Superman
Im Film "Superman" (2025) von James Gunn spielt David Corenswet den Titelcharakter. © Imago / ZUMA Press / DC Studios
Warum wir Helden brauchen

In einer Zeit, in der die Welt im Chaos zu versinken scheint, kommt wieder Superman ins Kino. Aber ist diese altmodische Comicfigur noch zeitgemäß? Trotz aller Kritik: Helden haben noch nicht ausgedient. Wir haben sie nötiger denn je.
Ja, es ist albern, seine Unterhose über einem blauen Strampelanzug zu tragen. Besonders, wenn sie rot ist. Der rote Umhang macht es nicht besser. Besonders, wenn man ihn eigentlich nicht braucht. Und das riesige rot-gelbe Symbol in Diamantform auf der Brust ist doch zu sehr aufs Auge gedrückt. Und trotzdem: Es gibt ihn noch immer. Superman, den Urvater aller Superhelden, nun schon seit 87 Jahren in den Comics und neuerdings wieder im Kino. Neuer Darsteller, neuer Regisseur, neues Konzept, aber im Grunde bleibt sich Superman treu. Er darf auf der Leinwand sogar wieder seine rote Unterhose tragen.
Aber wer braucht diese Ikone noch, abgesehen von Hollywood, das nicht müde wird, uns immer wieder Neuaufgüsse derselben Franchises aufzutischen? Ist das Publikum nicht längst der Superhelden müde? Und hat das Konzept des Helden nicht ohnehin ausgedient?
Helden mit Selbstzweifeln
Die Kritik daran ist auch nicht neu, es gibt sie fast so lange wie die Superhelden selbst. Schon in den 50er-Jahren gab es in den USA eine regelrechte Hexenjagd auf Comics und die Superhelden mussten sich die absurdesten Vorwürfe gefallen lassen, allen voran, die Jugend zu verderben. Da half es auch nicht, dass auch Batman, Wonder Woman und Co. selbstlos unzählige Menschenleben retteten. Seit den frühen 60ern dürfen sie (bei Marvel) auch echte menschliche Probleme wie Geldsorgen und Beziehungsstress haben, seit den späten 60ern sich auch um „echte“ Probleme wie Drogen und Diskriminierung kümmern und spätestens seit den 80ern müssen sie gebrochene Charaktere sein, mit tiefsten Abgründen und vor allem Selbstzweifeln.
Und seitdem zweifeln die Helden weiter und verzweifeln an sich, an uns und der Welt. Sie müssen sich sogar Faschismus-Vorwürfe gefallen lassen, etwa von Alan Moore, der einst selbst einige der besten Superhelden-Comics geschrieben hat (neben Superman und Batman auch den Klassiker "Watchmen"). Dabei haben gerade die amerikanischen Helden von Anfang an gegen Nazis gekämpft, Superman hat im Comic sogar Hitler und Stalin vors Kriegsgericht gestellt. Ikonisch ist das Cover von Captain America #1 (1941), in dem der Titelheld Hitler einen rechten Haken verpasst. Superman war 1938 die menschliche Antwort seiner jüdischen Schöpfer (Jerry Siegel und Joe Shuster) auf die Übermenschen-Ideologie der Nazis, ein Amerikaner mit Migrationsgeschichte, ein Fremder aus dem All, der alles Mögliche tut, um sich zu integrieren und nützlich zu machen.
Fragwürdige Helden
Aber auch abseits der bunten Kostüme und übermenschlichen Fähigkeiten bleiben Helden fragwürdig. Wahrscheinlich sind sie das seit der Antike. Der Mensch – meist ein Mann – der im Alleingang alle Schwierigkeiten überwindet, die Frau bekommt und dazu noch Ruhm und Ehre. Von Herakles bis James Bond, immer derselbe Prototyp, immer dasselbe Handlungsschema, während die Einzelkämpfer im echten Leben meist ihre Macht missbrauchen. Man konnte von Glück sagen, dass die fiktiven Helden mit ihren übernatürlichen Fähigkeiten es gut mit uns meinten, denn im Grunde könnten sie uns auch unterjochen.

