Südtiroler Volkspartei fordert neues Wahlrecht

Moderation: Marie Sagenschneider · 25.01.2008
Nach der Rücktrittserklärung von Ministerpräsident Romano Prodi hat sich die Südtiroler Volkspartei (SVP) für eine Wahlrechtsreform in Italien ausgesprochen. Um den Einfluss der kleinen Parteien zu beschränken, müsse eine Prozenthürde eingeführt werden, sagte SVP-Sprecher Siegfried Brugger.
Marie Sagenschneider: Mit nur 25.000 Stimmen Vorsprung hatte das Bündnis von Romano Prodi vor 20 Monaten die Parlamentswahlen in Italien gewonnen. Ein denkbar knapper Vorsprung für ein Bündnis aus neun Parteien. Und viele hatten ja gleich von Beginn an gesagt, es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese Koalition scheitert. Tatsächlich war die gut eineinhalbjährige Regierungszeit Prodis geprägt von Instabilität, Rücktrittsdrohungen und Vertrauensabstimmungen. Die 32. Vertrauensabstimmung stand gestern auf der Agenda im Senat, der zweiten Kammer des Parlaments, in der Prodi die Mehrheit abhanden gekommen war. Zurückerlangt hat er sie nicht. Am Ende fehlten ihm sechs Stimmen. Am Abend noch hat Prodi seinen Rücktritt eingereicht. Und nun? Wie geht es weiter in Italien? – Darüber wollen wir nun hier im Deutschlandradio Kultur mit Siegfried Brugger sprechen. Er ist der Sprecher der SVP, der Südtiroler Volkspartei im römischen Parlament. Guten Morgen Herr Brugger!

Siegfried Brugger: Guten Morgen!

Sagenschneider: Ihre Partei gehört oder gehörte nicht zu Prodis Bündnis, aber Sie haben ihn immer unterstützt, hatten ein Wahlbündnis mit ihm. Hatten Sie gehofft, dass er die Vertrauensfrage doch noch zu seinen Gunsten entscheiden würde?

Brugger: Wir haben natürlich gehofft, dass Prodi nochmals die Kurve kratzen kann, denn Prodi hat in den letzten Monaten ja eigentlich gute Arbeit geleistet. Ihm ist trotz dieser bunten Mehrheit das gelungen, was Berlusconi vor ihm nicht gemacht hat, nämlich den Staat zu sanieren, die Maastricht-Kriterien wieder einzuhalten. Wir haben aber wie gesagt außer einer kleinen Hoffnung gestern nicht viel anderes gehabt, denn letztlich wussten wir, dass die Stimmen nicht mehr da sein konnten und so ist es auch gekommen.

Sagenschneider: Die Entscheidung darüber, wie es jetzt weitergeht, die liegt bei Präsident Napolitano. Er sondiert, ob es eine Übergangsregierung oder Neuwahlen gibt. Was würden Sie ihm empfehlen?

Brugger: Natürlich, dass es eine Übergangsregierung gibt, und zwar eine Übergangsregierung, die auf jeden Fall ein neues Wahlrecht beschließt oder eine Mehrheit im Parlament, die ein neues Wahlrecht beschließt, denn mit diesem letzten Wahlrecht wird es nie stabile Verhältnisse geben, denn dieses Wahlrecht – seinerzeit von Berlusconi ausgeklügelt – ist danach ausgerichtet, dass es zwei verschiedene Mehrheiten gibt, in Kammer und Senat. Und wenn man jetzt wählen würde, ohne dieses Gesetz zu ändern, dann würde man wahrscheinlich in ein paar Jahren spätestens und vielleicht auch früher genau in derselben Situation sein, selbst wenn, wie es aussieht, Berlusconi die Wahlen derzeit haushoch gewinnen würde.

Sagenschneider: Aber würde eine Übergangsregierung die Wahlrechtsreform tatsächlich hin bekommen, denn es ist ja klar: ob unter Prodi oder nicht, jede Regierung hätte ein Problem, den kleineren Parteien plausibel zu machen, dass sie dann das Nachsehen hätten.

Brugger: Sicher, aber eine Wahlrechtsreform hätte gerade für die größeren Parteien einen Vorteil, weil es wie gesagt mehr Stabilität geben würde, und die Wahlrechtsreform würde ja nicht ganz einschneidend sein. Die kleinen Parteien würden nicht alle verschwinden, aber man würde endlich eine Prozenthürde einführen. Man denkt ja an ein System, ein Wahlmodell, das ähnlich des deutschen Wahlsystems ist, und das würde auch für die italienischen Verhältnisse besser passen als ein Zwei-Parteien-System, wie es ja vor zehn Jahren angedacht wurde und auch nicht durchgeführt werden konnte. Insofern glaube ich schon, dass sehr viele Parteien eigentlich bereit wären, ein neues Wahlmodell zu verabschieden.

