Sumte und die Flüchtlinge

"Wir sind nicht ablehnend, wir sind vorsichtig"

Der Ortsvorsteher Christian Fabel (CDU, stehend) stellt am 28. Oktober 2015 während einer Bürgerversammlung in Neuhaus zur geplanten Flüchtlingsunterbringung in der Ortschaft Sumte Fragen.
Ortsvorsteher Christian Fabel (CDU, stehend) bei einer Bürgerversammlung im Oktober 2015. © dpa / picture alliance / Jacky Naegelen / Philipp Schulze
Von Hartwig Tegeler · 08.07.2016
Unruhig wurden die Dorfbewohner im niedersächsischen Sumte, als sie erfuhren, dass bei ihnen ein Flüchtlingsheim eröffnet werden soll. Acht Monate später hat sich die Aufregung gelegt. Auch weil weniger kamen als gedacht - und die meisten wieder weg sind.
Nun gut, bis jetzt schon acht Monate lang Flüchtlinge im 100-Seelen-Dorf, zu Hochzeiten 750 Migranten, in diesen Tagen nur noch gut über 40. Ende Oktober, vielleicht, Schließung des Camps. Was war denn nun? Die einen sagen so:
"Das hat nichts Bleibendes. Sie sind mal hier gewesen."
Die anderen sagen so:
"Plötzlich spielte sich die Welt in Sumte ab. Also, das ist natürlich eine Sache, die das Leben, denke ich, nachhaltig der Sumter verändert hat."
Also: Was war denn nun? Versuch der Chronik eines Dorfs, das in Unruhe geriet.

Erwachen aus dem Dornröschen-Schlaf

Landstraße. Von Bleckede kommend. Durch die Serpentinen der Niederelbtalaue, plattes, weites, einsames Land, Normal-Null. Dass man einige Kurven nur mit 40 Stundenkilometern durchfahren darf, macht Sinn. Einsam. Entlegen. Alles. Wirtschaftlich strukturschwach. Wo sich Fuchs und Hase "Gute Nacht!" sagen. Dann das Ortsschild "Sumte".
Ortsschild von Sumte: Bis zu 1000 Flüchtlinge sollen in einer Unterkunft in dem 100-Einwohner-Ort in Niedersachsen untergebracht werden.
Ortsschild von Sumte© dpa / picture alliance / Philipp Schulze
Historische Zäsur: Herbst 2015. Erwachen aus dem Dornröschen-Schlaf. Das Land Niedersachsen will im leerstehenden Bürodorf am Ortsrand von Sumte ein Erstaufnahmelager für Flüchtlinge eröffnen. Bis zu 1000 Migranten soll das Camp aufnehmen.
Unruhe macht sich breit in Sumte und in Neuhaus, vier Kilometer entfernt, dem Sitz der Gemeinde Amt Neuhaus. Bürgerversammlungen. Das kann nicht gutgehen. Im Dorf 102 Einwohner, vor allem alte Menschen, die Jungen weggezogen, um anderswo einen Job zu finden: Wie soll das gutgehen mit 1000 Fremden?

Bestandsaufnahme vor Ankunft der Flüchtlinge

Psychologische, emotionale Bestandsaufnahme des Dorfes und seiner Bewohner Herbst letzten Jahres. Vor Ankunft der Flüchtlinge.
"Im ersten Moment natürlich Aufregung und auch Empörung. Alleine die Zahl von 1000 ist natürlich heftig für so ein kleines Dorf."
Die Lage ist ...
"... ja, gespannt."
Sagt der Sumter Feuerwehrmann Volker Voss:
"Werden dann mal sehen, wie die Lage sich entwickelt."
"Im Fernsehen sieht man ja alltäglich über diese Flüchtlingsheime, Flüchtlingslager, Flüchtlingsströme ..."
Christian Fabel, Ortsvorsteher:
"... Ne Unsicherheit ist da."
Das Wappen von Sumte: zwei gekreuzte Pferdeköpfe, nach innen gerichtet. Dazwischen eine Ähre. Hinweis auf die bäuerliche Tradition des Ortes. Unten grüner Streifen, darin blaues Band. Zeichen für die Elbe mitten in der Elbtalaue.

