Super-Rot, bitte volltanken!
Der 1908 in München geborene Rupprecht Geiger gilt als Meister der Farbe Rot. Mit ihr hat sich der Maler lange und intensiv beschäftigt und tut es immer noch. Für Geiger sollte die Farbe als eigenständiges Element das Bild ausmachen und nicht einer gegenständlichen Form dienen. Die Werkschau im Münchner Lenbachhaus zeichnet den exemplarischen Lebensweg des Künstlers nach.
Es war in München, Ende der Vierziger. Der Krieg war vorbei, Hitlers Armeen geschlagen - aber so ganz hatte der Westen, hatte die Moderne doch nicht gesiegt. In der Kunst etwa gab es einigen Streit darüber, wie man denn nun malen solle, ob abstrakt oder realistisch. Rupprecht Geiger, der studierte Architekt, beantwortete diese Frage auf seine, auf unkonventionelle Art. Er hat sich damals, so erzählt der bald Hundertjährige, an allen Stilen regelrecht abreagiert, hat surreale Landschaften, streng geometrische Kompositionen oder metaphysische Farbräume gemalt. Bis der ehemalige Kriegsmaler der Wehrmacht in einem Care-Paket seine künstlerische Bestimmung fand:
" Da kam eines Tages ein Paket mit einem roten Lippenstift für meine Frau. Das war Pink, ganz helles Pink. Und das habe ich gleich erst einmal für mein Bild benützt. So habe ich dann allmählich diese Leuchtfarbe zu meiner Spezialfarbe gemacht. "
In einer Vitrine im Münchner Lenbachhaus sind die Farbreste aus Geigers Atelier ausgebreitet: krümelige und pastose Substanzen, vom hellsten gelb bis zum tiefsten Violett. Ziegel und Eisen, Karfunkel oder Rubin, auch Korallen fallen einem ein - aber selbst der entfernteste und entlegenste Vergleich kann den Reichtum der 200 ausgestellten Arbeiten, darunter 50 oft meterhohe Gemälde, nicht erfassen. Für Helmut Friedel, den Direktor der Städtischen Galerie, bedeutet das aber durchaus kein Kopfzerbrechen, sondern puren Kunstgenus:
" Es ist einfach wunderbar, wenn man als Radiohörer einmal darüber nachdenkt, welche Farbe Rot man sich vorstellt - und dann seine Umgebung anschaut. Da wird man sofort auf ein Rot stoßen, das ganz anders ist als das Rot, das man sich gerade gedacht hat. Rot ist ja auch eine spannende, variantenreiche Farbe. "
Und vor allem eine emotionale Farbe. Rupprecht Geiger selbst hat das in seinen aphoristischen Texten beschworen: Von Morgen- und Abendrot ist da die Rede. Auf Zornesröte und Schamrot spielt der Maler an, wenn er den Kunstfreund warnt, ihm aber auch verspricht:
" Die rote Farbe, die geht ihn direkt an. Die reißt ihn hoch, die gibt ihm Stimmung. "
Doch nicht emotionaler Überschwang, sondern sehr bewusster Umgang mit der Form, die Auseinandersetzung des Architekten mit der "Nüchternheit der Linie" prägte alle Phasen in Geigers Oeuvre. Wenn etwa ein schmaler grauer Leinwandwinkel ein orangerotes Farbfeld sanft umfasst, es unmerklich stützt, dann wird deutlich, dass hier über die Form eine Farbe in den Raum, in das Bewusstsein des Betrachters gebracht werden soll. Gleichzeitig aber lässt dieser Maler, dieser einzigartige Farbvirtuose die Umrisse zerfließen. Die Grenzen zwischen den einzelnen Flächen scheinen unter der Wucht unterschiedlicher Rottöne zu zerstäuben. Und genau hinter dieser sinnlichen Präsenz verbirgt sich jenes Rätsel, an dessen Auflösung Rupprecht Geiger auch im hohen Alter immer noch arbeitet:
" Es ist eine Aureole, ein Farbkranz außenrum. Das ist das Geheimnis der Farbe: die Strahlkraft. Sie ist wirklich eine Farbe, die im Licht schwebt. Das ist eine geistige Farbe im Gegensatz zur materiellen Farbe. "
Zwischen diesen Polen bewegte sich auch Yves Klein, der Meister aller Blautöne. Und auch Mark Rothko, Schöpfer meditativer Farbfelder, scheint nicht fern. Helmut Friedel:
" Bei Mark Rothko gibt es die schwebenden Farbformen, die eine gewisse, unbestimmte Tiefe zum Schwingen bringen. Rupprecht Geiger sucht für den Ausdruck der Farbe, für das Ausdehnungsbedürfnis von Farbe entsprechende Formen und ändert deswegen das Bildformat. Er geht vom rechteckigen Bildausschnitt zu freien Formen, die man dann später amerikanisch "shaped canvases" genannt hat, da war er mit Sicherheit ein Vorreiter. "
Einleuchtende, illustrative Beispiele hat Helmut Friedel aufgefahren: Installationen mit Farbkreisen, die auf einer schiefen Ebene tänzeln, die mit sanften Kurven in den Raum hinein pulsieren. Auch einen Kegelstumpf, dessen Schnittfläche in irritierendem Gelb leuchtet, mal hervortritt, dann wieder als unergründliches Loch hinter der Wand aufscheint.
