Sven Regeners Grimm-Professur an der Uni Kassel

Musiker im Professorengewand

Der Musiker und Schriftsteller Sven Regener.
Tritt heute die Kasseler Grimm-Professur an: der Musiker und Schriftsteller Sven Regener © imago/STAR-MEDIA
Moderation: Liane von Billerbeck · 24.05.2016
Als Musiker und Schriftsteller ist Sven Regener bereits bekannt und beliebt. Als Grimm-Gastprofessor hält er nun an der Uni Kassel auch öffentliche Vorträge. Uns hat er im Interview verraten, worüber er im Hörsaal sprechen will: über psychische Extremzustände!
Die Fans von "Element of crime" lieben seine melancholischen Songtexte, bei Bücherfreunden ist er für den lakonischen Erzählton seiner "Herr Lehmann"-Trilogie beliebt. Sven Regeners Sprache kommt beim Publikum an und deshalb wurde er nun eingeladen selbst darüber zu sprechen - im Rahmen der Brüder-Grimm-Professur, die die Universität Kassel jährlich an namhafte Autoren vergibt.
Seine Berufung verstehe er als Ehrung, sagt Regener im Deutschlandradio Kultur. "Man wird auf gewisse Weise natürlich ein bisschen beweihräuchert. Und das ist eigentlich sehr freundlich. Es ist eine nette, freundliche Einladung, wo man ein bisschen was zu seiner eigenen Poetik erzählen kann - und das kann ja nicht schaden." Durch seine zweitägige Professur werde er allerdings nicht plötzlich zum "Super-Akademiker": "Das wär ein bisschen lächerlich."
Das Thema von Regeners Vorlesung lautet "Depression und Witzelsucht - Humor in der Literatur", ein Titel, den er sich selbst ausgedacht habe: "Das klingt irgendwie gut." Der gesamte Humorbereich pendele zwischen diesen beiden psychischen Extremzuständen. Auch ein Seminar werde halten, über die Erzählperspektive bei Herrn Lehmann. Regener: "Das kann man eigentlich wahrscheinlich in zehn Minuten abhaken und dann kann man noch ein bisschen plaudern und einen vom Pferd erzählen."

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Wer sein Studium nicht beendet hat oder es ewig nicht schaffte, die Promotion doch noch fertig zu machen, und plötzlich – oh weia – ist der Doktorvater nicht mehr am Leben oder kann sich an einen gar nicht mehr erinnern … Tja, derlei passiert! Und mancher, der diesen akademischen Rucksack trägt, kann ihn ein Leben lang nicht abwerfen. Ob das bei meinem jetzigen Gesprächspartner auch so ist? Der Mann tritt heute die 2016er Kasseler Grimm-Professur an. Seit 20 Jahren gibt es die und die geht stets an einen bedeutenden Autor oder an eine Autorin, Ilija Trojanow war schon dort, Herta Müller und im vorigen Jahr der Kinderbuchautor Paul Maar. Der diesjährige Grimm-Professor hat zwar sein Studium der Musikwissenschaft nicht abgeschlossen, dafür aber gleich in zwei anderen Fächern reüssiert: Als toller Musiker bei Element of Crime und als sehr erfolgreicher Romanautor der "Lehmann"-Trilogie. Sven Regener, schönen guten Morgen, Herr Professor!
Sven Regener: Ja, guten Morgen! Heute geht es, genau, heute und morgen kann man mich als Professor ansprechen!
von Billerbeck: Zwei Tage lang sind Sie Kasseler Grimm-Professor. War das eine Genugtuung, trotz nicht abgeschlossenen Studiums nun in diese akademischen Weihen berufen zu werden?
Regener: Na ja, da ist eigentlich nicht so direkt ein Zusammenhang. Ich habe ja damals das Studium auch deshalb abgebrochen, weil ich feststellte, dass mir das auch nichts bedeuten würde.
von Billerbeck: Aber jetzt bedeutet es Ihnen was, Grimm-Professor zu sein?
Regener: Nein, ich bin ja nicht … Ich bin ja kein Professor, für zwei Tage! Das ist einfach eine Ehrung. Ich meine, man wird auf gewisse Weise natürlich beweihräuchert und das ist eigentlich sehr freundlich, das ist eine nette, eine freundliche Einladung, wo man ein bisschen was zu seiner eigenen Poetik erzählen kann, und das kann ja nicht schaden. Und das Drumherum ist auch okay, ich habe da, glaube ich, ein super Hotel und ein bisschen Geld gibt es auch, das ist eine okaye Sache. Aber man muss jetzt nicht … Deswegen bin ich jetzt nicht plötzlich der super Akademiker oder so, das wäre ein bisschen lächerlich, glaube ich!
von Billerbeck: Sie haben sich also keine Visitenkarte für die zwei Tage drucken lassen?
Regener: Nein, ich habe noch nie eine Visitenkarte drucken lassen, in meinem ganzen Leben nicht.

