Surrealistische DDR-Tirade
Hinter dem nächtlichen Besucher verbirgt sich Arthur Socke, Leiter einer DDR-Jugendbrigade, der einen alternden Dichter auf den Pfad der Tugenden parteioffizieller Literatur zurückzuholen versucht. Mit dieser unverblümten und zugleich surrealistischen Schmähschrift gegen die DDR-Wirklichkeit hatte der in Düsseldorf geborene und 1955 in die DDR emigrierte Autor Adolf Endler zu Lebzeiten dieses Staates keine Chance auf Veröffentlichung. Jetzt hat der Wallstein Verlag das Werk dem Vergessen entrissen.
"Stimmt es ferner", fragt der politisch kaltgestellte Dichter seinen frühmorgendlichen Besucher, "dass man hofft, auch aus meinen zugegebenermaßen fast absonderlichen Wohnverhältnissen heraus demnächst wieder literarische Früchte gereicht zu bekommen, am besten aus Stille gemacht, die nicht zuletzt für den kleinen Mann auf der Straße gangbar, akzeptabel und weiterführend sein können, nicht so schlitzäugig vergrübeltes Flechtwerk wie jetzt?"
In der ersten Hälfte der 80er Jahre schrieb der Schriftsteller Adolf Endler, später als "Tarzan vom Prenzlauer Berg" einem größeren Publikum bekannt geworden, an einer barocken, gleichwohl knapp und unverblümt gehaltenen Schmähschrift, die sein Verhältnis zur DDR so zum Ausdruck brachte, dass zu Lebzeiten dieses Staats keine Chance auf Veröffentlichung bestand.
Kurz vor der Wende erschien der Text dann in geringer Auflage beim Kunstverlag der "Berliner Handpresse", auf der anderen Seite der Mauer; später geriet er in Vergessenheit - sogar beim Autor. Nun hat der Göttinger Wallstein Verlag Endlers Schmähschrift unter dem Titel "Nächtlicher Besucher, in seine Schranken gewiesen. Eine Fortsetzungszüchtigung" dem Vergessen entrissen - und das zu Recht.
Arthur Socke, der ungebetene Besucher, ist Leiter einer Jugendbrigade im VEB BAKO (Backwarenkombinat). Der noch irgendwie pubertierende Socke beklagt sich beim alternden Dichter über dessen Obszönitäten, versucht bei ihm gar ein Schamgefühl hervorzurufen und ihn auf den Pfad der Tugenden parteioffizieller Literatur zurückzuholen. Der Dichter aber, nach seiner Solidaritätserklärung für Wolf Biermann und einem von ihm unterschriebenen Protestbrief an Erich Honecker aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen, will eines unter keinen Umständen: wieder in den Verband zurück.
Er bearbeitet Arthur mit einer Schimpfkanonade, polemisiert gegen das Verantwortungspathos der Schriftsteller gegenüber der Gesellschaft, stellt sich gar vor, wie er den Eindringling mit seinen nikotingebräunten Fingernägeln blutig kratzt, ihn mit braunen aufsplitternden Wäscheklammern aus giftiger Plaste foltert, um herauszubekommen, wer seine Hintermänner im einzelnen sind. Zugleich soll der gezüchtigte Socke die Realität zur Kenntnis zu nehmen - und sei es nur die einer Prenzlauer-Berg-Unterkunft voller Löcher und Spalten, durch die Laute und Flüssigkeiten aller Art dringen und ein furchterregender Sturm fegt.
Endlers Schmähschrift gegen die DDR-Wirklichkeit trägt weniger die Züge eines politischen Pamphlets, gleicht eher einer surrealistischen Tirade. Man steckt mitten im Alltag und zugleich in einer ganz und gar unwirklichen Welt. Kontraste erzielt Endler nicht zuletzt durch ein fulminantes Spiel mit den Sprachebenen. Er versetzt den erhabenen Ton der literarischen Tradition mit dem schnoddrigen Jargon seiner Berliner Befindlichkeit und mischt die sprödesten Wortungetüme des Realsozialismus darunter.
Das Ganze wirkt grotesk, doch nie nur komisch um der Komik willen. Dafür ist der Anlass zu ernst und die zwischendurch aufscheinende Lebensgeschichte des schimpfenden Helden zu verwickelt.