Friedel: " Dann wird sein Raumverständnis zunehmend romantischer. Es entstehen horizontähnliche Farbschichtungen, die glühende Himmel wiedergeben könnten. Wobei er rational genug bleibt, dass er ein Stück Leinwand offen, "nackt" dazu zeigt und damit sagt "Das ist alles nur Täuschung". Fast wie bei den großen Romantikern wie E.T.A. Hoffmann, der auch mit Brüchen arbeitet um eben sentimentale Räume schaffen zu können. "
So entwickelt sich in Jahres-, oder besser: Jahrzehntringen ein eigenartiger Kosmos. Gleichzeitig aber verraten Geigers farbige Tafeln über das jeweilige Weltbild, die jeweilige Gesellschaft ebenso viel wie einst die Goldgrund-Bilder über das Mittelalter:
Friedel: " Dann in den 70er Jahren , wo es ein ganz in Silber gesprühtes Bild gibt das eindeutig in Verbindung zu setzen ist mit den Apollo-Projekten, mit dem Fortschrittsglauben. Auch mit den Sensationen in Silber die auch zum Beispiel Andy Warhol bewegt haben. "
Mit der Spritzpistole verwischt Geiger jede Handschrift, verzichtet auf einen individuellen Pinselduktus zugunsten der puren Farbwirkung. Und entwirft Modelle für Farbtankräume:
Friedel: " Tonnen, die in einer Farbe gestrichen sind, über zehn Meter hoch, in die Menschen hineingehen sollten und sich voll der Farbe ausliefern. Was ganz faszinierend klingt. Also, ich hätte das gerne einmal erlebt, aber ich weiß nicht, ob man es aushält. "
Erlebt, ausgehalten und angekauft hat Helmut Friedel 1990 das "Neue Rot für Gorbatschow", Geigers Installation mit zwei roten Rechtecken und orangefarbenem Kreis: Schlichte Formen, deren Farben bei näherem Hinsehen Sogwirkung entwickeln, den spannungsreichen Prozess der Abstoßung und Verschmelzung scheinbar ähnlicher Rot-Varianten augenfällig machen:
Friedel: " Er hat immer wieder zu politischen Themen Stellung bezogen. Es gibt ein kleines, ovales Bild in der Ausstellung, das den Titel hat "Horizonte für Afghanistan". Das ist halt die Möglichkeit des Künstlers, auf etwas hinzuweisen. Aber es ist keine plakative Ebene. "
Es ist viel mehr: ausufernd und konsequent, mehrdeutig und sehr entschlossen, beschwingender Farbenrausch und strenge Form - ein Jahrhundertwerk eben.
" Da kam eines Tages ein Paket mit einem roten Lippenstift für meine Frau. Das war Pink, ganz helles Pink. Und das habe ich gleich erst einmal für mein Bild benützt. So habe ich dann allmählich diese Leuchtfarbe zu meiner Spezialfarbe gemacht. "
In einer Vitrine im Münchner Lenbachhaus sind die Farbreste aus Geigers Atelier ausgebreitet: krümelige und pastose Substanzen, vom hellsten gelb bis zum tiefsten Violett. Ziegel und Eisen, Karfunkel oder Rubin, auch Korallen fallen einem ein - aber selbst der entfernteste und entlegenste Vergleich kann den Reichtum der 200 ausgestellten Arbeiten, darunter 50 oft meterhohe Gemälde, nicht erfassen. Für Helmut Friedel, den Direktor der Städtischen Galerie, bedeutet das aber durchaus kein Kopfzerbrechen, sondern puren Kunstgenus:
" Es ist einfach wunderbar, wenn man als Radiohörer einmal darüber nachdenkt, welche Farbe Rot man sich vorstellt - und dann seine Umgebung anschaut. Da wird man sofort auf ein Rot stoßen, das ganz anders ist als das Rot, das man sich gerade gedacht hat. Rot ist ja auch eine spannende, variantenreiche Farbe. "
Und vor allem eine emotionale Farbe. Rupprecht Geiger selbst hat das in seinen aphoristischen Texten beschworen: Von Morgen- und Abendrot ist da die Rede. Auf Zornesröte und Schamrot spielt der Maler an, wenn er den Kunstfreund warnt, ihm aber auch verspricht:
" Die rote Farbe, die geht ihn direkt an. Die reißt ihn hoch, die gibt ihm Stimmung. "