Sven Regener ist kein Fan der Gebrüder Grimm

von Billerbeck: Nun ist das die Grimm-Professur. Die beiden Brüder sind ja berühmt für ihr Wörterbuch, für gute Sprache und auch für die Märchen. Was bedeuten die Ihnen?
Regener: Ja, mit den Märchen … Ich bin nicht so ein Märchenfreund, muss ich sagen.
von Billerbeck: Nein?
Regener: Nein, ich finde die Märchen der Gebrüder Grimm … Sie haben was, aber ich bin nicht so wahnsinnig von … Als Kind fand ich das durchaus beeindruckend, aber auch ein bisschen sehr grausam manchmal. Ich meine, das sind nun wirklich eigentlich keine schönen Geschichten. Wenn sie dann die Hexe in den Ofen werfen und so, schön ist was anderes, die Eltern ihre Kinder in den Wald aussetzen und so.
von Billerbeck: Das ist nicht schön, das stimmt, aber die Hexe in den Ofen, das findet man doch eigentlich in Ordnung?
Regener: Ja, aber man ist ja dann auch irgendwann mal gegen Todesstrafe.
von Billerbeck: Selbst für Hexen!
Regener: Das ist natürlich Notwehr in dem Fall, das sehe ich auch ein … Nein, ich glaube, das ist ja eine seltsame Zwittergeschichte, diese Märchen, weil sie ja behaupten, sie hätten sie quasi … Also so ein romantischer Ansatz eigentlich des 19. Jahrhundert, wenn man sagt, man hat sie gesammelt im Volk und die kommen aus dem Volk und so.
Man stellte ja später fest, dass viele von denen tatsächlich eigentlich dann auch französische Kunstmärchen waren, die sich über Romane und so verbreitet hatten und dann nur so weitererzählt wurden. Also, das Ganze ist natürlich auch irgendwo ein Fake gewesen und hat so einen Mythos des Volkstümlichen, den ich eigentlich nicht besonders gern mag.
von Billerbeck: Also, nicht dass Sie denken, Sven Regener hat keine akademische Bildung, da kam doch jetzt schon einiges raus!
Regener: Das ist gar nicht akademisch, das gehört einfach auch dazu. Wenn man sich interessiert für so einen Kram, dann merkt man sich das, wenn man das irgendwo liest oder so. Aber ich glaube, die Gebrüder Grimm, das Wörterbuch der deutschen Sprache der Gebrüder Grimm, das ist das wichtige Werk, das, wo sie sich wirklich auch verdient gemacht haben.

