Ausstellung in Wien

Jüdische Identitäten im Fußball

07:08 Minuten
Fanschals von „Partisan*Rothschild“, „Yid Army“ und „F-Side“ in der Ausstellung "Superjuden" im Jüdischen Museum Wien
Fanschals, die in der Ausstellung im Jüdischen Museum Wien zu sehen sind. © JMW / Tobias de St. Julien
Von Ronny Blaschke |
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Was macht einen Verein zu einem jüdischen Verein? Ist es die Selbstwahrnehmung der Fans oder die Zuschreibung ihrer Gegner? Um diese und andere Fragen dreht sich die Ausstellung „Superjuden“ im Jüdischen Museum in Wien.
Der Norden von London. Fans von Tottenham Hotspur versammeln sich für ein Kaddisch, ein jüdisches Totengebet. Sie erinnern an die rund 1.400 Menschen in Israel, die von der Terrorgruppe Hamas ermordet wurden.

Tottenham-Anhänger zeigen Solidarität mit Juden

Viele Fans von Tottenham bekunden seit Jahren ihre Solidarität mit jüdischen Menschen. Auf Demonstrationen, in sozialen Medien oder mit Gesängen und Flaggen im Stadion.
 „Also ich bin dann mit dem Bus gefahren zum Tottenham-Stadion, steige aus und werde sozusagen zu einer Masse mit den anderen Tottenham-Fans“, sagt der Antisemitismusforscher Pavel Brunssen, der für seine Doktorarbeit jüdische Identitäten von vier Fußballklubs erforscht hat, auch von Tottenham Hotspur.
„In dem Moment, wo die ganzen Individuen aus der U-Bahn und aus dem Bus kommen, hört man links vorne ,Yid Army‘ und rechts auch den Gesang ,Yid Army‘. Diese Rufe sozusagen verkünden, dass sie jetzt zu diesem Tottenham-Fankollektiv werden.“

Fans nennen sich "Yid Army" oder "Yiddos"

Viele Fans von Tottenham bezeichnen sich als „Yid Army“ oder als „Yiddos“. Sie verweisen auf jüdische Traditionen, obwohl die meisten von ihnen gar nicht jüdisch sind.
Aber was genau macht einen Fußballklub zu einem jüdischen Klub? Sind es ehemalige jüdische Spieler oder Funktionäre wie der einstige FC-Bayern-Präsident Kurt Landauer? Ist es die Selbstwahrnehmung der Fans oder die Zuschreibung ihrer Gegner? Die Ausstellung „Superjuden“ im Jüdischen Museum Wien spürt diesen Fragen nach, auch bei Tottenham Hotspur.
Anfang des 20. Jahrhunderts wächst im Londoner East End eine jüdische Gemeinde von mehrheitlich russischen Flüchtlingen. Viele Mitglieder besuchen das nahe gelegene Stadion von Tottenham.

Wie Tottenham-Anhänger diskriminiert werden

Ab den 1940er-Jahren tritt auch in London Antisemitismus offener zutage. Der jiddische Begriff „Yid“ etabliert sich als Bezeichnung für jüdische Menschen. Auch Tottenham-Fans werden bei Spielen von ihren Gegnern zunehmend als „Yids“ diskriminiert. Doch sie machen sich diesen Begriff zu eigen und bezeichnen sich fortan selbst so, erzählt der Wissenschaftler Pavel Brunssen.

Ich habe zum Beispiel bei Tottenham mit jüdischen Fans gesprochen, die mir erklärt haben, wie sie in den 1970er-Jahren bei Tottenham eine Solidarität erfahren haben, die sie noch nirgendwo anders in der Gesellschaft wahrgenommen haben. Also dieser Moment: Zehntausende machen Gasgeräusche, singen etwas Antisemitisches und du stehst da mit ein paar Tausend Leuten und singst zurück: Hey wir sind die ,Superjuden‘ oder ,Yid Army‘ oder was auch immer, und reagierst mit Identifikation, mit Stärke, mit einem positiven ironischen Selbstbild.

