Surreal und zugleich deftig erdnah

John Cheever ist ein Autor, dem der Blödsinn genauso gefällt wie die Groteske. Sein Roman "Der Wapshot Skandal" ist eine Art Familiensaga, die jedoch auch etliche Nebenschausplätze bietet. Der US-Schriftsteller schwelgt geradezu in der Beschreibung bizarrer Szenen am Rande und erzählt eher fragmentarisch über das Schicksal einer Ostküstenfamilie.
Die Wapshots haben sich schon im siebzehnten Jahrhundert in St. Botolphs angesiedelt, einem imaginären Ort an der amerikanischen Ostküste. Aber sie wurden kein Clan. Gewannen nicht an Geld und Macht, sondern siechten über Generationen und Jahre vor sich hin.

In den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts arbeitet einer von ihnen, Coverly Wapshot, als Codierer auf einer Militärbasis irgendwo im Wilden Westen. Während sein Bruder Moses von seiner angebeteten Gattin betrogen wird mit Emile, dem jungen Lieferanten des Lebensmittelladens, mit dem sie nach Rom durchbrennt - und natürlich auch in der Ewigen Stadt die ewige Jugend nicht findet und das ewige Glück schon gar nicht.

Es geht bergab mit den Wapshots. Cousine Honora, die einzige in der Familie, die noch reich ist, hat Steuern hinterzogen und steht vor dem Ruin. Und doch haben wir es hier nicht mit einer amerikanischen Variante der Buddenbrooks zu tun.

John Cheever erzählt keine Familiensaga. Jedenfalls nicht so, wie wir es kennen. Linear und zielgerichtet. Cheever, den man auch schon den "Czechov der Suburbs" genannt hat, erzählt eher fragmentarisch, mäandert genussvoll dahin, schwelgt in Nebenschauplätzen, schreibt frohlockend bizarre Szenerien.

Da ist der Bote der chemischen Reinigung, der so allein ist, dass er abends die Fliegen in seinem Haus nicht verscheucht, sondern mit ihnen redet. "Wir sind ganz allein", sagt er zu ihnen und macht ihnen Komplimente: "Ihr seht gut aus, Fliegen."

Coverly wird von seinem Vater als Geist heimgesucht, von seinem Nachbarn in die Wade gebissen, von seiner hysterischen Frau manipuliert und ist ihr doch in Liebe närrisch ergeben.

Der Steuerfahnder, der Cousine Honora auf den Fersen ist, sitzt in St. Botolphs einsam im Hotelzimmer herum und erkennt nach dem zweiten Glas Sherry: "Ich hatte nie eine elektrische Eisenbahn. Ich hatte nie einen Hund."

Was für ein Glück für uns Leser, dass der DuMont Verlag es sich zur Aufgabe gemacht hat, John Cheever neu herauszubringen. Diesen im deutschen Sprachraum fast übersehenen Großmeister unter den amerikanischen Erzählern, den Thomas Gunkel jetzt wortsicher übersetzte.

Cheever starb 1982 mit 70 Jahren. Wenige Jahre vor seinem Tod wurde er mit dem Pulitzer Preis für sein Gesamtwerk ausgezeichnet. Ein Autor, der mit Lakonie, Witz, verschwenderischer Fantasie und abgründiger Lust scheinbar schlichte Alltagsgeschichten erzählt. Es geht um Langeweile, Geld, Ehen, Hilflosigkeit, Rosentapeten, Pfarrer, Betrüger, Whiskey und um launische Frauen, die hin und wieder ziemlich gereizt sind, "weil ihrem Leben die erfrischenden Kräfte der Sehnsucht und der Not fehlten".

Vor allem geht es darum, die fratzenhaft komischen Momente im Drama des Daseins mit dem Gelächter eines Satyrs zu genießen. Sodass den Leser bald die Frage bedrängt: Und was ist nicht lächerlich?

Cheever ist ein Autor, dem der Blödsinn so gefällt wie die Groteske. Der keinen hohen Ton anstreben muss, weil er das Handwerk beherrscht. Das Handwerk des Erzählens. Mal in einem verblüffend naiven Ton, in den er mit Verve und Geschick seine boshaften Weisheiten einwebt, dann wieder surreal und deftig erdnah zugleich. Ein leidenschaftlich wort- und lebensgieriger Autor. Eine wirkliche Wieder-Entdeckung.

Rezensiert von Gabriele von Arnim

John Cheever: Der Wapshot Skandal
Aus dem Englischen von Thomas Gunkel
Roman, Dumont, Köln 2008
332 Seiten, 19.90 Euro