Suhrkamps Insel Verlag meldet Insolvenz an

Matthias Kierzek im Gespräch mit Dieter Kassel · 02.07.2013
Erst meldete Suhrkamp Insolvenz an, jetzt ist der Insel Verlag dran. Von Druck der Mutter auf die Tochter ist die Rede. Eichborn-Mitgründer Matthias Kierzek sieht den Verlag dennoch nicht am Ende - ist aber nicht sicher, ob die derzeitige Strategie aufgehen wird.
Dieter Kassel: Ich glaube, jeder, der sich ein bisschen mit der deutschen Verlagsszene beschäftigt, hat schon mitbekommen, dass der Suhrkamp Verlag sich inzwischen unter einem Insolvenzschutzschirm befindet. Obwohl Mitbekommen ja nicht unbedingt heißt, dass man genau versteht, was das bedeutet. Was fast untergegangen wäre, ist, dass im Zuge dieses Vorgangs der Insel Verlag seinerseits Insolvenz anmelden musste, und zwar ohne Schutzschirm, streng betrachtet. Das wurde bisher kaum wahrgenommen, bis heute die Tageszeitung "Die Welt" darüber berichtet hat. Und da war dann auch die Pressesprecherin des Suhrkamp Verlags Tanja Postpischil gezwungen, sich dazu zu äußern. In dem Zeitungsartikel heißt es, der Suhrkamp Verlag habe mit einer Rechnung über 1,8 Millionen Euro Insel unter Druck gesetzt. Tanja Postpischil, wie erwähnt die Pressesprecherin, hat das etwas anders dargestellt:

Postpischil: "Das Ganze hat sich ergeben aus dem Urteil im März, das Herrn Barlach 2,2 Millionen Ausschüttung zugestanden hat. Daraus wiederum hat sich eine Ausschüttung der Familienstiftung ergeben und das hat zur Überschuldung des Verlages geführt."

Kassel: Streng genommen kann man auch sagen, so richtig widerspricht sich das nicht. Die große Frage ist aber, was bedeutet das insbesondere für den Insel Verlag? Viele denken nun, weil der ja Insolvenz angemeldet hat ohne Schutzschirm, der sei ziemlich sicher ziemlich bald pleite, und da war Tanja Postpischil vom Suhrkamp Verlag nun sehr viel optimistischer:

Postpischil: "Das, was wir jetzt mit dem Insel Verlag gemacht haben, ist die Angliederung des Insel Verlags an eben dieses Verfahren. Und im Grunde genommen könnte man so was sagen wie, dass der Suhrkamp-Schutzschirm so groß ist, dass auch der Insel Verlag darunter einen Platz findet."

Kassel: Sie hören schon, das ist eher juristisch kompliziert, es geht um Wirtschaft, aber natürlich geht es am Ende für Kulturinteressierte um Bücher. Und deshalb braucht man jemanden, der sich eigentlich mit allen diesen drei Dingern auskennt, und den haben wir gefunden! Ich begrüße am Telefon Matthias Kierzek Er war einer der beiden Gründer des Eichborn Verlags und bis 2007 auch Verleger dieses Verlags. Schönen guten Tag, Herr Kierzek!

Matthias Kierzek: Ja, ich grüße Sie auch!

Kassel: Es ist unglaublich kompliziert, aber ich stelle erst mal eine einfache Frage, wahrscheinlich ohne einfache Antwort: Wie kann denn der Suhrkamp Verlag seinem eigenen Beiboot, wie es ja immer so schön heißt, eine Rechnung stellen, die so hoch ist, dass der deshalb pleitegeht?

Kierzek: Ja, Insel hat keine eigenen Mitarbeiter, und sämtliche Verlagsfunktionen werden von der Mutter Suhrkamp wahrgenommen und demgemäß auch, wie das unter Kaufleuten, wie unter Dritten üblich ist, in Rechnung gestellt. Und hier war es offensichtlich so, dass über längere Zeit zwar Rechnung gestellt wurde, aber nicht bezahlt wurde. Und jetzt hat man möglicherweise aus taktischen Gründen im Zuge der Gesamtauseinandersetzung diese Rechnung fällig gestellt.

Kassel: Aber um das mal klar zu machen: Natürlich arbeiten Menschen beim Insel Verlag aus unserer Sicht. Wenn man da anruft, gibt es Mitarbeiter, da gibt es Lektoren, die Bücher lesen, aber das sind nicht fest angestellte Mitarbeiter des Insel Verlags?

