Superlässige Rentner und Syphilisarbeiten
Missverständnisse sind alltägliche Störungen der Kommunikation. Ihre Auswirkungen können unbedeutend, tragisch oder komisch sein. Sie sind Grundlage für Romane, sie bringen Beziehungen zum Scheitern, sie führen zu Flugzeugunglücken. Eine Ausstellung in Berlin zeigt nun, wie groß zuweilen der Unterschied zwischen Gemeintem und Verstandenem ist.
Es ist der "lovely planet", von dem Joe Cocker in "Space Captain" singt. Der australische Globetrotter Tom Wheeler indessen verstand beim Besuch des Konzertfilms "Mad Dogs & Englishmen" statt "lovely" "lonely" und nannte seinen später weltweit erfolgreichen Reisebuch-Verlag nach der Formulierung, die Cocker gerade nicht gesungen hatte: eben Lonely Planet.
"Wenn sich die Menschen weniger versprächen oder verhörten, wäre das eben nur halb so unterhaltsam. Aber während Versprecher hinreichend untersucht und kategorisiert wurden, weiß man über das Verhören bislang nur relativ wenig","
heißt es im Museum für Kommunikation an einer Hörstation, an der es auch um die Frage geht: Warum wurde in der Zeitung Inserat ein für Gartenarbeiten gesucht? Hätte ein zuverlässiger Rentner nicht ausgereicht?
""Kati Engelmann hat sich über dieses Thema mit einer Konifere unter den Sprachwissenschaftlern unterhalten. Hellen Leuninger ist Profi an der Universität zu Frankfurt und hat sich sensitiv mit Verhörern beschäftigt. Eine wahre Syphilisarbeit."
Sich verhören ist die klassische Ursache von Missverständnissen - und das Radio hat seit jeher Spaß daran.
"Hi Arno, ich wünsch mir das Agathe Bauer-Lied."
"Hä?"
"I got the power"
"Die RTL-Agathe-Bauer-Songs ... "
Wie man hört, ist "Missverständnisse" eine bunte und unterhaltsame Ausstellung, die nach Art des Hauses keine intellektuellen Schwellen aufbaut - angesichts der Unanschaulichkeit des Themas allemal eine Leistung. Nur der Katalog präsentiert eingangs und ausgangs eine Reihe von kulturhistorischen Prunkzitaten, darunter eines von Wilhelm von Humboldt, das man programmatisch lesen kann:
"Keiner denkt bei dem Wort gerade und genau das, was der andre, und die noch so kleine Verschiedenheit zittert, wie ein Kreis im Wasser, durch die ganze Sprache fort. Alles Verstehen ist von daher zu gleich ein Nicht-Verstehen."
Und im übrigen, so lässt sich Humboldt ergänzen, ist Nicht-Verstehen zugleich auch Verstehen - wie das ausgestopfte Känguru am Ausstellungseingang beweist. Die Legende will, dass die Aborigines dem Entdecker Australiens, James Cook, auf dessen Nachfrage nach den Beuteltieren "Känguru" für "Ich verstehe nicht" geantwortet haben. Falls sie nicht doch "gangurru" sagten, womit nach neueren Sprachforschungen tatsächlich das hüpfende Tier bezeichnet gewesen sein könnte.
In der Ausstellung, einer Kooperation zwischen den Kommunikationsmuseen in Frankfurt und Berlin, geht es anhand von Objekten und Medien um Missverständnisse zwischen Mann und Frau, zwischen Menschen und Kunstwerken, zwischen Tower und Pilot, zwischen verschiedenen Kulturen und verschiedenen Sprachen, um das Missverstehen in Hitchcocks "Vertigo" und das fortdauernde Missverständnis von Clausewitz' Wälzer Vom Kriege.
Und doch, so Kurator Veit Didczuneit, war man keineswegs auf eine vollständige Typologie menschlicher Missverständnisse aus:
Veit Didczuneit: "Wir denken, dass unser Verdienst darin besteht, dass wir ein Kaleidoskop von Missverständnissen hier darstellen, um im Grunde den Einblick hinsichtlich der Ursachen und der Folgen darzustellen. Dass wir anstiften wollen zu aufmerksamer Kommunikation, zu aufmerksamem Hören, zu aufmerksamen Sehen. Und zeigen, was es für Folgen haben kann, wenn man sich eben missversteht im positiven wie im negativen Sinne."
