Susy, Higgs und schwarze Löcher

Von Frank Grotelüschen · 30.12.2007
Er ist der leistungsfähigste und teuerste Teilchenbeschleuniger aller Zeiten: Der Large Hadron Collider (LHC) ist in einen 27 Kilometer langen unterirdischen Ringtunnel in Genf eingebaut. Er soll unentdeckte Elementarteilchen aufspüren und dadurch verraten, woraus die Welt besteht. Im Mai 2008 geht der Superbeschleuniger in Betrieb.
Eine triste Fabrikhalle in der Nähe von Genf. Gerade fährt ein Schwertransporter vor. Auf der Ladefläche hat er eine blau lackierte Metallröhre, einen Meter dick und 15 Meter lang. Es ist ein Spezialmagnet, extrem kräftig und ziemlich massiv.

Die 1200 Magneten bilden das Herz des LHC, des neuen Superbeschleunigers, sagt Jörg Wenninger. Er arbeitet als Physiker am CERN in Genf.

"Das Besondere an den Magneten ist, dass sie supraleitend sind. Sie werden so weit abgekühlt, bis der elektrische Widerstand auf null geht.”"

Die Magneten funktionieren nur, wenn sie mit flüssigem Helium gekühlt werden, auf eine Temperatur von etwa minus 270 Grad Celsius; so kalt wie der Weltraum.

""Der Magnet wird jetzt irgendwo auf ein Gelände gebracht, wo er abgestellt wird, bis er in den Tunnel gehen kann.”"

Der Tunnel, das ist ein riesiger unterirdischer Ring. Sein Umfang: 27 Kilometer. In ihm sind die 1200 Magneten mittlerweile eingebaut. Im Mai will das CERN alle diese Magneten einschalten. Dann werden sie extrem schnelle Wasserstoffkerne auf der Bahn halten - Teilchen, die praktisch so schnell sind wie das Licht, nahezu 300.000 Kilometer pro Sekunde. Die eine Hälfte der Wasserstoffkerne wird man im Uhrzeigersinn kreisen lassen, die andere im Gegensinn. An einigen Stellen des Rings prallen die Teilchen dann zusammen, frontal und mit voller Wucht.

Für Sekundenbruchteile flackert ein winziger, aber extrem dichter Feuerball auf. Das Entscheidende: In diesem Feuerball können neue, bislang unbekannte Teilchen entstehen, Teilchen, die den Physikern verraten, aus welchen Grundbausteinen Materie letztlich besteht und was diese Bausteine zusammenhält. Beobachtet werden die Teilchenkollisionen von einer Art Teilchenkamera, Detektor genannt. Er steckt, ebenso wie der Magnettunnel, tief unter der Erde.

100 Meter fährt der Fahrstuhl abwärts, dann öffnet sich die Tür. Ein paar Schritte durch einen Gang, und plötzlich steht man in einer Halle von den Ausmaßen einer Kathedrale.

""Was man sieht, das am eindrücklichsten ist, sind die Füße des Detektors.”"

Silvia Schuh, Physikerin bei Atlas, so nennen die Forscher ihren Detektor, die riesige Teilchenkamera.

""Die sind ungefähr drei Meter hoch und vier Meter breit. Und da wird einmal das Experiment draufstehen. Der Detektor wird 40 mal 20 Meter groß werden.”"

In den Hallenwänden fallen zwei Löcher ins Auge. Sie liegen sich genau gegenüber. Da geht es zum Tunnel für die Magneten, sagt Silvia Schuh.

""Von beiden Seiten kommt der Strahl herein und wird dann im Zentrum des Detektors zur Kollision gebracht, also von rechts und von links kommen Protonen, und die kollidieren dann im Zentrum. Was dabei passiert, ist, dass neue Teilchen, die vorher noch nicht existiert haben, entstehen können, erzeugt werden in dem Zentrum von unserem Detektor. Die leben eine bestimmte Zeit, zerfallen dann. Und wir sehen uns eben an, was nachher quasi passiert, nachdem sie zerfallen sind. Wir messen ihre Zerfallsprodukte.”"

Mit einer Milliarde Teilchenzusammenstößen rechnen die Forscher - pro Sekunde. Die interessantesten wollen sie auswerten, wollen rekonstruieren, was an neuen, exotischen Teilchen im Ring entstanden ist.

""Wir wollen herausfinden, woher die Masse der Teilchen kommt. Unsere Theorie sagt uns, dass es ein Teilchen geben soll, das Higgs-Teilchen. Und wir versuchen dieses Teilchen zu finden.”"

Das Higgs-Teilchen: Das meist gesuchte Teilchen in der Physik. Higgs soll erklären helfen, warum die elementaren Bausteine der Materie, Teilchen wie Quarks und Elektronen, überhaupt Masse besitzen.

Auch andere Beschleuniger wollten das Higgs schon aufspüren. Doch sie erwiesen sich als zu klein und zu schwach. Der LHC aber, da sind sich die Physiker sicher, wird das Higgs finden und könnte dem CERN damit einen Nobelpreis bescheren.

Und noch einer neuen, bislang unentdeckten Teilchengattung ist der Megabeschleuniger auf der Spur: dem sogenannten supersymmetrischen Teilchen, oder kurz und prägnant: SUSY-Teilchen.