Kierzek: Nein. Sie können ja im elektronischen Bundesanzeiger die Jahresabschlüsse einsehen von Insel und Suhrkamp. Dort steht ausdrücklich, Insel hat keine eigenen Mitarbeiter. Die sind bei Suhrkamp. Und für Pressearbeit, für Vertriebsarbeit, für Arbeiten der Lizenz- und Rechteabteilung, auch Lektoratsarbeiten, werden Rechnungen von der Mutter an die Tochter gestellt, oder an das Schwesterunternehmen.

Kassel: Ist das im Verlagsgeschäft relativ üblich oder ist das ungewöhnlich?

Kierzek: Innerhalb eines Konzerns ist das durchaus üblich. Es ist nicht selbstverständlich, es wäre auch genauso gut denkbar, dass es getrennte Mitarbeiter gäbe, erst recht für die zentralen Funktionen wie Lektorat, denn natürlich sind die Lektorate getrennt. Aber es ist nicht ungewöhnlich oder sogar unsittlich, es so zu handhaben. Es vereinfacht vieles, weil man die ganze Personalverantwortung bei einer Firma angesiedelt hat. Das bringt einfach administrative Vorteile.

Kassel: Aber kann man denn dann - ich meine, Suhrkamp weiß ja nun Bescheid über die wirtschaftlichen Verhältnisse bei Insel - kann man dann vernünftigerweise eine Rechnung stellen, von der man weiß, unser eigenes Tochterunternehmen kann sie nicht bezahlen?

Kierzek: Ja gut, die Rechnung muss ja gestellt werden, weil ja entsprechende vertragliche Vereinbarungen vorliegen, die auch angemessen sein müssen, sonst würden sie steuerlich gar nicht anerkannt werden. Da die Gesellschafterstrukturen, soweit ich weiß, nicht identisch sind, muss auch darauf geachtet werden, dass die Kostenbelastung von der Mutter an die Tochter den tatsächlichen Verhältnissen entspricht. Eine andere Frage ist, warum man jetzt die ganze Summe fällig stellt. Im Rahmen einer Insolvenz muss natürlich jede Firma dafür sorgen, dass auch die Forderungen eingetrieben werden. Das Ganze hat hier nur Hautgout dadurch, dass eben taktische Aspekte der Auseinandersetzung mit dem Gesellschafter Barlach eine Rolle spielen. Und das ganze Verfahren, das Schutzschirmverfahren bei Suhrkamp und das Insolvenzverfahren, das normalere Insolvenzverfahren bei Insel, das ist ja mehr konstruiert als von der Sache geboten gewesen, einfach um sich des Gesellschafters Barlach zu entledigen.

Kassel: Aber wenn man jetzt als Laie so Begriffe hört wie Schutzschirminsolvenzverfahren und nur Insolvenzverfahren, ohne Schutzschirm, dann könnte man den Eindruck haben, es kann sein, dass Suhrkamp durch den Schutzschirm gerettet wird und der Insel Verlag nicht. Kann das kommen?

Kierzek: Das kann sein, aber ist unwahrscheinlich. Es ist aber auch nicht so, wie die Pressesprecherin insinuiert, dass es hier quasi einen Unterschlupf von Insel gäbe beim großen Schutzschirmverfahren. Es sind erst mal zwei getrennte Firmen und beide Firmen haben Insolvenz angemeldet. Ein Schutzschirmverfahren setzt ja voraus, dass Insolvenz angemeldet wurde. Nur gibt es ja erst mal die Insolvenzantragstellung und in der Regel drei Monate später die Insolvenzeröffnung, wenn entsprechende Vermögenswerte vorhanden sind und Fortführungsprognosen realisiert werden können. Der Unterschied liegt darin, dass Suhrkamp wegen Überschuldung Insolvenz angemeldet hat. Dann ist ein Schutzschirmverfahren möglich. Insel hat aber wegen eingetretener Zahlungsunfähigkeit Insolvenz angemeldet, also ist nicht in der Lage, fällige Verbindlichkeiten zu erfüllen. Dann ist ein Schutzschirmverfahren laut Gesetzeswortlaut ausdrücklich ausgeschlossen. Die können gar keinen Schutzschirm machen.