Es ist also nicht die Theorie eines Missverständnisses, sondern dessen Geschichte, die verdeutlicht wird. Als an einer Highschool in Boston das Konzert-Plakat "60 second Wipe Out" der Berliner Punk-Band Atari Teenage Riot samt der Terminangabe "11. Mai 1999" entdeckt wurde, hielt die Polizei am fraglichen Tag die Schule geschlossen. Amerika steckte noch das Massaker an der Columbine Highschool vom April in den Knochen und keiner wusste, dass Atari Teenage Riot für Musik und nicht Massaker steht. Später bekam die Band Dank-Mails: "Ja, super! Schulfrei!"
Und die Berliner Mauer wäre 1989 wohl erst einen Tag später gefallen, wenn Günter Schabowski nur genau gewusst hätte, was seine Genossen planten.
Veit Didczuneit: "Das Missverständnis bestand darin, dass Günter Schabowski, der es auf der Pressekonferenz dann um 19 Uhr verkündet hat, nichts von dem Sperrvermerk wusste. So dass es ein Missverständnis zwischen ihm und Egon Krenz bzw. zwischen ihm und der Ministerialbürokratie war... Es hätte eigentlich erst um 4 Uhr morgens verkündet werden sollen, damit die Grenztruppen und alle anderen DDR-Behörden sich darauf vorbereiten konnten. Die Republik sollte noch schlafen."
Dass man das Victory-Zeichen wie Josef Ackermann in der Tradition Winstons Churchills mit der Handinnenfläche nach außen macht und nicht wie Christian Wulf mit vorgerechter Handaußenfläche, was in England eine grobe Beleidigung wäre, man lernt es in "Missverständnisse" genauso wie den richtigen Körperabstand und die richtige Bewertung von Einladungen zum Hausbesuch in diversen Kulturen.
Am Ende weiß man vieles umso sicherer, was man schon vorher grundsätzlich zu wissen geglaubt hat, aber das kann auch ein produktives Missverständnis sein, das die Ausstellung durch Leichtigkeit und Beiläufigkeit hervorruft.
Veit Didczuneit erwähnt gern den Schriftsteller Arno Surminski und dessen prächtigen Blick für menschliche Fehlleistungen. In einem seiner Bücher berichtet Surminski davon ...
" ... dass es in Königsberg einen Pfarrer gab, der seine Gemeinde immer begrüßte: 'Tut' macht der Dampfer, wenn er in den Hafen hineinfährt und 'tut' macht der Dampfer, wenn er aus dem Hafen hinausfährt. Und ich sage Euch: Tut Buße."
Info:
Die Ausstellung "Missverständnisse - Stolpersteine der Kommunikation" ist vom 23. April bis 5. Oktober 2008 im Museum für Kommunikation in Berlin zu sehen.
"Wenn sich die Menschen weniger versprächen oder verhörten, wäre das eben nur halb so unterhaltsam. Aber während Versprecher hinreichend untersucht und kategorisiert wurden, weiß man über das Verhören bislang nur relativ wenig","
heißt es im Museum für Kommunikation an einer Hörstation, an der es auch um die Frage geht: Warum wurde in der Zeitung Inserat ein für Gartenarbeiten gesucht? Hätte ein zuverlässiger Rentner nicht ausgereicht?
""Kati Engelmann hat sich über dieses Thema mit einer Konifere unter den Sprachwissenschaftlern unterhalten. Hellen Leuninger ist Profi an der Universität zu Frankfurt und hat sich sensitiv mit Verhörern beschäftigt. Eine wahre Syphilisarbeit."
Sich verhören ist die klassische Ursache von Missverständnissen - und das Radio hat seit jeher Spaß daran.
"Hi Arno, ich wünsch mir das Agathe Bauer-Lied."
"Hä?"
"I got the power"
"Die RTL-Agathe-Bauer-Songs ... "
Wie man hört, ist "Missverständnisse" eine bunte und unterhaltsame Ausstellung, die nach Art des Hauses keine intellektuellen Schwellen aufbaut - angesichts der Unanschaulichkeit des Themas allemal eine Leistung. Nur der Katalog präsentiert eingangs und ausgangs eine Reihe von kulturhistorischen Prunkzitaten, darunter eines von Wilhelm von Humboldt, das man programmatisch lesen kann:
"Keiner denkt bei dem Wort gerade und genau das, was der andre, und die noch so kleine Verschiedenheit zittert, wie ein Kreis im Wasser, durch die ganze Sprache fort. Alles Verstehen ist von daher zu gleich ein Nicht-Verstehen."
