Supermacht in der Krise
Nach Ansicht des Politologen Herfried Münkler befinden sich die USA im Niedergang. Zwar werde die Finanzkrise nicht zu einem plötzlichen Zusammenbruch führen, das Land werde aber langfristig an Handlungsmöglichkeiten einbüßen. Gleichwohl hätten die Amerikaner bei der Weltwirtschaftskrise 1929 gezeigt, dass sie aus Krisen lernen können.
Joachim Scholl: In dem berühmten Roman "Catch 22" von Joseph Heller, der im Zweiten Weltkrieg spielt, treffen amerikanische Soldaten im gerade eroberten Italien auf einen alten Römer. Der sagt, ja, triumphiert nur, ihr tollen Sieger, aber auch ihr werdet der Geschichte nicht entgehen. Alexanders Weltreich ist untergegangen. Das Römische Reich und auch Amerika wird einst dieses Schicksal ereilen. Das war zu jener Zeit, als der Roman Anfang der 1960er-Jahre erschien, noch reine Literatur. Doch heute in diesen dramatischen Tagen der Finanzkrise fallen allenthalben die Stichworte vom Abstieg, vom Niedergang einer Supermacht. Ich bin jetzt verbunden mit dem Politikwissenschaftler Herfried Münkler. Guten Tag!
Herfried Münkler: Guten Tag!
Joachim Scholl: Herr Münkler, Historiker haben das 20. Jahrhundert als das amerikanische Jahrhundert bezeichnet. Ein Jahrhundert, in dem Amerika durch alle Krise und Kriege hindurch zur stärksten Macht der Welt aufstieg. Geht diese Ära jetzt zu Ende?
Herfried Münkler: Dass diese Ära zu Ende geht, das, glaube ich, wird man nicht bestreiten können. Aber ich würde hinter das Jetzt ein Fragezeichen machen. Ich denke nicht, dass es zu einem plötzlichen, schnellen Zusammenbruch der USA kommen wird. Dafür sind die Möglichkeiten und Ressourcen des Landes nach wie vor zu groß und letzten Endes gibt es auch niemand, der an seine Stelle treten könnte, niemand, der mit ihm konkurriert, um gewissermaßen diesen Akteur zu stürzen. Aber die Handlungsmöglichkeiten, der Einfluss, die Definitionsmacht der USA wird sicherlich so, wie sie in den letzten fünf bis zehn Jahren ja bereits erodiert ist, langsam weiter zurückgehen.
Joachim Scholl: Was waren, was sind diese traditionellen Grundpfeiler der Supermacht USA?
Herfried Münkler: Generell kann man sagen, dass die Macht eines Akteurs auf vier Machtsorten beruht, politischer Macht, wirtschaftlicher Macht, militärischer Macht und das, was man vielleicht ideologische oder kulturell-zivilisatorische Macht, Attraktivität nennen kann. Und ein Staat und auch ein Imperium stehen umso besser da, je ausgeglichener dieses Portfolio der Machtsorten ist. Nun haben die USA in der letzten Zeit relativ viel auf militärische Macht gesetzt, die zwar, wenn es klappt, relativ schnell die Durchsetzung eines politischen Willens garantiert, aber die ausgesprochen teuer und aufwändig ist. Und insofern haben sie sich ja eigentlich in den letzten fünf Jahren ohnehin schon in eine finanziell ausgesprochen prekäre Situation begeben, die jetzt auch die Möglichkeiten des Gegenhandelns in der wirtschaftlichen Krise einschränkt.
Joachim Scholl: Wenn wir bei diesen Machtsorten einmal bleiben. Diese aktuelle Finanzkrise ist ja unter der weltpolitischen Perspektive ein Menetekel der besonderen Art, auch für die USA. Die Auswüchse der modernen Finanzwerte greifen das Mutterland des Kapitalismus selbst an, die Wallstreet mit ihren Investmentbanken buchstäblich geschleift. Was bedeutet diese Krise für auch die ideologische Grundfeste?