Wie alles begann: Superman auf dem Cover von Action Comics #1 (1938), gezeichnet von Joe Shuster © picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Anonymous
Auch bei Superman wurde das bereits durchgespielt: etwa indem man ihn zum Diktator der Sowjetunion gemacht hat (nachzulesen in „Red Son“, dt. „Genosse Superman“). Aber das sind Ausnahmen, denn Superman bleibt trotz aller Alternativszenarien, Parodien, Diskreditierungen und Korruptionsversuche sich immer noch treu als gutmütiger Helfer in der Not. Dafür stehen seine fröhlichen Primärfarben: himmelblau, mit lebensbejahendem Blutrot und einem Klecks Sonnengelb. Er ist der ewige Optimist.
Zynische Weltbilder
Diese Einstellung mag für manche heute mehr denn je weltfremd wirken. Das Gutgesinnte scheint in Verruf geraten zu sein. Konservative Politiker wollen uns weismachen, dass nur die harte Hand für Ordnung sorgen kann, Autokraten setzen auf das Recht des Stärkeren, Populisten haben das Wort „Gutmensch“ zum Schimpfwort gemacht – das Leben gilt (mal wieder) als einziger Machtkampf. Wer gut sein will, der gilt als naiv, der macht sich was vor. Der Mensch ist den Menschen ein Wolf, so das Weltbild dieser Zyniker.

Filmikone: Im Jahr 1978 verkörperte Christopher Reeve Superman erstmals im Kino.© picture-alliance / Mary Evans Picture Library
Doch das ist falsch. Denn der Mensch ist – trotz aller Schwächen, Fehler und Irrtümer – vor allem ein soziales, kooperatives Wesen. Lebenserwartung und Wohlstand steigen insgesamt weltweit, die Wissenschaft macht ständig Fortschritte und trotz der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten bleibt es im größten Teil der Welt friedlich, auch wenn die Nachrichten einen anderen Eindruck erwecken. Die vielen sozialen und Umwelt-Probleme sind nicht wegzureden, jeder Fortschritt hat auch Kehrseiten, aber wir wären nie so weit gekommen, wenn es jedem wirklich nur um seinen eigenen Vorteil und das Herrschen über andere gegangen wäre.
Retter, aber kein Erlöser
Wenn Superman für eine Allmachtsfantasie steht, dann auch dafür, dass man nicht alles tun muss, nur weil man es kann. Dass die Fähigkeit zu fliegen einen nicht überheblich machen muss. Dass man auch mit Röntgenblick weder zum Stalker noch zum totalitären Überwacher werden muss. Dass Gewalt nicht immer die Lösung, sondern nur letztes Mittel ist. Dass Leben geschützt werden muss und Mord tabu ist.

1978 kämpfte Superman sogar gegen Muhammad Ali, um die Erde vor der Vernichtung zu retten. Ali gewinnt, weil Superman seiner Kräfte beraut wird.© picture alliance / Visual Press Agency / STEFANOPOULOS Thierry
Superman ist Retter, aber kein Erlöser. Er könnte zwar alle Hungersnöte, Umweltkatastrophen und Kriege auf einen Schlag beenden und alle Waffen zerstören – er tut es aber nicht. Denn das bedeutete nicht nur, uns Menschen zu entmündigen, es würde auch nur eine Art Diktatur nach sich ziehen (auch das wurde im Comic durchgespielt, etwa in „Peace on Earth“, dt. „Friede auf Erden“). Er macht uns keine falschen Versprechungen wie ein Politiker. Er macht uns klar: Freiheit bedeutet vor allem, Verantwortung zu übernehmen.
Superman kann fast alles, er kann Menschen retten, sogar die Welt, aber eben nicht die Welt vor sich selbst. Seine Macht hat damit dieselben Grenzen wie unsere. Aber er resigniert nicht, er tut trotzdem, was er kann. Er achtet das Leben, respektiert die Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit, er hilft, wo es am nötigsten ist, ohne Gegenleistung zu erwarten. Schon in den 50ern machte er in Plakaten und Anzeigen Kampagne gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus.
Superman geht uns mit gutem Beispiel voran. Er zeigt uns, dass es auch für einen „Übermenschen“ am besten ist, menschlich zu bleiben. Er steht für die Möglichkeit eines besseren Miteinanders. Das ist weder naiv noch weltfremd, sondern hängt nur von unserem guten Willen ab. Er zeigt uns unermüdlich aufs Neue: Zynismus ist niemals die Alternative.
Und außerdem darf jeder tragen, was er will.