Sukkot

Von Evelyn Bartolmai |
Auch für die Pflicht zur Freude findet man zahlreiche Hinweise in den Psalmen, im 16. heißt es beispielsweise: "sowa semachot et panecha – der Freude Sättigung in deinem Angesicht".
Die Weisen sagen jedoch, man soll nicht 'sowa', also 'Sättigung' lesen, sondern 'schewa' – nämlich 'sieben Freuden'. Eine solche Lesart ist möglich, weil im Hebräischen die Vokale nicht geschrieben werden und daher für zahlreiche Worte mehrere Lesarten und damit auch Bedeutungen offen sind. Außerdem besteht ja gerade auch die Kunst und Pflicht der Torahgelehrten darin, die heilige Schrift so umfassend wie möglich auszulegen. Und was sind nun die sieben Freuden von Sukkot? Das sind zunächst die 4 Pflanzen- und Fruchtarten - Palmwedel, Myrte, Bachweide und eine Zitrusfrucht, die Etrog heißt - die man zu einem Strauß bindet und zu den G'ttesdiensten in der Synagoge schwenkt. Das ist weiter die Sukka, die Laubhütte selbst, in der wir 7 Tage lang gemeinsam zum Essen sitzen, und schließlich noch 2 besondere Opfer, die dargebracht werden.

Und warum haben wir gerade zu Sukkot die Pflicht zu großer Freude? Rabbi Awin erzählt von zwei Männern, die zum Richter kamen. Noch weiß man nicht, wer den Prozess gewonnen hat, aber es wird derjenige sein, der freudestrahlend das Gericht verlässt und das Zepter in der Hand hält. Ebenso verhält es sich beim Rechtsstreit zwischen den Völkern der Erde und dem Volk Israel. Wenn die bnei Israel nach Rosch Haschana den g'ttlichen Gerichtshof verlassen, erkennt man, dass sie siegreich hervorgegangen sind, denn sie tragen den Lulaw und den Etrog gleich einem Zepter in ihren Händen. Lulaw und Etrog sind ebenjene 4 Pflanzen- und Fruchtarten, die den für Sukkot typischen Feststrauß bilden und die Kraft und Einheit des jüdischen Volkes symbolisieren.
Die Freude sprudelt jedoch noch aus einer anderen Quelle, nämlich dass wir aus den sogenannten "10 schrecklichen Tagen" noch einen weiteren Erkenntnisgewinn gezogen haben. Einen kleinen Hinweis darauf haben wir bereits zu Jom Kipur erhalten, in der Geschichte von Jonah. Dort heißt es im letzten Kapitel, dass Jonah außerhalb von Ninive sitzt - und zwar in einer Sukka, in einer Hütte – genau wie wir es ab heute eine ganze Woche lang tun. Also bereits zu Jom Kipur haben wir die Weisung für den Weg aus der Synagoge heraus erhalten, diesem sicheren Raum, in dem wir einen ganzen Tag lang vor Gott standen, hinaus in die Sukka, ins Freie, in eine Hütte, die nur vorübergehend steht, die wackelig ist und kein richtiges Dach hat. Wir haben die beiden Situationen, innen und außen. Jom Kipur steht für das Innen, wir kümmern uns um das, was in uns ist und wir überdenken, wie wir ganz persönlich vor G'tt stehen. An Sukkot drehen wir das Ganze um, wir gehen nach draußen, in die Welt. Wir stehen in der Natur und sind umgeben von allem, was die Schöpfung uns erleben und genießen lässt, es die Zeit der Ernte, auch all dessen, was wir in den vergangenen Tagen dazugelernt haben. Und wer zu Jom Kipur verstanden hat, dass er nicht nur in Verantwortung vor G'tt steht, sondern auch für die Mitmenschen und die Natur, der hat natürlich ganz besonderen Grund zur Freude zu Sukkot!