Herfried Münkler: Natürlich ist gewissermaßen die wirtschaftliche Macht der USA nicht nur bestehend darin, dass sie lange Zeit führend in der Frage der Automobilindustrie waren, das allerdings haben sie schon vor längerer Zeit verloren, sondern dass sie auch so etwas wie die Leitwährung gleichsam der gesamten kapitalistischen Welt und ab 1989/90 darüber hinaus gestellt haben mit dem Dollar. Das bekommen wir ja immer mit, wenn gewissermaßen sich der Ölpreis bewegt und er sich in Dollar bewegt. Das ist wohl klar, dass der Dollar danach nicht mehr diese Definitionsmacht hat wie vorher.
Andererseits beobachten wir zurzeit auch, dass wir Europäer trotz des Euros uns nicht grundsätzlich aus den Verwerfungen der USA ausklinken können. Das heißt, der, ja vielleicht nicht Zusammenbruch, aber die Erosion dieser imperialen Macht hat natürlich Folgen bis zu uns hin, ja letzten Endes sogar bis nach Peking. Und alle eigentlich sind daran interessiert, dass die Amerikaner dieses Problem einigermaßen in den Griff bekommen, damit sie selber auch in der Lage sind, es in den Griff zu
bekommen.
Joachim Scholl: Die Schläge der letzten Jahre, Sie haben die Außenpolitik schon erwähnt, beginnend mit dem 11. September, der Irakkrieg, eigentlich ein Desaster, militärisch und finanziell, ökonomisch, der Einsatz in Afghanistan, jetzt die Finanzkrise. Kann man das überhaupt miteinander eigentlich so verrechnen? Sind die drei Dinge Symptome einer ernsten Krise, aus der sich die USA auch befreien könnten, um vielleicht danach stärker denn je zu sein?
Herfried Münkler: Stärker denn je, das würde ich bezweifeln. Aber dass der andere Gedanke, den Sie angesprochen haben, dass man sich daraus befreien kann, dass es den Eintritt in einen neuen Zyklus gibt, das, glaube ich, kann man nicht grundsätzlich ausschließen. In den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen steht ja mit Obama eine Person zur Verfügung, die vermutlich schon Energien und Perspektiven mobilisieren und schaffen kann, aus denen heraus sich ein neuer Zyklus ergibt.
Ich meine damit etwas, was man bei - Imperien Rom, dem britischen Empire - beobachten kann, dass es zwischendrin immer mal wieder Phasen des Niedergangs, der Anhäufung von Katastrophen gegeben hat, das aber diese politischen Machtgebilde aufgrund des breit angelegten Portfolios ihrer Machtsorten in der Lage waren, daraus gestärkt hervorzugehen oder jedenfalls noch einmal einen Aufstieg hinzulegen.
Das kann man bei den Briten sehen, nachdem sie die Neuenglandstaaten im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg verloren haben. Das ist in Rom auch einige Male beobachtbar, wo man sich in Rom wieder organisiert, Krisen überwindet und derlei mehr. Wir sollen jetzt auch nicht gewissermaßen in die Hysterie der unerfahrenen Beobachter verfallen, die, wenn es ein bisschen nachhaltiger und deutlicher knirscht, schon immer gleich "Untergang, Untergang" rufen, statt zu sehen, dass, na ja, man könnte fast sagen, auch hier Transformationen, und da würde ich sagen, eine Transformation des Kapitalismus stattfindet.
Joachim Scholl: Die Zukunft Supermacht USA. Im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur ist der Politologe Herfried Münkler. Ich möchte mal diesen Gedanken vom Imperium aufgreifen. Herr Münkler, Sie haben kürzlich in einem Artikel für die "Berliner Zeitung" die Unterscheidung zwischen einem Imperium und einem normalen Staat getroffen. Imperien, schreiben Sie da, seien Garanten einer ganzen Welt, die bei ihrem Untergang mit verschwindet.
Herfried Münkler: Ja.
Joachim Scholl: Bei diesem Gedanken fällt einem sofort die Sowjetunion ein, da verschwand wirklich eine Welt.
Herfried Münkler: Ja.