""Die Supersymmetrie würde eine weitere Vereinfachung im Bild der Teilchenphysik bringen. Dabei sagt diese Theorie voraus, dass alle uns jetzt bekannten Teilchen Partnerteilchen haben. Der LHC und das Atlas-Experiment wurden so konzipiert, dass wir nach diesen Teilchen Ausschau halten können”,"

sagt CERN-Physiker Peter Jenni. Vielleicht sind es eben diese SUSY-Teilchen, die hinter einem großen Rätsel des Universums stecken: der sogenannten dunklen Materie.

Physiker wissen, dass es im Universum eine rätselhafte Materieform geben muss, die die Galaxien zusammenhält wie ein unsichtbarer Klebstoff. SUSY-Teilchen gelten als heiße Kandidaten für diese rätselhafte, dunkle Materie.

""Der Traum der Teilchenphysiker ist auch, dass etwas Neues, Unerwartetes passieren könnte. Und das Aufregende am LHC ist wirklich, dass wir eine so hohe Kollisionsenergie zur Verfügung haben, dass das durchaus der Fall sein kann.”"

Manche Forscher können sich sogar vorstellen, dass der LHC etwas erzeugt, dass es sonst nur in den Tiefen des Weltalls gibt: schwarze Löcher. An sich sind das monströse Himmelskörper mit einer so gewaltigen Gravitation, dass sie sogar Licht für immer verschlucken. Aber es könnte sein, dass es schwarze Löcher auch als Miniaturausgabe gibt, viel kleiner noch als ein Atomkern. Und: Wenn man mit einem Teilchenbeschleuniger mit voller Wucht Wasserstoffkerne aufeinander feuert, könnte man diese Minilöcher womöglich gezielt erzeugen, sagt der Frankfurter Physiker Marcus Bleicher.

""Das kann dazu führen, wenn man Kerne von Wasserstoffatomen aufeinander schießt, dass die Gravitationskraft bei der starken Verdichtung der Wasserstoffkerne derartig stark ansteigt, dass sich ein schwarzes Loch bilden kann. Und wir hoffen, dass das wirklich passiert und dass es beobachtbar wird, und nach unseren aktuellen Rechnungen scheint die Energie am LHC wirklich auszureichen."

Ein schwarzes Loch, also ein Gebilde, das kraft seiner Gravitation alles verschlingt, direkt unter den Füßen von Genfer Bankiers und französischen Landwirten? Das klingt gelinde gesagt nicht ganz ungefährlich.

"Die Frage hat uns natürlich auch sehr stark interessiert und wir können nach heutigem Stand der Wissenschaft kategorisch verneinen, dass die schwarzen Löcher gefährlich sind, die man im Beschleuniger erzeugt."

Vielleicht, meint Marcus Bleicher, könnte man die schwarzen Löchlein eines Tages sogar nutzen, um Energie zu erzeugen: eine fantasievolle, wenn auch verwegene Idee. Weit weniger abgedreht ist das, was sich die Computerexperten des CERN überlegt haben. Ende der achtziger Jahre hatten sie das World Wide Web erfunden. Und für den Superbeschleuniger LHC haben sie sich wieder etwas Neues einfallen lassen.

""Wenn wir jetzt da reingehen, wird das sehr laut. Das heißt Farm. Wie auf einem großen Maisfeld stehen hier die Rechner einer neben dem anderen.”"

Der Raum ist groß wie eine Turnhalle, und die Klimaanlage rauscht so laut, dass man dagegen anschreien muss. Links wie rechts stehen Regale mit Hunderten von PCs. Das hier ist die Keimzelle für das neue Rechnerkonzept vom CERN: GRID heißt es, wörtlich übersetzt Gitter.

""Wenn Sie es vergleichen mit dem Web, wo man Textseiten oder Bilder aufrufen kann, ohne direkt zu wissen, wo sich die Information befindet, ist die Hoffnung, dass man in der Zukunft beim GRID nicht nur die Information verteilen kann, sondern dass man die Rechenleistung automatisch integrieren kann.”"

Wolfgang von Rüden, Computerchef des CERN. Bislang ist das Internet ein globales Hin- und Herschieben von Daten. Rechnen aber tut jeder Computer für sich allein.

Anders beim GRID: Hier sind Computer in sämtlichen Winkeln des Erdballs so miteinander vernetzt, dass sie gemeinsam agieren können. Der Trick: Das GRID lässt immer dort rechnen, wo die Computer gerade nichts zu tun haben. Egal, wo auf der Welt ein Physiker die Messdaten des LHC auswerten will - am Ende bekommt er sein Ergebnis, ohne zu ahnen, wo es ausgerechnet wurde; ob in Berlin, Peking oder New York.

""Die GRID-Software sorgt dafür, dass der Endverbraucher das gesamte Netz wie einen einzigen Rechner sieht.”"

IT-Firmen wie IBM und Intel beobachten genau, was da am CERN ausgeheckt wird. Man weiß ja nie: Vielleicht wird es ja wieder so ein Renner wie das World Wide Web. Doch die CERN-Forscher entwickeln das GRID vor allem für den LHC: Der nämlich wird so viele Daten liefern, dass ein Rechenzentrum alleine mit der Datenanalyse überfordert wäre.

Das Ganze hat natürlich seinen Preis: Über drei Milliarden Euro wird der LHC kosten. Mehr als einmal musste das CERN-Management das Projekt verschieben und die europäischen Mitgliedsländer um einen Nachschlag bitten. Doch nun geht es bald los, und die Physiker fiebern dem Start des Beschleunigers entgegen.

3000 Menschen arbeiten fest am CERN. Und jedes Jahr kommen 6000 Gastforscher und wenn der LHC erst mal läuft, werden noch mehr Physiker aus aller Welt nach Genf reisen.