Und im übrigen, so lässt sich Humboldt ergänzen, ist Nicht-Verstehen zugleich auch Verstehen - wie das ausgestopfte Känguru am Ausstellungseingang beweist. Die Legende will, dass die Aborigines dem Entdecker Australiens, James Cook, auf dessen Nachfrage nach den Beuteltieren "Känguru" für "Ich verstehe nicht" geantwortet haben. Falls sie nicht doch "gangurru" sagten, womit nach neueren Sprachforschungen tatsächlich das hüpfende Tier bezeichnet gewesen sein könnte.
In der Ausstellung, einer Kooperation zwischen den Kommunikationsmuseen in Frankfurt und Berlin, geht es anhand von Objekten und Medien um Missverständnisse zwischen Mann und Frau, zwischen Menschen und Kunstwerken, zwischen Tower und Pilot, zwischen verschiedenen Kulturen und verschiedenen Sprachen, um das Missverstehen in Hitchcocks "Vertigo" und das fortdauernde Missverständnis von Clausewitz' Wälzer Vom Kriege.
Und doch, so Kurator Veit Didczuneit, war man keineswegs auf eine vollständige Typologie menschlicher Missverständnisse aus:
Veit Didczuneit: "Wir denken, dass unser Verdienst darin besteht, dass wir ein Kaleidoskop von Missverständnissen hier darstellen, um im Grunde den Einblick hinsichtlich der Ursachen und der Folgen darzustellen. Dass wir anstiften wollen zu aufmerksamer Kommunikation, zu aufmerksamem Hören, zu aufmerksamen Sehen. Und zeigen, was es für Folgen haben kann, wenn man sich eben missversteht im positiven wie im negativen Sinne."
Es ist also nicht die Theorie eines Missverständnisses, sondern dessen Geschichte, die verdeutlicht wird. Als an einer Highschool in Boston das Konzert-Plakat "60 second Wipe Out" der Berliner Punk-Band Atari Teenage Riot samt der Terminangabe "11. Mai 1999" entdeckt wurde, hielt die Polizei am fraglichen Tag die Schule geschlossen. Amerika steckte noch das Massaker an der Columbine Highschool vom April in den Knochen und keiner wusste, dass Atari Teenage Riot für Musik und nicht Massaker steht. Später bekam die Band Dank-Mails: "Ja, super! Schulfrei!"
Und die Berliner Mauer wäre 1989 wohl erst einen Tag später gefallen, wenn Günter Schabowski nur genau gewusst hätte, was seine Genossen planten.
Veit Didczuneit: "Das Missverständnis bestand darin, dass Günter Schabowski, der es auf der Pressekonferenz dann um 19 Uhr verkündet hat, nichts von dem Sperrvermerk wusste. So dass es ein Missverständnis zwischen ihm und Egon Krenz bzw. zwischen ihm und der Ministerialbürokratie war... Es hätte eigentlich erst um 4 Uhr morgens verkündet werden sollen, damit die Grenztruppen und alle anderen DDR-Behörden sich darauf vorbereiten konnten. Die Republik sollte noch schlafen."
Dass man das Victory-Zeichen wie Josef Ackermann in der Tradition Winstons Churchills mit der Handinnenfläche nach außen macht und nicht wie Christian Wulf mit vorgerechter Handaußenfläche, was in England eine grobe Beleidigung wäre, man lernt es in "Missverständnisse" genauso wie den richtigen Körperabstand und die richtige Bewertung von Einladungen zum Hausbesuch in diversen Kulturen.
Am Ende weiß man vieles umso sicherer, was man schon vorher grundsätzlich zu wissen geglaubt hat, aber das kann auch ein produktives Missverständnis sein, das die Ausstellung durch Leichtigkeit und Beiläufigkeit hervorruft.
Veit Didczuneit erwähnt gern den Schriftsteller Arno Surminski und dessen prächtigen Blick für menschliche Fehlleistungen. In einem seiner Bücher berichtet Surminski davon ...
" ... dass es in Königsberg einen Pfarrer gab, der seine Gemeinde immer begrüßte: 'Tut' macht der Dampfer, wenn er in den Hafen hineinfährt und 'tut' macht der Dampfer, wenn er aus dem Hafen hinausfährt. Und ich sage Euch: Tut Buße."
Info:
Die Ausstellung "Missverständnisse - Stolpersteine der Kommunikation" ist vom 23. April bis 5. Oktober 2008 im Museum für Kommunikation in Berlin zu sehen.