Joachim Scholl: Im Fall der Supermacht USA, und hier wäre wirklich, glaube ich, die Relativierung angebracht, ist das irgendwie schwer vorstellbar, weil die Vernetzung mit dem gesamten Globus ja doch weitaus stärker ist. Da verschwindet keine Welt. Insofern wäre die USA auch kein Imperium?
Herfried Münkler: Ich glaube schon, dass wenn die USA in eine vergleichbare politische Niedergangsphase, auch ökonomische Niedergangsphase hineingerieten, wie das bei der Sowjetunion ab den spätern 80er Jahren der Fall gewesen ist, dann zu dem Ende von '91 geführt hat, dass dann auch eine Welt verschwinden würde. Nicht nur eine Welt gewissermaßen von Reichen und Superreichen, sondern auch eine politische Ordnung, die letzten Endes durch die USA garantiert wurden, zu sagen, es käme vermutlich zu einer Wiederkehr von sehr viel mehr kriegerischer Gewalt, wie man sie jetzt vielleicht im Falle von Georgien beobachtet hat oder wie man sie in der Vergangenheit in Jugoslawien beobachten konnte. Wir wollen ja nicht vergessen, dass die jugoslawischen Zerfallskriege durch die Präsenz amerikanischen Militärs beendet worden sind und dass die Europäer das nicht hinbekommen haben.
Madeleine Albrights Bemerkung, die Amerikaner seien der unverzichtbare, der unersetzbare Akteur, das, glaube ich, ist nach wie vor richtig. Die Frage ist nur, ob sie es noch hinkriegen.
Joachim Scholl: Nun spricht man gern in diesem Zusammenhang vom Aufstieg anderer Supermächte, zum Beispiel China. Gerade jetzt im Umfeld der Finanzkrise heißt es, dass China mit seinen gigantischen Währungsreserven die USA gewissermaßen schon längst in der Tasche hätte. Das mag rein rechnerisch ja so sein. Politisch und ökonomisch wäre es aber ja völlig sinnlos für die Chinesen, wenn sie Amerika ruinieren würden.
Herfried Münkler: Ja.
Joachim Scholl: Im Grunde kann sich die Welt das eigentlich doch gar nicht leisten, dass Amerika absteigt.
Herfried Münkler: Eben. Ja, schauen Sie, das ist eigentlich eine ganz schöne Beobachtung zu dem, wie ein Imperium funktioniert, im Unterschied zu einem Staat. Ein Imperium kann eigentlich von seiner Peripherie her nicht so ohne Weiteres ruiniert werden, weil die Peripherie mit dem Fortbestand des imperialen Zentrums gleichsam existenziell verknüpft ist. Die japanischen Kleinsparer in den 90er Jahren, die chinesischen Kleinsparer im anschließenden Jahrzehnt haben im Prinzip ein vitales Interesse daran, dass die USA wirtschaftlich gut dastehen, dass der Dollar nicht kollabiert, weil sonst auch ihr eigenes Vermögen, das dort gebunden ist, weg ist.
Joachim Scholl: Wie viel Lernfähigkeit trauen Sie den USA zu, aus dieser Krise ja das Beste noch zu machen?
Herfried Münkler: Ich würde das relativ hoch ansetzen. Denn generell kann man sagen, der Kapitalismus als eine Gesellschaftsordnung ist ein System, das aus Krisen lernt, das gewissermaßen die Krisen als Lerngeneratoren inkludiert hat. Und da unterscheiden sich die USA von den Europäern dahingehend, dass sie in ganz anderer Weise auf solche Krisen auch eingestellt sind und die Produktivität dieser Krisen als Bestandteil ihrer Ordnung ja immer begriffen haben. Das tun wir Europäer vielleicht mit Ausnahme der Briten, aber da würde ich mich gar nicht so sehr positionieren, nicht so sehr. Wir sind eher auf Kontinuität und Sicherheit und derlei mehr ausgestellt.
