophie und Russistik an der Humboldt-Universität zu Berlin. Während des Studiums und danach Tätigkeit als Dokumentationsjournalistin beim SPIEGEL. Seit 2002 freie Journalistin. Seit 2005 auch Produktion und Redaktion einer Mitarbeiterzeitung für die Bahn. Martina Nix lebt in Berlin.