Sagenschneider: Und die Italiener würden ihre alten italienischen Verhältnisse dann nicht vermissen?

Brugger: Natürlich, aber man kann auch mit einem deutschen Modell durchaus italienische Verhältnisse kombinieren und Sie wissen ja, wie kreativ Italien manchmal sein kann – manchmal zum Positiven, sehr oft zum Negativen, was Politik betrifft. Das eigentliche Problem ist ja, dass Italien einfach nicht so einen ausgeprägten Staatssinn hat, wie es vielleicht andere Länder in Europa haben, und die Institutionen nicht als so wichtig empfunden werden. Wir haben gesehen: viele Umfragen in den letzten Tagen haben gezeigt, dass das Vertrauen der Bürger nicht nur in die Regierung, auch in andere Institutionen sehr gering ist. Das wird natürlich immer ein Problem bleiben, egal welches Wahlgesetz ist. Nur ein besseres als das jetzige, das ist machbar und ich hoffe schon, dass wir dazu noch kommen. Das ist heute allerdings noch in den Sternen. Das kann man wirklich nicht voraussagen, denn das würde voraussetzen, dass zumindest die großen Parteien von links und von rechts dazu stehen würden. Wie wir auch gestern noch Berlusconi gehört haben: er möchte Neuwahlen und er möchte kein neues Wahlgesetz. Somit ist eigentlich der Spielraum für den Staatspräsidenten sehr, sehr gering.

Sagenschneider: Das heißt, die wahrscheinliche Variante ist, dass es zu Neuwahlen kommt?

Brugger: Die Variante würde ich sagen besteht gar nicht, denn es wird ganz sicher zu Neuwahlen kommen. Die Frage stellt sich nur noch unter welchen Voraussetzungen, das heißt wann. Wir können davon ausgehen, ohne einem anderen Wahlgesetz würden wir wahrscheinlich schon im April oder Anfang Mai Neuwahlen machen. Wenn wir im Stande sind, ein neues Wahlgesetz zu verabschieden, so wählen wir im Juni. Im Herbst kann man ja in Italien nicht wählen, denn dort ist die Haushaltsdebatte, das Budget zu verabschieden und es gibt ein ungeschriebenes Gesetz, dass Regierungskrisen und Neuwahlen immer im ersten Halbjahr durchgeführt werden, so wie es auch dieses Mal natürlich der Fall war.

Sagenschneider: Nach den aktuellen Umfragen, Herr Brugger, würde Silvio Berlusconi ja bei Neuwahlen eine gute dritte Chance haben, Ministerpräsident zu werden. Erklären Sie uns das. Wieso haben die Italiener immer noch nicht die Nase voll von Berlusconi?

Brugger: Das ist eine spannende Frage, die eigentlich nur die Italiener selber beantworten können. Auch ich tu mich schwer, denn als Südtiroler bin ich ja sozusagen eine Minderheit in Italien und kann mich auch manchmal mit der Mentalität, obwohl ich seit vielen Jahren in Rom im Parlament sitze, nicht immer anfreunden. Es ist einfach so: Prodi war ein seriöser Politiker, ist es heute auch noch, hat eine wirklich strenge Regierung zu führen versucht. Er wollte den Haushalt sanieren. Er wollte Italien nach vorne bringen, europa-fitt machen. Berlusconi verspricht ganz etwas anderes. Berlusconi verspricht dem einzelnen Bürger mit viel Populismus und mit viel Demagogie, dass er die Steuern senkt für den einzelnen, dass er alles das macht, was dem kleinen Mann auf der Straße zumindest mal gefällt. Er kümmert sich weniger um die großen Staatsgeschäfte und insofern hat er dann immer einen interessanten Zuspruch. Er repräsentiert ja als Person weit mehr den Durchschnittsitaliener, der immer wieder da und dort Schlupflöcher sucht und auch findet und so in den Tag hinein lebt und hinein regiert. Das hat wie gesagt auch etwas mit Mentalität zu tun. Und er hat – das muss man auch sagen – in den letzten Jahren immer den Süden Italiens, was ja eine ganz eigene Republik ist, gut kontrolliert. Letztlich hat natürlich der Süden viel Bevölkerung und viele Stimmen. Insofern ist es ihm halt immer wieder gelungen und es könnte ihm auch dieses Mal ganz gut gelingen.