Adolf Endler kam 1930 in Düsseldorf zur Welt. 1955 lief er in die DDR über, verrichtete Gelegenheitsarbeiten und kam dann zum Schreiben. Anfangs noch in dem Glauben, im besseren Deutschland zu leben, haderte er bald mit dem Staat und seiner Doktrin. Anfang der 80er Jahre wurde er zum Vorreiter der von ihm so genannten "Prenzlauer-Berg-Connection". Sein "Nächtlicher Besucher" verwandelt diese Erfahrung in ein akrobatisches Kunststück - gleichsam unter einer Zirkuskuppel. Man schaut mit Vergnügen hin, aber auch mit Furcht und etwas Melancholie.
Rezensiert von Martin Sander
Adolf Endler: Nächtlicher Besucher, in seine Schranken gewiesen. Eine Fortsetzungs-Züchtigung
Wallstein Verlag, Göttingen 2008, 48 Seiten
In der ersten Hälfte der 80er Jahre schrieb der Schriftsteller Adolf Endler, später als "Tarzan vom Prenzlauer Berg" einem größeren Publikum bekannt geworden, an einer barocken, gleichwohl knapp und unverblümt gehaltenen Schmähschrift, die sein Verhältnis zur DDR so zum Ausdruck brachte, dass zu Lebzeiten dieses Staats keine Chance auf Veröffentlichung bestand.
Kurz vor der Wende erschien der Text dann in geringer Auflage beim Kunstverlag der "Berliner Handpresse", auf der anderen Seite der Mauer; später geriet er in Vergessenheit - sogar beim Autor. Nun hat der Göttinger Wallstein Verlag Endlers Schmähschrift unter dem Titel "Nächtlicher Besucher, in seine Schranken gewiesen. Eine Fortsetzungszüchtigung" dem Vergessen entrissen - und das zu Recht.
Arthur Socke, der ungebetene Besucher, ist Leiter einer Jugendbrigade im VEB BAKO (Backwarenkombinat). Der noch irgendwie pubertierende Socke beklagt sich beim alternden Dichter über dessen Obszönitäten, versucht bei ihm gar ein Schamgefühl hervorzurufen und ihn auf den Pfad der Tugenden parteioffizieller Literatur zurückzuholen. Der Dichter aber, nach seiner Solidaritätserklärung für Wolf Biermann und einem von ihm unterschriebenen Protestbrief an Erich Honecker aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen, will eines unter keinen Umständen: wieder in den Verband zurück.
Er bearbeitet Arthur mit einer Schimpfkanonade, polemisiert gegen das Verantwortungspathos der Schriftsteller gegenüber der Gesellschaft, stellt sich gar vor, wie er den Eindringling mit seinen nikotingebräunten Fingernägeln blutig kratzt, ihn mit braunen aufsplitternden Wäscheklammern aus giftiger Plaste foltert, um herauszubekommen, wer seine Hintermänner im einzelnen sind. Zugleich soll der gezüchtigte Socke die Realität zur Kenntnis zu nehmen - und sei es nur die einer Prenzlauer-Berg-Unterkunft voller Löcher und Spalten, durch die Laute und Flüssigkeiten aller Art dringen und ein furchterregender Sturm fegt.
Endlers Schmähschrift gegen die DDR-Wirklichkeit trägt weniger die Züge eines politischen Pamphlets, gleicht eher einer surrealistischen Tirade. Man steckt mitten im Alltag und zugleich in einer ganz und gar unwirklichen Welt. Kontraste erzielt Endler nicht zuletzt durch ein fulminantes Spiel mit den Sprachebenen. Er versetzt den erhabenen Ton der literarischen Tradition mit dem schnoddrigen Jargon seiner Berliner Befindlichkeit und mischt die sprödesten Wortungetüme des Realsozialismus darunter.
Das Ganze wirkt grotesk, doch nie nur komisch um der Komik willen. Dafür ist der Anlass zu ernst und die zwischendurch aufscheinende Lebensgeschichte des schimpfenden Helden zu verwickelt.
Adolf Endler kam 1930 in Düsseldorf zur Welt. 1955 lief er in die DDR über, verrichtete Gelegenheitsarbeiten und kam dann zum Schreiben. Anfangs noch in dem Glauben, im besseren Deutschland zu leben, haderte er bald mit dem Staat und seiner Doktrin. Anfang der 80er Jahre wurde er zum Vorreiter der von ihm so genannten "Prenzlauer-Berg-Connection". Sein "Nächtlicher Besucher" verwandelt diese Erfahrung in ein akrobatisches Kunststück - gleichsam unter einer Zirkuskuppel. Man schaut mit Vergnügen hin, aber auch mit Furcht und etwas Melancholie.
Rezensiert von Martin Sander
Adolf Endler: Nächtlicher Besucher, in seine Schranken gewiesen. Eine Fortsetzungs-Züchtigung
Wallstein Verlag, Göttingen 2008, 48 Seiten