Suhrkamp-Streit: Muschg fordert Gauck als Vermittler

Adolf Muschg im Gespräch mit Dieter Kassel · 14.12.2012
Der Schweizer Schriftsteller Adolf Muschg fordert, Bundespräsident Joachim Gauck in den erbittert geführten Streit im Suhrkamp Verlag einzuschalten. Muschg sagte, um den Verlag noch zu retten, sei jetzt eine Instanz vonnöten, die glaubwürdig und mit Autorität ausgestattet sei.
Dieter Kassel: Ich wünsche Ihnen einen schönen guten Morgen, aber ich weiß, dass dieser Wunsch bei einigen nicht fruchten wird, bei Menschen nämlich, die sich mit der deutschen Verlagslandschaft beschäftigen und die sich vor allen Dingen Sorgen um den Suhrkamp-Verlag machen. Diese Sorgen macht man sich berechtigterweise seit Jahren, aber seit vergangenem Montag gibt es noch konkretere Gründe.

Wir erinnern uns, da hat das Berliner Landgericht ein Urteil gefällt, das unter anderem bedeuten könnte, dass der Suhrkamp-Vorstand zurücktreten muss – bedeuten könnte, weil dieser Teil des Gerichtsurteils zurzeit noch nicht rechtskräftig ist, aber das bedeutet bestenfalls einen Aufschub, denn schon im Februar geht es vor einem Frankfurter Gericht noch viel konkreter um die Zukunft eines der renommiertesten, ja vielleicht sogar des renommiertesten deutschsprachigen Verlags.

Wir wollen darüber mit einem ehemaligen Suhrkamp-Autor sprechen: Adolf Muschg hat den Verlag 2009 verlassen, seitdem veröffentlicht er seine Bücher im C.H. Beck Verlag, aber natürlich ist er als langjähriger Suhrkamp-Autor und ehemaliges Mitglied des Stiftungsrats der Siegfried und Ulla Unseld Familienstiftung weiterhin ein intensiver und, wie ich mal schätze, nicht ganz entspannter Beobachter der Lage. Wir begrüßen ihn jetzt am Telefon in der Schweiz. Schönen guten Morgen, Herr Muschg!

Adolf Muschg: Guten Morgen, Herr Kassel!

Kassel: Ich frage Sie das ganz konkret: Ist in Ihren Augen der Suhrkamp-Verlag noch zu retten?

Muschg: Ja, aber es braucht einen "tour de force", es braucht so ein bisschen, wie in der antiken Tragödie, von der das ganze ja ohnehin gewisse Züge übernommen hat, es braucht einen Deus ex Machina. Das heißt, es braucht eine Instanz, die glaubwürdig und, ja, sagen wir es, mit hinlänglicher Autorität ausgestattet ist, um ein Schiedsgericht zwischen den Gesellschaftern herbeizuführen und sie wohl oder übel aufeinander zugehen zu lassen, wie sich Habermas ausgedrückt hat, denn es führt daran kein Weg vorbei, wenn der Verlag nicht verschwinden soll, und verschwinden heißt, wenn er liquidiert und unter eigenem Namen, aber ohne eigene Substanz weitergeführt wird. Das ist ja nicht der Sinn der Sache.

Kassel: Wer könnte denn eine solche Person sein, die einem solchen – Sie haben es ja schon gesagt – Schiedsgericht quasi vorsitzt?

Muschg: Ich sage jetzt etwas ganz Kühnes, aber ich finde, es wäre keine unpassende Rolle für den heutigen Bundespräsidenten. Das meine ich nicht so, dass er eine große Konferenz veranstaltet, sondern dass er die einfach einmal zu Tisch bittet, Herrn Barlach und Frau Unseld-Berkéwicz, und sie dazu veranlasst, überhaupt miteinander zu sprechen, nicht nur vor Gericht gewissermaßen sich durch Anwälte vertreten zu lassen. Ich glaube, es gibt ein Potential für eine Lösung, das auch in der verschrienen Person von Herrn Barlach zu finden wäre.