Fabel: "Wir Norddeutschen sind halt zurückhaltend"

Am Ortseingang von Sumte - aus Richtung Bleckede gesehen, das auf der anderen, der westlichen Seite der Elbe liegt -, gleich, wenn man ins Dorf kommt rechts ein neuer Fußweg. Sauber asphaltiert. Aber da liegen ein, zwei, drei Plastiktüten. Da liegt ein weggeworfenes T-Shirt. Einfach weggeworfen. Alle anderen Straßen sauber. Alles ordentlich, eingezäunt. Aber diese weggeworfene Plastiktüte und das T-Shirt: Ein Bild - innerlich aufgenommen irgendwann im November 2015 in Sumte -, es löst im Gesamtbild Irritation aus.
In seiner Miniatur steht es für die Angst, dass sich die Ordnung, Gewohntes auflöst. In diesem Fall: weggeschwemmt wird von der Welle der Flüchtlinge. 1000 Fremde. Christian Fabel:
"Wir Norddeutschen sind halt immer etwas zurückhaltend und werden die Sache beobachten. Wir sind nicht ablehnend dem gegenüber. Wir sind vorsichtig. Ängstlich natürlich auch, das will ich nicht verleugnen. Dass da auch ein bisschen Angst dabei ist. Weil, hier auf dem platten Land ist mal halt mit solchen ... ja, mit solchen Sachen noch nicht so oft konfrontiert worden."
Seit 1997 gehört das Gebiet des Salzstocks Sumte zum Biospährenreservat Niedersächsische Elbtalaue.
Angst, Verunsicherung, 1000 auf 100, das unbekannte Neue. Sicherheit für Bewohner wie Flüchtlinge, erhöhte Polizeipräsenz, die Straßenlaternen sollen länger an bleiben. Was wird mit dem eh schon langsamen Funk-Internet, wenn 1000 Menschen mehr auf die Leitung gehen, fragen sich besorgt die Unternehmer vor Ort, die das Netz für ihre Firmen brauchen.
Sorgen, die dem Vertreter des Landes Niedersachsen in einer Liste - Herbst 2015 - überreicht wurden. Diese verdichtete Unsicherheit kann man in Sumte damals spüren, fast greifen. Aber dem Dorfchronisten begegnet zusätzlich etwas ungemein Verblüffendes: Trotz Verunsicherung gibt es nicht den Reflex, dieses Gefühl auf die Fremden, Vertriebenen, Geflüchteten und damit faktisch ebenfalls zutiefst Verunsicherten zu projizieren.

"Warum soll es hier anders sein?"

"Rechts lassen wir uns vorspannen. Das wollen wir nicht."
Sagt Ortsvorsteher Christian Fabel und wechselt von der psycho-emotionalen auf die politische Ebene:
"Und dem werden wir uns auch demgegenüber wehren. Da in diese Richtung gedrückt zu werden. Oder mit unseren Unsicherheiten ausgenutzt zu werden in diesen Sachen."
Feuerwehrmann Volker Voss:
"Meine persönliche Meinung ist, dass wir keine Schwierigkeiten kriegen werden, ich glaube es nicht. Ich habe mir mal die Mühe gemachte und habe mal mit Leuten gesprochen, die direkt auch bei größeren Einrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern wohnen. Und die sagen eigentlich, dass es wenig Probleme gibt. Und warum soll es hier anders sein?"
Ende des Zweiten Weltkrieges. Da Sumte rechts der Elbe lag, eine Brücke fehlte, kam der Ort zusammen mit der gesamten Gemeinde Neuhaus zur sowjetischen Besatzungszone und lag damit später in der DDR und zeitweise gar im fünf Kilometer breiten Sperrgebiet der innerdeutschen Grenze. Um ins Dorf zu gelangen, benötigten die Sumter einen Passierschein; Besuche von Angehörigen mussten beantragt werden. Nach '89 zu Mecklenburg-Vorpommern gehörend wechselte das Amt Neuhaus und damit Sumte 1993 nach Niedersachsen.

