Sultanat

Religiöse Toleranz in Oman

Blick auf die Altstadt der osmanischen Hauptstadt Maskat mit dem Sultanspalast Al Alam (Mitte), aufgenommen 2001.
Blick auf die Altstadt der osmanischen Hauptstadt Maskat mit dem Sultanspalast Al Alam (Mitte) - das Sultanat gilt als vergleichsweise liberal. © picture alliance / dpa / Angela Merker
Von Anne Françoise Weber · 12.07.2015
Oman wird seit beinahe 45 Jahren von Sultan Qabus bin Said regiert – nicht demokratisch, aber mit einer moderaten Reformpolitik und religiösem Pluralismus. Diese Offenheit hängt auch mit der besonderen Form des Islam zusammen, der viele Omanis angehören: dem Ibadismus.
Der anglikanische Pfarrer Chris Howitz führt über das Kirchengelände in Omans Hauptstadt Maskat. Protestanten und Katholiken gehört der Grund, auf dem auch ein Friedhof mit britischen Soldatengräbern aus den 1960er-Jahren liegt – damals war das Sultanat auf der arabischen Halbinsel noch ein britisches Protektorat. Mittlerweile haben sich noch zahlreiche andere Gemeinden auf dem Gelände niedergelassen: da steht die Mar Toma Kirche aus Südindien, eine koptische Kirche, eine orthodoxe Kapelle mit dem Namen Mar Gregorius und ein Gebäude der syrisch-jakobitischen Gemeinde.
Diese Vielfalt ist es, die die Arbeit für den 40-jährigen Chris Howitz hier in Oman so spannend macht. Er lebt seit anderthalb Jahren mit seiner Familie in Maskat, davor war er Gemeindepfarrer in Manchester. Auch wenn in Oman die Staatsreligion der Islam ist und seine Gemeindeglieder allesamt aus dem Ausland stammen, fühlt er sich als Christ willkommen:
"Wir müssen grundsätzlich gute Bürger sein. Ich bin sowieso nicht dafür, Leuten Religion aufzuzwingen. Ich glaube, das funktioniert nicht, und legal haben wir hier nicht das Recht zur Mission. Manche Christen sind deswegen ängstlich und denken, sie können nicht über ihren Glauben reden. Ich verstehe das nicht so – ich finde, wenn mich jemand fragt, darf ich sagen, warum ich was glaube. Aber man darf niemanden zwingen. Zwang ist kein wahrer Glaube. Ich will sagen, was ich glaube – Jesus ist sowieso da, und dann liegt es an Gott, die Herzen der Menschen zu verändern."
Bevor Chris Howitz den Journalisten die neue evangelische Kirche auf dem Gelände zeigen kann, muss er noch schnell ein Telefongespräch führen – er hat eine Menge zu regeln, ist er doch Pfarrer für vier protestantische Gemeinden und koordiniert insgesamt 60 christliche Gruppen, die das Kirchengelände in Maskat nutzen. Die Kirche, ein schlichter Bau aus Beton mit einem großen Kreuz hinter dem Altar, wurde erst 2013 eingeweiht – mit einem Ehrengast des omanischen Religionsministeriums.
"Es war großartig, dass sie uns so anerkannt haben, eine wirkliche Ermutigung für die christliche Gemeinschaft. Ich denke, es war eine Art Erwachen für manche. Hier lebende Ausländer, die aus mehrheitlich christlichen Ländern kommen, entwickeln hier sonst leicht eine Art Festungsmentalität. Deshalb war diese Anerkennung so wichtig."
Überkonfessioneller Islam-Unterricht
Festung soll sie also nicht sein, die Kirche, in die freitags zum ersten Gottesdienst rund 500, zu einem zweiten 120 Protestanten aus allen möglichen Ländern kommen. Während im Nachbarland Saudi-Arabien keine christlichen Gottesdienste öffentlich gefeiert werden können, ist man da in Oman weitaus toleranter – was auch mit der Geschichte zusammen hängen könnte, meint Chris Howitz.
"Oman reichte zeitweise bis nach Pakistan und Sansibar, es betrieb viel Handel und war nach außen orientiert – ich denke, das hat sich in einem offeneren Charakter niedergeschlagen, weil sie immer auf das Meer geschaut haben."
Die Verbindung nach Osten macht sich heute auch in einer großen Anzahl indischer und sri-lankischer Arbeitsmigranten bemerkbar. Gegenüber der Kirche von Chris Howitz befindet sich ein hinduistischer Tempel. In dem bunt geschmückten Gebäude bleiben Gläubige vor der Götterstatue mit den vielen Armen stehen, knien nieder oder stecken einen kleinen Zettel in bereit gestellte Kästen. Eigentlich alle sind indische Einwanderer, erklärt der Tempelmanager, der sich erst interviewen lässt, als das Mikrofon ausgeschaltet ist.
Selbst ein kleiner Schrein für Buddhisten aus Sri Lanka wurde nach dem Eingang errichtet. Ein Aushang des omanischen Religionsministeriums untersagt das Spielen mit Farbpulver am hinduistischen Holi-Fest sogar auf dem Tempelgelände. Der Tempelmanager spielt das Verbot herunter – es diene nur dazu, Ärger mit der Nachbarschaft zu vermeiden. Das Zusammenleben der Religionsgemeinschaften sei ohne Probleme. Er selbst habe aus Solidarität mit seinen muslimischen Freunden sogar 13 Jahre lang im Ramadan gefastet, diese wiederum würden ihm immer an hinduistischen Festtagen gratulieren.