Der Name ist für mich ein Name, der verbunden ist mit einer bedeutenden künstlerischen Arbeit, nicht nur einer bildhauerischen, sondern auch einer literarischen, mit der ich mich einmal beschäftigt habe nebenbei, und auf die sich der Enkel ja auch beruft für seine Qualifikation. Er ist verbunden, hat Verbindungen mit der europäischen Verlagsanstalt Axel Rütters in Hamburg, das ist ja kein reiner, auf Profit gestellter Landen, sondern hat seinerseits eine große Tradition wie der Suhrkamp-Verlag. Also die Substanz müsste da sein, und ich denke, vieles ist auch Trotz, an der Sprache und Demütigung und Beeinträchtigung und Bloßstellung, die aus seinen Worten spricht.

Kassel: Sehen Sie es denn, Herr Muschg, tatsächlich ausschließlich als persönliches – wenn wir so wollen –, menschliches Problem zwischen Barlach und Unseld-Berkéwicz, oder ist es nicht doch mehr? Denn es gibt ja auch Leute, die sagen, Barlach könne einfach mit dieser Suhrkamp-Kultur, für die Frau Berkéwicz ja irgendwie immer noch steht, nichts anfangen.

Muschg: Ja, wissen Sie, die Suhrkamp-Kultur ist ja eine historische Größe, sie ist Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte, der Suhrkamp-Verlag ist die Gründung eines kriegsgeschädigten Intellektuellen, der den Fischer-Verlag, den sogenannten arisierten, unter eigenem Namen weitergeführt hat, treuhänderisch, und dafür in die bekannten Konflikte geraten ist. Es ist dann das Werk, die Fortsetzung des Werks ist diejenige eines Kriegsheimkehrers, des jungen Siegfried Unseld, der seinen Hesse gewissermaßen in den Tiefen Russlands gelesen hat und zu der Generation gehörte, die sagte, so nie wieder, und eine Antwort suchte auf das wie denn.

Und dieser Suhrkamp-Verlag war eigentlich, wenn man so will, nicht nur der Anschluss Deutschlands oder der Wiederanschluss an Goethes Weltliteratur, an die kosmopolitische Szene, er hat diese Szene auch mitbestimmt, und er hat nachgeholt, was in Deutschland ein paar Jahrzehnte oder Jahre gefehlt hat, nämlich einen kritischen und selbstkritischen Diskurs. Es war nachgeholte Aufklärung. Das alles ist eine unglaubliche Errungenschaft. Und jetzt ohne dass man auf Charaktere dieses Stücks zu sprechen kommt im Einzelnen, sie ist offenbar nicht beliebig transferierbar in die Sphäre der Globalisierung, die wir seither haben.

Die Währung, die damals gegolten hat, diese Errungenschaft, die man gewissermaßen oder wirklich mit Blut bezahlt hat und für die einem jedes Opfer recht war, das ist der Logik der Ökonomie gewichen. Der ist auch der Suhrkamp-Verlag -bei allen internen Intrigen, und was da alles zu einer solchen Oper gehört abgesehen - der ist auch der Suhrkamp-Verlag nicht entgangen. Als Ulla Unseld-Berkéwicz nach Berlin umzog, musste sie gewissermaßen das Tafelsilber liquidieren, den Standort Frankfurt, sie musste die Teilnehmer, die Teilhaber beanspruchen und hat gewissermaßen selbst die Büchse der Pandora geöffnet.

Sie musste sie öffnen, um in Berlin so etwas wie eine Suhrkamp-Kultur wieder aufzuziehen. Und vielleicht ist in der Tat ein geschichtlicher Fluch darüber, dass eine Kultur dieser Art, wie sie in den 60er-, 70er-, 80er-Jahren möglich war, nicht mehr möglich ist.

Kassel: Aber Herr Muschg, was Sie gerade gesagt haben, kann man vielleicht natürlich verkürzt und damit auch nicht mehr komplett wiedergegeben aber auch so ausdrücken: Der Suhrkamp-Verlag war eine, vielleicht sogar die literarische Institution der alten Bundesrepublik, aber die alte Bundesrepublik gibt es ja nicht mehr. Wenn man das zu Ende denkt, wäre es dann wirklich so schlimm, wenn es auch den Suhrkamp-Verlag nicht mehr gäbe?