Vorlesung über Depression und Witzelsucht

von Billerbeck: Nun halten Sie ja auch eine Vorlesung und ein Seminar. Die Vorlesung hat das Thema "Zwischen Depression und Witzelsucht. Humor in der Literatur". Braucht man beides, Depression, um dann auch komisch zu sein? Oder zu witzeln? Da liegen ja auch wieder Welten dazwischen!
Regener: Na ja, das ist zumindest ein guter Titel, das klingt irgendwie gut.
von Billerbeck: War der von Ihnen oder ist der Ihnen vorgegeben worden?
Regener: Den habe ich mir selber ausgedacht, schön gleich zwei Begriffe aus der Psychopathologie einwerfen! Die psychischen Extremzustände, weil, darum geht es letztendlich, dass sozusagen der ganze Humorbereich zwischen diesen beiden Extremen stattfindet. Der Witzelsüchtige als jemand, der alle Gefühle wegdrückt, indem er sie wegwitzelt sozusagen …
Freud sagt ja quasi, dass Humor Lustgewinn schafft durch ersparten Gefühlsaufwand, also Humor quasi die Gefühle wegdrückt. Das macht der Witzelsüchtige in einem Ausmaß, dass man feststellt, es hat schon was Pathologisches, und der Depressive kann das gar nicht mehr, hat diese Distanz zu den Dingen, die findet er gar nicht mehr, und auch zu seinen eigenen Gefühlen nicht. Das sind natürlich Extremzustände, zwischen denen sich das bewegt. Ich muss das natürlich dann in dieser Vorlesung, die ich da halte, erst mal ein bisschen erklären und so.
von Billerbeck: Das heißt, die ist noch nicht fertig?
Regener: Doch, doch, die ist schon fertig, aber ich werde sie jetzt nicht hier im Radio halten!
von Billerbeck: Schade eigentlich!
Regener: Dann ist ja die ganze Überraschung weg!
von Billerbeck: Die kommen jetzt alle zu Ihnen, das ist Ihnen klar, ja? Die haben jetzt gerade die Karten nach Kassel gekauft und machen sich auf den Weg.
Regener: Wer?
von Billerbeck: Na, alle, die jetzt begeistert sind und wissen wollen, wie das mit Freud und Regener, Depression und Witzelsucht ist!
Regener: Es würde zu weit führen … Aber das ist sozusagen das Spannungsfeld, in dem wir uns da bewegen, sozusagen … Ich habe diese Begriffe gewählt, um zu sagen, das eine ist das Extreme, das komplett Humorlose, die eine Seite des Spektrums, und das andere ist eben das sozusagen, wo man alles wegwitzelt. Humor ist auch eine kalte Technik. Das ist wichtig.
Alle wollen gern Humor haben, Humor ist toll und so, aber im Grunde genommen hat sie natürlich auch was Kaltes und auch was, wie soll ich sagen, was Bösartiges und Aggressives. Und das muss man auch in so einem Zusammenhang bringen, weil das natürlich für das, wie die Literatur wirkt und wie man in der Kunst generell mit Humor umgeht, natürlich eine Rolle spielt.

Einen vom Pferd erzählen

von Billerbeck: Nun halten Sie nicht bloß eine Vorlesung, sondern auch ein Seminar. Was für Beispiele werden Sie denn da bringen an Depression und …
Regener: Ach Gott, das Seminar macht mir richtig graue Haare, sage ich Ihnen ganz ehrlich.
von Billerbeck: Ach echt, Sie wissen noch gar nicht, was Sie da anstellen?
Regener: Ja, schon, ich habe … Das Thema ist extrem banal, Erzählperspektive bei "Herr Lehmann". Ich hoffe …
von Billerbeck: Oh Gott.
Regener: Ja, das ist auch nicht falsch, mal so ein bisschen …
von Billerbeck: Nein, aber das klingt so nach Masterarbeit für Germanistikstudenten.
Regener: Das klingt eigentlich eher nach Grundkurs, finde ich, sogar Übung, Erstsemester.
von Billerbeck: Ja.
Regener: Finde ich aber ganz gut, denn das kann man eigentlich wahrscheinlich in zehn Minuten abhaken und dann kann man noch ein bisschen plaudern und einen vom Pferd erzählen, das ist auch nicht falsch. Ich hatte eigentlich … Ich habe keine Erfahrung mit Seminaren oder dem Leiten von Seminaren, ich bin seit über 30 Jahren nicht mehr an der Uni gewesen, seit Ende 85.
Und deshalb weiß ich überhaupt nicht, wie das da heute so läuft und so. Der Mann, der mich da betreut, Professor Greif, hat mich schon beruhigt und so, aber das Seminar macht mir Sorgen. Zumal mir Leander Haußmann gesagt hat, er hätte mal ein Seminar gemacht an so einer Hochschule und da hätte keiner was gesagt. Und das ist halt …
von Billerbeck: Ja, aber wenn ich Sie hier höre, Sie reden ja genug, Herr Regener, Sie brauchen ja eigentlich niemanden.
Regener: Ja eben, aber das ist ja auch ein bisschen peinlich. Erst eine Vorlesung, wo man die ganze Zeit redet, und dann auch noch beim Seminar die ganze Zeit reden.
von Billerbeck: Also, an alle, die jetzt nach Kassel fahren: Lassen Sie sich überraschen, Sven Regener weiß noch nicht, was im Seminar kommt, aber die Vorlesung hat er schon fertig.
Regener: Ich bitte darum, wenn man ins Seminar geht, bitte auch den Mund aufmachen! Das ist sehr wichtig!
von Billerbeck: Danke! Das haben wir hiermit der Menschheit mitgeteilt.
Regener: Exzellent!
von Billerbeck: Sven Regener war das, an der Uni Kassel beginnt heute seine zweitätige Grimm-Professur. Danke fürs Gespräch!
Regener: Ja, gern geschehen!
von Billerbeck: Und alles Gute für Sie!
Regener: Danke, Ihnen auch!
von Billerbeck: Ja, tschüs!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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