2. November 2015: Die ersten Flüchtlinge kommen

Der Tag ist da. 2. November 2015. Die ersten Flüchtlinge kommen ins neu eröffnete Heim.
Dichter Nebel liegt wie ein graues Tuch über der Niederelbtalaue und erzeugt den ganzen Tag über eine unwirkliche Stimmung in Sumte. Kurz nach zwanzig Uhr dröhnt durch die inzwischen schwarze Suppe das Röhren des Dieselmotors eines Busses, der vor einem mit grellen Scheinwerfern erleuchtetem Eingang des neuen Heims anhält. Die ersten Fünfzig.
Ankommende Flüchtlinge in Sumte
Ankommende Flüchtlinge in Sumte© dpa / picture alliance / Daniel Bockwoldt
Frauen, Kinder, Männer. Steigen aus. Greifen ihre Trolleys. Darin ihr gesamter Besitz. Die Mitarbeiter des Arbeiter-Samariter-Bundes, das das Camp betreibt, begrüßen die Menschen. Salem aleikum. Aleikum salam, antworten einige Flüchtlinge.
Dann steigt ein syrisches Mädchen aus dem Bus. Schlank, die pechschwarzen Haare zu einem Zopf gebunden. Sie blickt ungläubig, staunend auf das Flüchtlingsheim, wo sie die nächsten Monate verbringen wird. Nicht ängstlich, nicht verstört, sondern staunend, neugierig.
Rund einen Monat später, bei der Weihnachtsfeier im Camp - jetzt sind schon an die 600 Flüchtlinge angekommen - mache ich ein Foto von ihr, wie sie auf der kleinen, improvisierten Bühne mit anderen Kindern zusammen ein arabisches Lied singt.
Später dann, Weihnachten zu Hause, zeige ich das Foto meiner älteren Schwester. Sieht aus wie unsere Mutter, als sie ein Mädchen war, findest du nicht. Du spinnst, sagt meine Schwester, überhaupt nicht. Das "Ich spinne nicht!" verkneife mich mir. Am 16. Januar 1945 begann meine Großmutter mit meiner damals zwölfjährigen Mutter und ihren vier Geschwistern die Flucht aus Westpreußen. Zwei Monate später gelangten sie nach Norddeutschland und kamen bei einem Bauern unter.

"Von daher fühlt man sich auch verpflichtet"

Wo liegt bei der Begegnung mit den Fremden, mit der Fremde, die Grenze zwischen Ablehnung, Empathie und Projektion? Wo verschlingen sich innen alte und neue Bilder? Es war einmal. Wie war es denn einmal? Und wie wird es? Natürlich stellten sich die Sumter im Winter 2015 genau diese Frage.
Seit 1674 - nachweislich - lebt die Familie von Dirk Hammer auf eine Hofstelle in Sumte. Von seinem sehr schön restaurierten Hof aus betreibt der Unternehmer eine Firma für Liege- und Therapiefahrräder und ist Autor der Website Sumte.News.
Zunächst beschwor Hammer in seinem Blog die drohende Überforderung für das Dorf, machte sich Sorgen um die Geschwindigkeit des Internets, Grundlage seiner Online-Vertriebsfirmen. Doch bald nach der Eröffnung des Heims bemühte sich Dirk Hammer intensiv um die Kommunikation zwischen Flüchtlingen, Heimleitung und den Dorfbewohnern.
Inzwischen zieht er eine positive Bilanz, auch mit Blick in die deutsche und seine eigene Familien-Geschichte:
"Flüchtlinge gab es auch nach dem Zweiten Weltkrieg. Gut, das waren Deutsche, das ist eine andere Situation. Aber diese Flüchtlinge … dort sind Flüchtlinge, auch deutsche Flüchtlinge, schlecht behandelt worden. Und in Sumte und Kursendorf halt nicht. Wenn man meine Familie da sieht, die sind da sehr lobend erwähnt worden. Dass sie eben die Flüchtlinge unterstützt haben. Denen geholfen haben. Und es kommen heute noch teilweise Flüchtlinge, die fast 100 sind. Ein Flüchtling ist meiner Mutters Patentante, die lebt in Hamburg jetzt. Mit 94 oder 95 kommt die hier noch uns besuchen und sagt, das war die schönste Zeit ihres Lebens. Und von daher fühlt man sich vielleicht auch ein Stückweit verpflichtet, wenn die Großeltern so was schon geleistet haben zu sagen, okay, ja, Mensch ist Mensch, da muss man halt gucken, wie man das auf die Reihe kriegt."