Muschg: Ja, es wäre ganz schlimm, weil es ist ein Stück Geschichte – die Geschichte, der neuen, vergrößerten Bundesrepublik ist ja auch eine Fortsetzung einer Geschichte der alten. Und wenn man so will, ist das die Chance des vereinigten Deutschland, auch die kulturelle Chance, ist eine Fortschreibung der westdeutschen und der ostdeutschen Prämissen zusammen, und das hat ja auch so und so viele Autoren, große Autoren – ich nenne nur die kontroverse Christa Wolf – aus der ehemaligen DDR gegeben, die Suhrkamp-Autoren geworden sind. Also Volker Braun, und so weiter, das ist nicht von heute.

Und diesen Diskurs hat der Verlag gepflegt, er ist gewissermaßen durch die Geschichte der Globalisierung ad absurdum geführt worden, und er teilt, wenn man so will, das Schicksal der europäischen Idee, die heute auch in kleiner Münze ausgerechnet wird. Sobald man nicht mehr bereit ist, Opfer und auch Solidarität als Wert zu betrachten, ist jeder Verlust immer zu teuer, jeder monetäre Verlust. Und dieser Logik wird jetzt der Suhrkamp-Verlag unter der jetzigen Geschäftsführung unerbittlich unterworfen, und er kann sagen, auf dem Hintergrund seiner Geschichte hat er diesen Angriff nicht verdient.

Aber die Frage ist jetzt, wie man unter den Bedingungen der Globalisierung einen Verlag, der diese Geschichte hat und so viel bedeutet, davor bewahrt, nichts mehr zu bedeuten. Und da müssen Autoren – ob sie gegenwärtige oder frühere sind – daran mitwirken, da hilft nichts.

Kassel: Wir reden heute Vormittag hier im Deutschlandradio Kultur im "Radiofeuilleton" mit dem ehemaligen Suhrkamp-Autor Adolf Muschg über die Zukunft des Verlages. Und Herr Muschg, sie haben ja angefangen dieses Gespräch mit dem Vorschlag, der Bundespräsident Joachim Gauck sollte als – ich sage mal – Mediator, als Schlichter, als Verhandlungsführer, die Situation ein bisschen vereinfachen zwischen den beiden Gesellschaftern, die sich nun seit Jahren streiten, diese Gerichtsprozesse sind ja nur ein vorläufiger Höhepunkt. wenn wir diese Idee noch mal aufgreifen dürfen, Herr Muschg, wie schnell muss denn das passieren? Denn immerhin, ich habe es erwähnt, im Februar ist das nächste Gerichtsverfahren anhänglich.

Muschg: Also ich sehe die Fortsetzung der Prozesse selbst bereits für ein Todeszeichen des Verlags an, denn man kann ja sich ungefähr vorstellen, was das bedeutet. Es bedeutet, dass der Kredit ununterbrochen weiter geschädigt wird, dass der Diskurs auf dieser ökonomisch-monetären Ebene kein Ende nimmt, auch ohne Perspektive bleibt – die Autoren werden das nicht unbeschränkt mithalten. Es muss gewissermaßen eine neue Ebene gefunden werden, auf der das Problem sich auch neu verhandeln lässt.

So, wie jetzt in dieser eingefrorenen Situation, in dieser Schützengrabensituation ist nichts zu machen, die ist per se gewissermaßen eine Garantie für den schlechten Ausgang, es muss rasch geschehen. Was immer geschieht, es muss bald geschehen, und es muss von einem unverdächtigen Zeugen und zugleich einem, der einigermaßen erhaben ist über das Kleinklein der Politik und auch über die berechtigten oder unberechtigten Hickhacks der Juristen, vorgenommen werden.

Der Name des Bundespräsidenten ist mir eingefallen, ich könnte mir auch jemand anderes vorstellen, der der Literatur nahesteht, aber nicht verdächtig ist, der einen oder anderen Partei anzugehören, und der sagt, hört mal, hier gilt es eine Errungenschaft zu richten, jetzt macht mal.

Kassel: Sagt der Schweizer Autor und ehemalige Suhrkamp-Autor Adolf Muschg. Herr Muschg, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch und wünsche Ihnen trotz dieses Themas einen schönen Tag!

Muschg: Ja, ich danke Ihnen auch!

Kassel: Wiederhören!

Muschg: Ja, auf Wiederhören!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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