Kurzum, die Amerikaner haben eine hohe Bereitschaft, aus solchen Krisen zu lernen. Im Prinzip haben sie das in der Weltwirtschaftskrise von 1929 ja getan, als in der anschließenden Politik des New Deal unter Präsident Roosevelt man sagen kann, sie haben ihr System sozialpolitisch reformiert und sind dann gewissermaßen mit gestärkten Muskeln in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hineingegangen, die ja dann die des eigentlichen Aufstiegs oder der Dominanz der USA gewesen sind.
Joachim Scholl: Die USA auch als Supermacht in der Krise. Optimistische Einschätzung von Herfried Münkler, Politologe an der Humboldt-Universität in Berlin. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Herfried Münkler: Bitte sehr!
Herfried Münkler: Guten Tag!
Joachim Scholl: Herr Münkler, Historiker haben das 20. Jahrhundert als das amerikanische Jahrhundert bezeichnet. Ein Jahrhundert, in dem Amerika durch alle Krise und Kriege hindurch zur stärksten Macht der Welt aufstieg. Geht diese Ära jetzt zu Ende?
Herfried Münkler: Dass diese Ära zu Ende geht, das, glaube ich, wird man nicht bestreiten können. Aber ich würde hinter das Jetzt ein Fragezeichen machen. Ich denke nicht, dass es zu einem plötzlichen, schnellen Zusammenbruch der USA kommen wird. Dafür sind die Möglichkeiten und Ressourcen des Landes nach wie vor zu groß und letzten Endes gibt es auch niemand, der an seine Stelle treten könnte, niemand, der mit ihm konkurriert, um gewissermaßen diesen Akteur zu stürzen. Aber die Handlungsmöglichkeiten, der Einfluss, die Definitionsmacht der USA wird sicherlich so, wie sie in den letzten fünf bis zehn Jahren ja bereits erodiert ist, langsam weiter zurückgehen.
Joachim Scholl: Was waren, was sind diese traditionellen Grundpfeiler der Supermacht USA?
Herfried Münkler: Generell kann man sagen, dass die Macht eines Akteurs auf vier Machtsorten beruht, politischer Macht, wirtschaftlicher Macht, militärischer Macht und das, was man vielleicht ideologische oder kulturell-zivilisatorische Macht, Attraktivität nennen kann. Und ein Staat und auch ein Imperium stehen umso besser da, je ausgeglichener dieses Portfolio der Machtsorten ist. Nun haben die USA in der letzten Zeit relativ viel auf militärische Macht gesetzt, die zwar, wenn es klappt, relativ schnell die Durchsetzung eines politischen Willens garantiert, aber die ausgesprochen teuer und aufwändig ist. Und insofern haben sie sich ja eigentlich in den letzten fünf Jahren ohnehin schon in eine finanziell ausgesprochen prekäre Situation begeben, die jetzt auch die Möglichkeiten des Gegenhandelns in der wirtschaftlichen Krise einschränkt.
Joachim Scholl: Wenn wir bei diesen Machtsorten einmal bleiben. Diese aktuelle Finanzkrise ist ja unter der weltpolitischen Perspektive ein Menetekel der besonderen Art, auch für die USA. Die Auswüchse der modernen Finanzwerte greifen das Mutterland des Kapitalismus selbst an, die Wallstreet mit ihren Investmentbanken buchstäblich geschleift. Was bedeutet diese Krise für auch die ideologische Grundfeste?
Herfried Münkler: Natürlich ist gewissermaßen die wirtschaftliche Macht der USA nicht nur bestehend darin, dass sie lange Zeit führend in der Frage der Automobilindustrie waren, das allerdings haben sie schon vor längerer Zeit verloren, sondern dass sie auch so etwas wie die Leitwährung gleichsam der gesamten kapitalistischen Welt und ab 1989/90 darüber hinaus gestellt haben mit dem Dollar. Das bekommen wir ja immer mit, wenn gewissermaßen sich der Ölpreis bewegt und er sich in Dollar bewegt. Das ist wohl klar, dass der Dollar danach nicht mehr diese Definitionsmacht hat wie vorher.