Antisemitische Schmähungen in Stadien

Antisemitische Schmähungen gehören in den 80er-Jahren zum Alltag in englischen Stadien. Viele Anhänger von Tottenham stellen sich mit jüdischer Symbolik dagegen. Sie tragen Kippa und Anstecker, zeigen den Davidstern, schwenken die israelische Flagge.
Fußball-Kippa
Viele Tottenham-Anhänger kamen in den 80er-Jahren auch mit Kippa ins Stadion - als Zeichen gegen antisemitische Schmähungen.© Jüdisches Museum Wien / Sebastian Gansrigler
Die Ausstellung des Jüdischen Museums in Wien präsentiert etliche dieser Objekte. Vor Kurzem hat auch Pavel Brunssen seine Forschungen in Wien vorgestellt:
„In den Debatten um diese Judenklub-Images werden auch die Fans, die sich selber so jüdisch bezeichnen und das zelebrieren, oft mit als Problem gesehen. Zum einen, weil sie in der Regel nicht jüdisch sind, und man das als kulturelle Aneignung kritisiert. Und zweitens, weil sie damit den Antisemitismus der anderen Fans, die zum Beispiel diese Gasgeräusche machen, angeblich provozieren würden und legitimieren würden.“
Der lesenswerte Katalog der Ausstellung „Superjuden“ enthält differenzierte Beiträge über „kulturelle Aneignung“. In England haben Fußballverband, NGOs und Tottenham Kampagnen gegen die Nutzung des Begriffes „Yid“ angestoßen.

Palästinensische Flaggen im Stadion

Auch im Umfeld von Ajax Amsterdam findet eine Debatte statt. Dort bezeichnen sich Fans seit Jahrzehnten als „Superjuden“, auch als Reaktion auf antisemitische Anfeindungen.
Pavel Brunssen sagt: „Ich weiß, dass in den Niederlanden in Zeitungen schon darüber debattiert wird, was passiert, wenn dieser ,Hamas, Hamas, Juden ins Gas Gesang‘ noch mal angestimmt wird, der bei den großen Derbys gegen Feyenoord Rotterdam und gegen den FC Utrecht bis heute gesungen wird. Das ist eine offene Frage, ob darüber jetzt ein Nachdenken in diesen Fanszenen jetzt auch startet. Oder ob die Ereignisse vielleicht so weit weg sind vom Fußballstadion, dass Leute das trotzdem weitermachen und es vielleicht auch gerade deswegen machen, das wird sich zeigen.“

Der Terrorangriff der Hamas als Zäsur

Der Terrorangriff der Hamas ist eine Zäsur. Antisemitische Straftaten sind seither in etlichen Länden spürbar gestiegen, auch in Großbritannien. Eine breite, sichtbare Solidarität mit jüdischen Opfern blieb in den englischen Stadien aber aus. Stattdessen wurden mitunter palästinensische Flaggen geschwenkt.
„Wenn die Reaktion auf den Angriff einer Terrororganisation das Zeigen dieser Flagge ist, dann nehme ich das als Einschüchterung wahr. Und als Verweis auf die Tragödie. In diesem Kontext ist das ein Symbol gegen uns“, sagt Barry Frankfurt, Fan des FC Arsenal in London und Mitglied der jüdischen Gruppe „Jewish Gooners“. 
"Die Verbände waren nicht in der Lage, ein würdiges Gedenken zu organisieren. Und wir sprechen hier über das größte Massaker an Juden seit dem Holocaust. Als ,Jewish Gooners‘ wollten wir dazu beitragen, dass sich jüdische Menschen im Stadion heimisch fühlen. Ich bin mit Kippa zu den Spielen gegangen. Doch dieser Freiraum war von kurzer Dauer. Gerade ist nicht die Zeit, um offen jüdisch zu sein."
Die Ausstellung „Superjuden“ wurde lange vor dem Massaker der Hamas geplant. Trotzdem bietet sie auch jetzt ein wichtiges und interessantes Forum, um über jüdische Identitäten nachzudenken, im Fußball und weit darüber hinaus.

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