Kassel: Aber ich sehe das schon richtig, dass im Prinzip das ein bisschen so wirkt, als hätte Suhrkamp eben – auch nicht ganz Suhrkamp, Hans Barlach ja eher nicht, aber die andere Seite – aus taktischen Gründen dieses Schutzschirmverfahren angestrebt und mehr oder weniger gesagt, was mit Insel passiert, ist in dem Zusammenhang nicht so wichtig!

Kierzek: Das sehe ich nicht so. Also, Insel ist ja von der Rechtesubstanz her und vom Renommee her unverzichtbar. Das heißt, der Verlag lebt ja durch alle Elemente. Dazu gehört ja auch noch der Klassiker-Verlag und der Jüdische Verlag, die wiederum angegliedert sind bei Insel. Also, man wird schon darauf achten, dass alles zusammen bleibt, aber da es getrennte juristische Veranstaltungen sind, Suhrkamp und Insel, ist das nicht gewährleistet. Diese Verfahren laufen technisch getrennt. Das Schutzschirmverfahren hat allerdings – das erst 2012 eingeführt wurde für Suhrkamp – den großen Vorteil, dass es statt eines Insolvenzverwalters, der vom Gericht bestellt wird, einen sogenannten Sachverwalter gibt, der zwar auch vom Gericht bestellt wird, aber auf Vorschlag des Suhrkamp Verlages. Beim Insolvenzverwalter hat man keinen Einfluss auf die Auswahl. Und das gibt Suhrkamp selbst, anders als bei Insel, sehr viel mehr Möglichkeiten im Benehmen mit dem Generalbevollmächtigten, den Suhrkamp ja auch selbst bestellt hat, dafür zu sorgen, dass die gewünschten Ergebnisse rauskommen. Bei Insel ist das nicht so gewährleistet, da prüft ja jetzt auch die Richterin erst, wie sie mit dem Antrag auf Eigenverwaltung umgeht. Das ist allerdings in der Tat im gleichen Paragrafen geregelt wie das Schutzschirmverfahren, aber ist ein anderes Verfahren. Es ist erst mal eine normale Insolvenz, wo auch ein wirklicher Insolvenzverwalter, und nicht nur ein Sachwalter bestellt wird. Und der Insolvenzverwalter hat weitergehende Rechte.

Kassel: Viele sagen ja, das ist ein Missbrauch von Kulturgütern, so was kann man nicht mit neutralen Maßstäben messen. Aber Herr Kierzek, ich frage mich, wenn man überlegt, wozu der Gesetzgeber die reguläre Insolvenz und auch das Schutzschirmverfahren eingeführt hat, und was jetzt passiert, wo relativ unverhohlen gesagt wird, das ist wahrscheinlich der beste Trick, um Hans Barlach loszuwerden, ist das nicht eigentlich auch ein Missbrauch der Justiz?

Kierzek: Ich sehe das auch so. Herr Barlach will ja dagegen vorgehen und die Insolvenzexperten, die sich dazu äußern, sagen, das ist völliges Neuland. Das kennt eigentlich das Insolvenzrecht nicht. Das Insolvenzrecht soll ja Gläubiger schützen und nicht primär die Gesellschafter, die natürlich auch Rechte haben, aber vor allen Dingen geht es um Rechte der Gläubiger. Nun hat aber Suhrkamp dadurch, dass es den Gewinnausschüttungsanspruch von Barlach in Höhe von 2,2 Millionen Euro als Verbindlichkeit ansieht, ja Barlach erst zum Großgläubiger gemacht. Außerdem hat er ja noch Forderungen auf Schadensersatz aus den gewonnenen Prozessen gegen Suhrkamp.

