"Super" von den Pet Shop Boys

Rückkehr zum Synthie-Pop der 80er

Die Pet Shop Boys in Prag
Sänger Neil Tennant (l) und Keyboarder Christopher Lowe von der britischen Band Pet Shop Boys im August 2014 in Prag. © picture alliance / dpa / Foto: Roman Vondrous
Von Marcel Anders · 01.04.2016
Sie gehen regelmäßig ins Berghain, spazieren durch den Tiergarten und haben in Berlin auch ihr neues Album "Super" aufgenommen. Und das überrascht: Hier besinnen sich die Pet Shop Boys, das erfolgreichste Pop-Duo der Musikgeschichte, auf ihre Anfangsjahre.
"Letztes Jahr haben wir da wirklich viel Zeit verbracht. Und Berlin macht Spaß! Es ist eine tolle Stadt – viel entspannter als London. Sie bietet mehr Raum und mehr Grünflächen. Und wir sind zum Beispiel gerne im Tiergarten, wo wir spazieren gehen und Kaffee und Kuchen genießen."
Kaffee und Kuchen – der Sex des Alters. Und auf den ersten Blick wirkt Neil Tennant auch keinen Tag jünger als 61: Er hat weiß-graues Haar, trägt ein konservatives Outfit aus Pullunder, Hemd und Buntfaltenhose und spricht als hätte er ein Oxford-Wörterbuch verschluckt. Eben very british. Genau wie sein vier Jahre jüngerer Partner Chris Lowe, der am liebsten gar nichts sagt – und wenn doch, wirkt das Duo ein bisschen wie Waldorf & Statler aus der Muppetshow. Doch die schrullige Fassade täuscht: Tennant und Lowe sind agile Pop-Senioren, die das kulturelle Leben der Hauptstadt in vollen Zügen genießen.
"Wir gehen oft ins Berghain. Und zwar meistens sonntags. Es gibt Leute, die schlagen dort am Samstag auf und bleiben bis Montag-Morgen. Wir finden es aber viel lustiger, da am Sonntagnachtmittag hinzugehen. Quasi auf ein paar Drinks vor dem Essen."
Dem Berghain Club haben sie mit "Inner Sanctum" auch gleich eine musikalische Liebeserklärung gewidmet. Nicht die einzige auf ihrem inzwischen 13. Studioalbum, das zwar auch den einen oder anderen kritischen Kommentar zur Explosion von Mietpreisen in Großstädten und der zunehmenden Technisierung unseres Alltags birgt, aber in erster Linie ein Manifest zum Ausgehen, Tanzen und Spaß haben ist. Zum ungenierten Hedonismus in einer Welt, die in ihren Augen immer nihilistischer und morbider wird – und dringend etwas Lebensfreude braucht. Was sich auch im Albumtitel niederschlägt: "Super" ist ein Begriff, den sie in Deutschland aufgeschnappt haben. Und ihren künstlerischen Ansatz auf den Punkt bringt.
"In Amerika sagen die Leute: ´Oh, it really was super` – während wir es in England kaum noch benutzen. Was interessant ist, denn ´super` war mal ein ziemlich schickes Wort. Im Sinne von: ´Oh, das ist ja absolut super`. Aber mittlerweile beschreiben die Engländer kaum noch etwas als super-gut. Ganz im Gegensatz zu den Deutschen, bei denen dieses "Oh, das ist ja super-gut" weit verbreitet ist. Außerdem hat der Begriff etwas Pop Art-mäßiges. Und das wollten wir natürlich fürs Cover."

Referenzen an 35 Jahre Pet Shop Boys

Der inhaltliche Schwerpunkt von "Super" diktiert auch die Musik: Die zwölf Stücke setzten zwar auf modernste Technik, sind im Grunde aber eine Rückbesinnung auf den Synthie-Pop der 80er und den Eurodance der frühen 90er – mit starken Melodien, dem Hang zu opulenten Arrangements, die sich oft an der Grenze zum Kitsch bewegen, und zahlreichen Referenzen an 35 Jahre Pet Shop Boys. Ein Duo, das über 50 Millionen Tonträger verkauft hat, nie stehengeblieben ist, aber in Stücken wie "The Pop Kids" gerne ein bisschen nostalgisch und wehleidig anmutet. Einfach, weil man die frühen 90er dann doch vermisst.
"Das war eine Phase, als die Dance-Musik in den Clubs und die Pop-Musik in den Charts weitestgehend identisch waren. Eben Hits wie ´The Power` von Snap, ´Pump Up The Jam` von C + C Music Factory oder ´Deeper And Deeper` von Madonna. Das waren Pop-Songs, zu denen man richtig tanzen konnte. Oder es waren Dance-Stücke, die ein breites Pop-Publikum erreichten. Auch wir standen darauf – und es lief wirklich überall."
"The Pop Kids" – ein Song, der an Welthits wie "West End Girls", "It´s A Sin" oder "Always On My Mind" anknüpft. Und zugleich das Highlight eines Albums, mit dem die ergrauten Pet Shop Boys belegen, dass sie immer noch relevant sind. Gleichzeitig – und auch darin sind sie sehr geschickt – verwalten sie das Erbe der Popmusik. Denn "Super" enthält zahlreiche Momente, die an David Bowies Berlin-Phase der späten 70er erinnern.
"Wir haben das nicht geplant. Aber einige Songs haben wirklich etwas von den Instrumental-Nummern auf ´Low` und ´Heroes`, die auf den Alben unmittelbar aufeinander folgen – also wie ein Block angelegt sind. Das mögen wir. Genau wie die Tatsache, dass es sich nicht um traditionelle Kompositionen handelt. Bei uns haben sie zwar noch ein bisschen Gesang, aber halt nicht diesen typischen Aufbau von wegen Vers-Strophe/Vers-Strophe. Das gibt dem Hörer Luft zum Durchatmen, ehe der nächste Song mit ganz viel Text folgt."

Glühende Verfechter der europäischen Idee

Dabei leben und arbeiten die Pet Shop Boys nicht nur im Zentrum von Europa, sie sind auch glühende Verfechter der europäischen Idee und Gemeinschaft – mit einem starken Großbritannien als Mitglied. Weshalb sie von David Cameron und seinem Referendum fast so wenig halten wie von Donald Trump als möglichem US-Präsidenten und der Panikmache vor der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel. Die unterstützen sie voll und ganz – im Gegensatz zur EU-Abstimmung am 23. Juni.
"Ich weiß nicht, warum wir dieses Referendum überhaupt haben. Das ist doch Blödsinn. Die Deutschen müssen den Eindruck haben, dass wir nur rumsitzen und sagen: ´Wir ertragen die europäische Union nicht mehr – wir müssen da raus.`Dabei ist sie so akzeptiert wie das Wetter. Nach dem Motto: Da gibt es gute und schlechte Dinge. Worüber ich mir aber am meisten Sorgen mache, ist, dass es zu einer Abstimmung über unsere Flüchtlingspolitik wird. Deshalb sollten wir uns alle daran erinnern, dass wir gerade wegen der EU so viel Reichtum und Frieden genießen. Es besteht überhaupt keine Notwendigkeit, zu großen Nationalstaaten zurückzukehren, die einander mit Aggressivität begegnen."
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