Staunen über die perfekte Organisation

"Ya, I´m coming alone."
Ariwan K. kam gleich nach Öffnung ins Sumter Camps. Via Balkanroute aus Nordsyrien. Und staunte über die perfekte Organisation und die Sauberkeit in Deutschland. Sehr gut, sagt sie.
"It's amazing and beautiful. And everything is organized. Everything. The cleaning. Good."
Sehr gut. Und das drastische Gegenteil zu Syrien. Ariwan redet nicht über ihre Erlebnisse auf der Flucht. Ihr Vater und ihre Mutter sagten, geh du.
"Ja. I'm coming alone. Nobody with me."
Dann machte sie sich allein auf den Weg. Als ich nach Deutschland kam, erinnert sich die 39-jährige Kurdin, sagte sie sich, nun ist es in Ordnung. Keine Gefahr mehr.
Eine Mitarbeiterin Sabine Schack legt zusammen mit einer Flüchtlingsfrau in Sumte in der dortigen Notunterkunft für Flüchtlinge, Kleidung in der Wäscherei zusammen.
Eine Mitarbeiterin Sabine Schack legt zusammen mit einer Flüchtlingsfrau in Sumte in der dortigen Notunterkunft für Flüchtlinge, Kleidung in der Wäscherei zusammen. © picture alliance / dpa / Philipp Schulze
Ariwan K. spricht Kurdisch, Arabisch, Farsi und Englisch und profilierte sich im Heim schnell als Allround-Dolmetscherin. So gewann sie auch Kontakt zu sehr unterschiedlichen Menschen - deutschen Helfern wie Migranten aus Syrien, dem Irak, dem Iran, Nordafrika oder oder.
Die Unsicherheit der Sumter Dorfbewohner gegenüber all den Fremden kann sie gut verstehen, sagt sie. Als vor Jahren Iraker in ihre nordsyrische Heimat flüchteten, war das bei ihr nicht anders. Um manche Flüchtlinge im Camp machte sie einen großen Bogen.
Das ist etwas in ihren Augen, was mir nicht gefällt. Ich sage den Deutschen hier im Heim immer wieder, meint die Kurdin, danke, dass ihr jeden willkommen heißt, aber ihr habt einen langen, eine mühseligen Weg vor euch. Meint die Kurdin. Weil gute und schlechte Leute kommen.

Anfang 2016: es werden immer mehr

Anfang 2016. Die Flüchtlinge sind einige Wochen da, und es werden immer mehr. Aber auch dieses passiert: Rund 60 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze hat der Arbeiter-Samariter-Bund geschaffen und wird zum größten Arbeitgeber der Region.
An diesem Tag zieht ein Sturm über das wachgerüttelte Dorf.
"Das ist sehr schwer zu beschreiben, aber ich glaube, das ist dem Menschen sehr eigen, dass er immer, wenn was Neues kommt, was er nicht direkt definieren kann, ist er misstrauisch."
Die nervöse Unruhe von Anfang November ist immer noch noch spürbar. Werner Bahll sitzt in seiner Küche:
"Ja, ich hab hier Kameras."
Der Mann in seinen Sechzigern züchtet Araberpferde.
"Und da, wo jetzt unten links ein Pferd läuft, in der Verlängerung hoch rechts hoch, sehen Sie, da kommen, Richtung Krusendorf, da kommen die Autos gefahren. Und da oben ist das Bild vom Stall. Und immer, um die Sicherheit meines Hofes zu garantieren, mache ich das hier."
Nachdem ein Flüchtling auf Bahlls Koppel ein Kind auf ein Pferd setzte, stellte der zum einen Schilder in deutscher, englischer und arabischer Sprach auf - "Betreten verboten! Pferde nicht füttern!" Zum Zweiten zeigte der Überwachungsmonitor in der Küche jetzt nicht mehr den Pferdestall, sondern die Koppel, den Zaun und die Straße, wo die Flüchtlinge lang spazierten.
Sumte: Hinweisschilder in verschiedenen Sprachen.
Sumte: Hinweisschilder in verschiedenen Sprachen.© dpa / picture alliance / Philipp Schulze
"Es sind eben Fremde hier, die wir nicht kennen. Man hört über die Medien, über alles ... alle Kanäle, da ist immer was los, da sind Kriege, mancher sagt dann, es sind jetzt vielleicht schon welche eingesickert. Ist ja medial bekannt gewesen. Und da ist ein gesundes Misstrauen, ich sage mal, in den Köpfen der Leute drin. Zur Ruhe kommen? Es ist ja keiner unruhig. Aber die Leute sind alle, spezieller, die näher dran wohnen, sie sind etwas wacher. Weil sie … es ist was anderes. Es ist ganz was anderes."
Werner Bahll initiierte zusammen mit Ortsvorsteher Christian Fabel einen Sonntagsspaziergang mit Migranten aus dem Heim, der einmal stattfand. Nur einmal. Aber, sagt Werner Bahll:
"Das würde ich noch mal machen."
Manchmal zogen nachts kleine Gruppen von Flüchtlingen zu Fuß nach Neuhaus. Ungewohnte Bewegung im Dorf.