Letztlich ist es ein Missbrauch. Denn wenn man sich die Bilanzen ansieht: Suhrkamp hat 2010 sieben Millionen Gewinn gemacht, 2011 noch zwei Millionen. Zwölf liegt nicht vor, jedenfalls ist es nicht veröffentlicht. Und es wird testiert von Wirtschaftsprüfern ja auch ausgesagt, dass es sich um ein gesundes Unternehmen handelt, in dem Lagebericht des Unternehmens. Das heißt, Suhrkamp ist ja nicht wirklich notleidend und wird auch durch Gewinnausschüttungsansprüche, die jetzt Herr Barlach ja auch zurückgestellt hat, nicht wesentlich in seiner Substanz gemindert. Ich zweifele sogar an, ob es wirklich eine Überschuldungssituation gibt. Denn wenn man von einer Fortführungsmöglichkeit von Suhrkamp ausgeht – und da spricht ja alles dafür, keiner bestreitet das – dann müssten ja die Werte mit echten Zeitwerden und Fortführungswerten angesetzt werden und dann kann ich mir nicht vorstellen, dass Suhrkamp in einer Schieflage sich befindet. Insofern ist das Verfahren zulässig, aber letztlich missbräuchlich angewandt. Insofern würde ich Barlach folgen. Ob er diesen Standpunkt irgendwie rechtlich verwertbar gestalten kann, das ist wiederum zweifelhaft, weil das Gesetz natürlich nicht von solchen kuriosen Missbrauchsmöglichkeiten ausgeht.

Kassel: Viele haben ja den Eindruck, das ist ein Konflikt bei Suhrkamp zwischen einer Seite, die Bücher machen will und vielleicht nicht so arg viel Ahnung vom Geschäft hat, und einem, der Geschäfte machen will und vielleicht anders auf Bücher blickt. Sie haben ja aus Ihrer eigenen Zeit bei Eichborn auch ähnliche Konflikte ausgestanden, haben Ihren Verlag damals in den Smax, also in einen Aktienindex gebracht ….

Kierzek: Ja.

Kassel: Und dann hatte ich als Außenstehender den Eindruck, am Ende hat das alles nicht funktioniert. Glauben Sie inzwischen, wenn literaturfremde Geldgeber in einen Verlag reinkommen, dann ist ein Konflikt vorprogrammiert?

Kierzek: Er ist zumindest nicht so fernliegend. Hier ist ja die spezifische Situation, dass Frau Unseld, aus welchen Gründen auch immer, Herrn Barlach weitgehende Rechte zugestanden hat. Zum Teil mögen die auch schon ererbt sein von dem Vorgesellschafter Reinhart und der entsprechenden Gesellschaftskonstruktion in der Schweiz. Und Barlach hat nun Mitsprache praktizieren wollen, die nicht bekommen in dem gewünschten Umfang, und hat dann seine juristisch abgesicherte Position durchgesetzt. Das heißt, er hat Entscheidungen, die gegen ihn gefällt sind, angezweifelt, weil es eben Satzung und Gesellschaftervereinbarung nicht zugelassen haben, dass diese Entscheidungen realisiert wurden, ohne ihn zu fragen, und er hat auf Gewinnausschüttung bestanden. Damit hat er zwar nur seine Rechte wahrgenommen, aber er ist damit erst mal zum Paria im gesamten Feuilleton geworden, weil hier ein Kapitalist scheinbar kein Gespür hatte für literarische Absichten des Verlages.

Ich sehe das etwas nüchterner, ich bin ja auch Kaufmann. Also, es gibt natürlich die legitimen wirtschaftlichen Interessen des Investors. Dass er sich in vielen Dingen nicht glücklich verhalten hat, noch weniger sich glücklich dazu geäußert hat, mag man ihm nachsehen oder nicht, aber es hat es nicht erleichtert, Frieden zu erzielen. Und Frau Unseld ist auch keine Person, mit der man leicht umgehen kann. Das heißt, hier war auch schon durch die Struktur der handelnden Personen der Konflikt vorprogrammiert. Dass er diese Schärfe angenommen hat und zu diesem ja fast kuriosen Befreiungsschlag geführt hat, das war natürlich nicht absehbar. Also ich sehe den grundsätzlichen Widerspruch der Interessen, den ich auch in meiner eigenen Vergangenheit erlebt habe, der Kaufmann achtet auf wirtschaftliche Ergebnisse und der inhaltlich orientierte Programmmacher, Verleger, will seine Ideen realisieren, manchmal auch jenseits des wirtschaftlich Vertretbaren.

Kassel: Matthias Kierzek war das, einer der beiden Gründer und langjähriger geschäftsführender Verleger des Eichborn Verlags. Wir sprachen mit ihm über den Insel Verlag, der infolge der Entwicklung bei Suhrkamp Insolvenz anmelden musste. Herr Kierzek, ich danke Ihnen sehr für Ihre Zeit!

Kierzek: Ja, vielen Dank!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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