Doch nicht emotionaler Überschwang, sondern sehr bewusster Umgang mit der Form, die Auseinandersetzung des Architekten mit der "Nüchternheit der Linie" prägte alle Phasen in Geigers Oeuvre. Wenn etwa ein schmaler grauer Leinwandwinkel ein orangerotes Farbfeld sanft umfasst, es unmerklich stützt, dann wird deutlich, dass hier über die Form eine Farbe in den Raum, in das Bewusstsein des Betrachters gebracht werden soll. Gleichzeitig aber lässt dieser Maler, dieser einzigartige Farbvirtuose die Umrisse zerfließen. Die Grenzen zwischen den einzelnen Flächen scheinen unter der Wucht unterschiedlicher Rottöne zu zerstäuben. Und genau hinter dieser sinnlichen Präsenz verbirgt sich jenes Rätsel, an dessen Auflösung Rupprecht Geiger auch im hohen Alter immer noch arbeitet:
" Es ist eine Aureole, ein Farbkranz außenrum. Das ist das Geheimnis der Farbe: die Strahlkraft. Sie ist wirklich eine Farbe, die im Licht schwebt. Das ist eine geistige Farbe im Gegensatz zur materiellen Farbe. "
Zwischen diesen Polen bewegte sich auch Yves Klein, der Meister aller Blautöne. Und auch Mark Rothko, Schöpfer meditativer Farbfelder, scheint nicht fern. Helmut Friedel:
" Bei Mark Rothko gibt es die schwebenden Farbformen, die eine gewisse, unbestimmte Tiefe zum Schwingen bringen. Rupprecht Geiger sucht für den Ausdruck der Farbe, für das Ausdehnungsbedürfnis von Farbe entsprechende Formen und ändert deswegen das Bildformat. Er geht vom rechteckigen Bildausschnitt zu freien Formen, die man dann später amerikanisch "shaped canvases" genannt hat, da war er mit Sicherheit ein Vorreiter. "
Einleuchtende, illustrative Beispiele hat Helmut Friedel aufgefahren: Installationen mit Farbkreisen, die auf einer schiefen Ebene tänzeln, die mit sanften Kurven in den Raum hinein pulsieren. Auch einen Kegelstumpf, dessen Schnittfläche in irritierendem Gelb leuchtet, mal hervortritt, dann wieder als unergründliches Loch hinter der Wand aufscheint.
Friedel: " Dann wird sein Raumverständnis zunehmend romantischer. Es entstehen horizontähnliche Farbschichtungen, die glühende Himmel wiedergeben könnten. Wobei er rational genug bleibt, dass er ein Stück Leinwand offen, "nackt" dazu zeigt und damit sagt "Das ist alles nur Täuschung". Fast wie bei den großen Romantikern wie E.T.A. Hoffmann, der auch mit Brüchen arbeitet um eben sentimentale Räume schaffen zu können. "
So entwickelt sich in Jahres-, oder besser: Jahrzehntringen ein eigenartiger Kosmos. Gleichzeitig aber verraten Geigers farbige Tafeln über das jeweilige Weltbild, die jeweilige Gesellschaft ebenso viel wie einst die Goldgrund-Bilder über das Mittelalter:
Friedel: " Dann in den 70er Jahren , wo es ein ganz in Silber gesprühtes Bild gibt das eindeutig in Verbindung zu setzen ist mit den Apollo-Projekten, mit dem Fortschrittsglauben. Auch mit den Sensationen in Silber die auch zum Beispiel Andy Warhol bewegt haben. "
Mit der Spritzpistole verwischt Geiger jede Handschrift, verzichtet auf einen individuellen Pinselduktus zugunsten der puren Farbwirkung. Und entwirft Modelle für Farbtankräume:
Friedel: " Tonnen, die in einer Farbe gestrichen sind, über zehn Meter hoch, in die Menschen hineingehen sollten und sich voll der Farbe ausliefern. Was ganz faszinierend klingt. Also, ich hätte das gerne einmal erlebt, aber ich weiß nicht, ob man es aushält. "
Erlebt, ausgehalten und angekauft hat Helmut Friedel 1990 das "Neue Rot für Gorbatschow", Geigers Installation mit zwei roten Rechtecken und orangefarbenem Kreis: Schlichte Formen, deren Farben bei näherem Hinsehen Sogwirkung entwickeln, den spannungsreichen Prozess der Abstoßung und Verschmelzung scheinbar ähnlicher Rot-Varianten augenfällig machen:
Friedel: " Er hat immer wieder zu politischen Themen Stellung bezogen. Es gibt ein kleines, ovales Bild in der Ausstellung, das den Titel hat "Horizonte für Afghanistan". Das ist halt die Möglichkeit des Künstlers, auf etwas hinzuweisen. Aber es ist keine plakative Ebene. "
Es ist viel mehr: ausufernd und konsequent, mehrdeutig und sehr entschlossen, beschwingender Farbenrausch und strenge Form - ein Jahrhundertwerk eben.