Acht Monate - nur noch 40 sind da

Ich fahre durchs Dorf. Kaufe bei Herrn Luck an seinem Straßenstand ein Glas Honig - 4 Euro - aus eigener Imkerei. Suche Bilder für meine Dorf-Chronik. Acht Monate sind die Flüchtlinge da, jetzt nur noch rund 40. Lasse die Verschlafenheit noch einmal auf mich wirken. Schaue wieder auf die Zäune mit den typisch schmalen Beton-Pfählen aus alten DDR-Zeiten. Obstbäume. Drei Jungkühe, die auf einer kleinen Weide direkt an einem Bauernhaus wiederkäuen. Das Bushäuschen mit den paar Graffitis, wo unten der Putz abblättert. Die Abfalltonne, nicht aus Plastik, sondern aus Eisen. Die Deutschland- und Dynamo-Dresden-Fahne in einem Garten.
Ein paar Stunden im letzten November, bevor die Flüchtlinge kamen, versuchte ich erfolglos, ein Ehepaar an seinem Haus zu interviewen. Damals arbeiteten der Mann und die Frau an der Grenze ihres Grundstückes. Jetzt, als ich wieder vorbeifahre, erkenne ich, dass sie damals zur Straße hin die Vorarbeiten für einen Zaun machten.
Fast ausnahmslos sind Häuser und Gärten in Sumte eingezäunt; einige Zäune sind sehr neu. Werner Bahll, der Pferdezüchter, der direkt am Camp wohnend, hatte ja seine Erfahrungen gemacht, mit den Migranten, die auf seine Pferde stiegen, ihre T-Shirts auf die Straße schmissen. Und den Müll. Bahll klärte das. Es passierte nicht wieder.
"Nein, also in der Richtung, muss ich ganz ehrlich sagen, überhaupt nichts. Diese Kleinigkeiten, die vielleicht einige von denen von zu Hause mitgebracht haben, ich sage mal, Ordnung nicht halten, Flaschen wegschmeißen, das habe ich ihnen dann auch, ich kann sie nicht auseinanderhalten, ich weiß nicht, ob die, denen ich das gesagt habe, nächsten Tag noch hier warn. Aber ich habe ihnen das laut und deutlich an der Straße zu verstehen. Natürlich im halb schlechten Englisch und gutem Deutsch. Aber immer sehr laut. Und sehr bestimmt. Und das hat geholfen. Ihre Sachen, die sie bei uns teilweise hier über den Hof entsorgt haben … hatte rapide aufgehört."
Doch Werner Bahll sagt auch, dass nach den ersten Begegnungen faktisch kein Kontakt mehr stattfand mit dem Heim und den Flüchtlingen.
"Ob es so gewollt war, ich kann es Ihnen gar nicht sagen."
Das Dorf und die Flüchtlinge lebten, das ist Bahlls Sicht, nebeneinander her. Man störte sich nicht, man tat sich nichts.