Andererseits beobachten wir zurzeit auch, dass wir Europäer trotz des Euros uns nicht grundsätzlich aus den Verwerfungen der USA ausklinken können. Das heißt, der, ja vielleicht nicht Zusammenbruch, aber die Erosion dieser imperialen Macht hat natürlich Folgen bis zu uns hin, ja letzten Endes sogar bis nach Peking. Und alle eigentlich sind daran interessiert, dass die Amerikaner dieses Problem einigermaßen in den Griff bekommen, damit sie selber auch in der Lage sind, es in den Griff zu
bekommen.
Joachim Scholl: Die Schläge der letzten Jahre, Sie haben die Außenpolitik schon erwähnt, beginnend mit dem 11. September, der Irakkrieg, eigentlich ein Desaster, militärisch und finanziell, ökonomisch, der Einsatz in Afghanistan, jetzt die Finanzkrise. Kann man das überhaupt miteinander eigentlich so verrechnen? Sind die drei Dinge Symptome einer ernsten Krise, aus der sich die USA auch befreien könnten, um vielleicht danach stärker denn je zu sein?
Herfried Münkler: Stärker denn je, das würde ich bezweifeln. Aber dass der andere Gedanke, den Sie angesprochen haben, dass man sich daraus befreien kann, dass es den Eintritt in einen neuen Zyklus gibt, das, glaube ich, kann man nicht grundsätzlich ausschließen. In den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen steht ja mit Obama eine Person zur Verfügung, die vermutlich schon Energien und Perspektiven mobilisieren und schaffen kann, aus denen heraus sich ein neuer Zyklus ergibt.
Ich meine damit etwas, was man bei - Imperien Rom, dem britischen Empire - beobachten kann, dass es zwischendrin immer mal wieder Phasen des Niedergangs, der Anhäufung von Katastrophen gegeben hat, das aber diese politischen Machtgebilde aufgrund des breit angelegten Portfolios ihrer Machtsorten in der Lage waren, daraus gestärkt hervorzugehen oder jedenfalls noch einmal einen Aufstieg hinzulegen.
Das kann man bei den Briten sehen, nachdem sie die Neuenglandstaaten im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg verloren haben. Das ist in Rom auch einige Male beobachtbar, wo man sich in Rom wieder organisiert, Krisen überwindet und derlei mehr. Wir sollen jetzt auch nicht gewissermaßen in die Hysterie der unerfahrenen Beobachter verfallen, die, wenn es ein bisschen nachhaltiger und deutlicher knirscht, schon immer gleich "Untergang, Untergang" rufen, statt zu sehen, dass, na ja, man könnte fast sagen, auch hier Transformationen, und da würde ich sagen, eine Transformation des Kapitalismus stattfindet.
Joachim Scholl: Die Zukunft Supermacht USA. Im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur ist der Politologe Herfried Münkler. Ich möchte mal diesen Gedanken vom Imperium aufgreifen. Herr Münkler, Sie haben kürzlich in einem Artikel für die "Berliner Zeitung" die Unterscheidung zwischen einem Imperium und einem normalen Staat getroffen. Imperien, schreiben Sie da, seien Garanten einer ganzen Welt, die bei ihrem Untergang mit verschwindet.
Herfried Münkler: Ja.
Joachim Scholl: Bei diesem Gedanken fällt einem sofort die Sowjetunion ein, da verschwand wirklich eine Welt.
Herfried Münkler: Ja.
Joachim Scholl: Im Fall der Supermacht USA, und hier wäre wirklich, glaube ich, die Relativierung angebracht, ist das irgendwie schwer vorstellbar, weil die Vernetzung mit dem gesamten Globus ja doch weitaus stärker ist. Da verschwindet keine Welt. Insofern wäre die USA auch kein Imperium?