Dass die omanischen Muslime sich auch gegenüber nicht-monotheistischen Religionen offen zeigen, könnte daran liegen, dass rund 60 Prozent von ihnen Ibaditen sind. Der Ibadismus ist eine frühe Abspaltung des Islam, die sich als älteste islamische Rechtsschule versteht, aber weltweit vergleichsweise wenige Anhänger hat. Nur in Oman stellen sie die Mehrheit, kleinere Gemeinden existieren noch in Nordafrika. Doch selbst in Oman leben die Ibaditen mit Sunniten und Schiiten zusammen, im Schulunterricht wird eine Art überkonfessioneller Islam gelehrt. Die Beleidigung anderer Glaubensrichtungen ist per Gesetz verboten. Der omanische Religionsminister Sheikh Abdullah Bin Mohammed al-Salmi stellt die Begegnung mit Andersgläubigen auf eine nicht-theologische Basis:
"Wir sehen die gegenseitige Anerkennung der Menschen als Grundlage der Begegnung. Ein Teil dieser Grundlage ist die Gerechtigkeit, ein Teil die Ethik, ein anderer die Vernunft. Darauf beruft sich der Gläubige wie der Nichtgläubige, der Anhänger einer abrahamitischen wie einer nicht-abrahamitischen Religion. Das predigen wir allen Menschen, das ist unsere Botschaft."
Einfluss radikaler Gruppen könnte zunehmen
Es mag nicht nur an der Minderheitensituation und an der jahrhundertealten Außenorientierung des Landes liegen, dass Minister Al-Salmi so humanistisch argumentiert. Anders als manch andere muslimische Strömung legt der Ibadismus Wert auf eine gewisse Trennung zwischen religiösen und staatlichen Angelegenheiten – was die Anerkennung von Nicht-Muslimen leichter macht. Außerdem gilt Reform- und Anpassungsfähigkeit den Omanis als hohes Gut, erklärt der Minister:
"Wir glauben, wenn wir uns nicht weiterentwickeln, so entwickeln sich doch die Gesetze Gottes im Universum weiter. Das heißt, wenn du dich nicht aus eigenen Stücken weiterentwickelst, so wirst du dich doch mit der Zeit verändern. Wir haben in Oman einen besonderen Ansatz, der vielleicht auch mit unserem Glauben an Moses Erlebnisse zusammen hängt und seinen 40 Jahren in der Wüste: Wenn wir uns nicht weiterentwickeln und die Zeit ebenso lenken wie unsere eigene innere Erneuerung, wird das zum großen Problem, in unserer Religion, unserer Politik und unserer Beziehung zu den anderen. Deswegen sind wir für Weiterentwicklung und nicht für Stillstand."
Schaut man sich Omans Geschichte an, sieht man tatsächlich eine große Weiterentwicklung seit der Machtergreifung des aktuellen Sultans Qabus 1970. Er hatte das Land, das unter seinem Vater noch sehr rückständig war, in den folgenden Jahrzehnten für Wirtschaft und Tourismus geöffnet sowie Straßen, Schulen und Krankenhäuser gebaut. Politisch wurden einige Konsultationsmöglichkeiten eingeführt, letztlich bleibt aber der Sultan doch Alleinherrscher – auch nach zaghaften Protesten im Frühjahr 2011, die er nicht nur durch einige Zugeständnisse und neue Sozialmaßnahmen beruhigte. Auch die Repression gegen Oppositionelle hat seither stark zugenommen. Da sich der Sultan nun schon bald seit einem Jahr aus gesundheitlichen Gründen in Deutschland aufhält, wächst in Oman die Unruhe und die Frage, welche Richtung das Land nach seinem Tod einschlagen wird, zumal bisher kein Nachfolger fest steht. In Hintergrundgesprächen geben auch omanische Ministerialbeamte zu, dass der Einfluss radikaler Gruppen, die von Nachbarn wie Saudi-Arabien gestützt werden, zunehmen könnte. Dann wäre vermutlich auch Schluss mit den liberalen Umgangsformen, die sich manche Muslime im Sultanat erlauben.
In der Bar eines großen Hotels in Maskat sitzt ein junger Ministerialbeamter im traditionellen weißen Gewand und mit der typisch omanischen bunt bestickten Kappe auf dem Kopf. Er trinkt gemütlich sein Bier und erzählt offen von seinem undogmatischen Lebenswandel. In die Moschee gehe er nicht, auch faste er nicht im Ramadan – letzteres allerdings wisse seine Familie nicht. Er komme mehrmals in der Woche auf ein Bier hierher. Denn im Geschäft kann er selbst keinen Alkohol einkaufen, dafür ist er auf Freunde angewiesen, die als Ausländer dieses Recht haben. Immerhin ein Kasten deutsches Bier lagere zur Zeit noch in seiner Single-Wohnung.
Der omanische Shura-Rat, eine gewählte Kammer mit nur beratender Funktion, hatte zwar im vergangenen Jahr ein allgemeines Verbot von Alkohol vorgeschlagen; auch Ausländer sollten keinen Alkohol mehr kaufen und konsumieren dürfen. Von Regierungsseite hieß es nun aber kürzlich, man plane diesen Vorschlag nicht umzusetzen. Vielleicht deshalb, weil damit nicht nur die Tourismusindustrie, sondern auch das Bild des vergleichsweise liberalen Sultanats Oman Schaden leiden würde.
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