"Probleme und ihre Lösungen - Krisenmanagement"

Schlagen wir in der Dorfchronik Sumte das Kapitel "Probleme und ihre Lösungen. Unterzeile: Krisenmanagement" auf.
2. April 1791. Apokalypse in Sumte. Ein Großfeuer. Neun Hofstellen brennen ab. Insgesamt an die zwanzig Gebäude. Und dann das Wunder. Oder die Normalität? Aus dem Abstand von mehr als 200 Jahren nicht mehr zu beurteilen: Die Bewohner der umliegenden Dörfer schließen sich zusammen und helfen je einer Sumter Familie. Nehmen das Vieh in ihre Ställe auf, spenden Lebensmittel und Baumaterial für den Wiederaufbau.
Großer Zeitensprung. Mehr als 200 später. Acht Monate, nachdem die Flüchtlinge kamen, ist Sumte wieder zur Ruhe gekommen.
Hammer: "Es gibt eigentlich keine negativen Dinge anzusprechen. Es läuft alles, es ist friedlich."
Voss: "Hier im Dorf hat sich eigentlich nichts verändert."
Hammer: "Wüsste jetzt nicht, dass die Kriminalitätsrate bei uns gestiegen ist. Es gab diese Schwierigkeiten, dass das Internet teilweise nicht benutzbar war. Sind wir aber auch drüber weg."
Dirk Hammer ist sich da mit seinem Nachbarn, dem Feuerwehrmann Volker Voss einig, das Dorf ...
"... findet langsam wieder zur Normalität zurück."
Also gutgegangen für Sumte? Man kommt erst einmal nicht umhin, "Ja" zu antworten. Was allerdings, eine Schicht tiefer, zu einer anderen Frage und in die Tiefen der norddeutschen Seele führt, die ich in diesem Versuch der Chronik eines aufgewachten Dorfes als kulturell wie sozialpsychologisch existent behaupte. Die Frage also: Was hat die Sumter befähigt, das zu schaffen? Unternehmer und Blogger Dirk Hammer:
"Dass man das abwartend anguckt. Und deswegen hat es vielleicht auch so gut funktioniert."

"Probleme sind dann zu lösen, wenn sie da sind"

Feuerwehrmann Volker Voss:
"Meine Prämisse ist eigentlich immer, Probleme sind dann zu lösen, wenn sie da sind. Und nicht schon vorher Probleme sehen, sich einzureden. Erstmal abwarten, gucken, was kommt. Und dann die Sachen anpacken, die anstehen."
Dirk Hammer:
"Da sind wir pragmatisch einfach. Das, was wir von Anfang an gesagt haben."
Aber Dirk Hammer und Volker Voss sagen auch, dass das Flüchtlingsheim das Dorf gespalten hat. Es gab die einen, die sich engagierten, es gab die anderen, die haben das Ganze ...
"... ich sag mal: schweigend toleriert. Und gesagt, okay, das, was wir an Befürchtungen hatten, ist nicht eingetreten. Und sich raushält."
Voss:
"Es ist schon zu merken, dass das ganze Thema auch Spannungen im Dorf aufgeworfen hat."
Hammer:
"... weil es auch Menschen gibt, die nicht davon, ja, begeistert war ja am Anfang keiner … also, von Begeisterung kann man da ja auch nicht sprechen … aber Menschen, die gesagt haben ebend, wir helfen und unterstützen das. Und Menschen, die gesagt haben, lasst mich damit komplett in Ruhe. Also, ja, diese Spaltung gab es auch bei uns. Das wäre gelogen, wenn man sagen würde, alle waren waren hier, Friede, Freude, Eierkuchen, und alle hätten gesagt, wir unterstützen das ohne Wenn und Aber. Das ist nicht der Fall gewesen. Also, wir sind nicht anders als die anderen. Wir gehen einfach anders damit um."

Leben und leben lassen!

Also keine Pöbeleien, keine Brandanschläge, keine Neonazi-Bürgerwehr-Aufmärsche. Ergo: War es diese norddeutsche Behäbigkeit, Bräsigkeit, Sturheit, Gelassenheit - Leben und leben lassen! -, die einen mitunter durchaus in die Verzweiflung treiben kann, die sich aber in angespannten Zeiten auch zu einer großartigen Qualität auswachsen kann ...
"Keine Ahnung, ob das der norddeutsche Menschenschlag ist. Ob wir so sind."
Sagt Dirk Hammer. Pferdezüchter Werner Bahll, wohnend vis-à-vis vom Heim, ist sich da sicherer in Sachen norddeutscher Sturheit als Qualität:
"Eindeutig, eindeutig. Sagen wir mal, das letzte Wort: Die Qualität haben sie bewiesen. Sicher ist der … der Süditaliener geht da anders mit um. Das glaube ich bestimmt."
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