Herfried Münkler: Ich glaube schon, dass wenn die USA in eine vergleichbare politische Niedergangsphase, auch ökonomische Niedergangsphase hineingerieten, wie das bei der Sowjetunion ab den spätern 80er Jahren der Fall gewesen ist, dann zu dem Ende von '91 geführt hat, dass dann auch eine Welt verschwinden würde. Nicht nur eine Welt gewissermaßen von Reichen und Superreichen, sondern auch eine politische Ordnung, die letzten Endes durch die USA garantiert wurden, zu sagen, es käme vermutlich zu einer Wiederkehr von sehr viel mehr kriegerischer Gewalt, wie man sie jetzt vielleicht im Falle von Georgien beobachtet hat oder wie man sie in der Vergangenheit in Jugoslawien beobachten konnte. Wir wollen ja nicht vergessen, dass die jugoslawischen Zerfallskriege durch die Präsenz amerikanischen Militärs beendet worden sind und dass die Europäer das nicht hinbekommen haben.
Madeleine Albrights Bemerkung, die Amerikaner seien der unverzichtbare, der unersetzbare Akteur, das, glaube ich, ist nach wie vor richtig. Die Frage ist nur, ob sie es noch hinkriegen.
Joachim Scholl: Nun spricht man gern in diesem Zusammenhang vom Aufstieg anderer Supermächte, zum Beispiel China. Gerade jetzt im Umfeld der Finanzkrise heißt es, dass China mit seinen gigantischen Währungsreserven die USA gewissermaßen schon längst in der Tasche hätte. Das mag rein rechnerisch ja so sein. Politisch und ökonomisch wäre es aber ja völlig sinnlos für die Chinesen, wenn sie Amerika ruinieren würden.
Herfried Münkler: Ja.
Joachim Scholl: Im Grunde kann sich die Welt das eigentlich doch gar nicht leisten, dass Amerika absteigt.
Herfried Münkler: Eben. Ja, schauen Sie, das ist eigentlich eine ganz schöne Beobachtung zu dem, wie ein Imperium funktioniert, im Unterschied zu einem Staat. Ein Imperium kann eigentlich von seiner Peripherie her nicht so ohne Weiteres ruiniert werden, weil die Peripherie mit dem Fortbestand des imperialen Zentrums gleichsam existenziell verknüpft ist. Die japanischen Kleinsparer in den 90er Jahren, die chinesischen Kleinsparer im anschließenden Jahrzehnt haben im Prinzip ein vitales Interesse daran, dass die USA wirtschaftlich gut dastehen, dass der Dollar nicht kollabiert, weil sonst auch ihr eigenes Vermögen, das dort gebunden ist, weg ist.
Joachim Scholl: Wie viel Lernfähigkeit trauen Sie den USA zu, aus dieser Krise ja das Beste noch zu machen?
Herfried Münkler: Ich würde das relativ hoch ansetzen. Denn generell kann man sagen, der Kapitalismus als eine Gesellschaftsordnung ist ein System, das aus Krisen lernt, das gewissermaßen die Krisen als Lerngeneratoren inkludiert hat. Und da unterscheiden sich die USA von den Europäern dahingehend, dass sie in ganz anderer Weise auf solche Krisen auch eingestellt sind und die Produktivität dieser Krisen als Bestandteil ihrer Ordnung ja immer begriffen haben. Das tun wir Europäer vielleicht mit Ausnahme der Briten, aber da würde ich mich gar nicht so sehr positionieren, nicht so sehr. Wir sind eher auf Kontinuität und Sicherheit und derlei mehr ausgestellt.
Kurzum, die Amerikaner haben eine hohe Bereitschaft, aus solchen Krisen zu lernen. Im Prinzip haben sie das in der Weltwirtschaftskrise von 1929 ja getan, als in der anschließenden Politik des New Deal unter Präsident Roosevelt man sagen kann, sie haben ihr System sozialpolitisch reformiert und sind dann gewissermaßen mit gestärkten Muskeln in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hineingegangen, die ja dann die des eigentlichen Aufstiegs oder der Dominanz der USA gewesen sind.
Joachim Scholl: Die USA auch als Supermacht in der Krise. Optimistische Einschätzung von Herfried Münkler, Politologe an der Humboldt-Universität in Berlin. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Herfried Münkler: Bitte sehr!

Herfried Münkler, Politikwissenschaftler an der HU Berlin© HU Berlin