Süchtig nach Mohnbrötchen?

Von Udo Pollmer · 30.08.2009
Das Ereignis liegt schon ein wenig zurück. Im Jahre 2005 wurde ein Säugling nach dem Konsum eines handelsüblichen Lebensmittels auf die Intensivstation eingeliefert. Die Maßnahmen der Behörden ließen nicht lange auf sich warten. Sie wollten verhindern, dass sich ein solcher Fall wiederholt.
Was war passiert? Eine Mutter wollte ihren Säugling besser durchschlafen lassen. In einem Buch mit Backrezepten hatte sie ein altes Hausmittel entdeckt, nämlich Milch, in der Speisemohn aufgekocht wurde. Das Getränk wirkte allerdings stärker als gedacht. Als das Kind komatös wurde, rief die verzweifelte Mutter der Notarzt. Ursache war das darin enthaltene Morphium. Der Mohn hatte durch einen dummen Zufall die abenteuerliche Dosis von 1000 mg/kg enthalten. Für Erwachsene sind bereits 200 Milligramm tödlich.

Werden wir durch Mohnstriezel zu Morphnisten oder war das ein Messfehler? Nein, es war ein dummer Zufall. Aber dazu muss man erklären, was es an Mohn gibt, und wie er gewonnen wird. Der Mohn hat zwei Gesichter: Das eine ist der Schlafmohn, dessen Milchsaft das Opium liefert, der das Morphium enthält. Der illegale Markt wird heute fast exklusiv von Afghanistan beliefert. Und das zweite ist der Speisemohn, der sogenannte Blaumohn.

Das ist also im Grunde dasselbe? Ja. Die Sorten mit wenig Morphium dienen zur Gewinnung von Speisemohn, die anderen Sorten derselben Pflanzenart zur Herstellung von Arzneimitteln oder als illegale Droge ...

... Und da wurde Mohn aus irgendwelchen Drogenlabors geliefert? Nicht ganz. Denn die reifen Samen sämtlicher Schlafmohnsorten sind ebenfalls praktisch frei von Drogen. Aber wenn sie unreif geerntet werden und die Kapseln aufgequetscht werden, um an die Mohnsaat zu kommen, dann kann mit dem Milchsaft Opium in den Speisemohn geraten. Dummerweise lässt sich das kaum vermeiden, da immer einige Mohnpflanzen auf dem Feld zum Zeitpunkt der Ernte noch nicht vollständig ausgereift sind. Genau das traf auf den Mohn zu, den die ahnungslosen Mutter aufkochte: Er stammte nicht aus Afghanistan, sondern aus Australien und noch dazu von morphinreichem Mohn, der ganz legal zur Arzneistoffgewinnung angebaut worden war.

Was will oder kann man dagegen unternehmen? Na ja, man verbietet das erst mal. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) setzte für Mohn einfach einen Grenzwert von 4 mg/kg Morphin fest. Wenn sich nun irgendwo auf der Welt irgendein Klümpchen Rohopium in den Mohn verirrt, ist der deutsche Großhändler schuld und kann bestraft werden. Aber da ist noch etwas: Der Wert ist so niedrig angesetzt, dass er von dem ganz normalen bisher üblichen Speisemohn regelmäßig überschritten wurde. Seither kriegen wir keinen echten Mohn mehr zu kaufen, sondern nur noch vorbehandelte Ware. Sie wird mit heißem Wasser gewaschen, gedämpft und getrocknet.

Sie halten die klare Reaktion des BfR also für übertrieben? Standen bisher vor unseren Bäckereien verstörte Gestalten, die auf ihren "Stoff" warteten? Bisher ging weder von Mohnbrötchen noch von Mohnstollen irgendeine Gefahr aus - solange im Haushalt keine Extrakte für Säuglinge gewonnen werden. In den Mohnpasten, die unsere Bäcker verwendet haben, war eh nix mehr drin.

Dann essen wir in Zukunft halt opiumreduzierte Mohnschrippen und erfreuen uns beim Ausflug dafür am knallroten Klatschmohn auf den Feldern unserer Biobauern. Richtig! Der Klatschmohn wäre für das Bundesinstitut weit ergiebiger. Obgleich er kein Morphium enthält, wurde er traditionell als Opiumersatz genutzt. Bei niedrigen Dosen wirkt er auch schmerzstillend und beruhigend, bei höheren Dosen kam es des Öfteren zu Vergiftungen. Bei Kindern reicht dafür eine Kapsel vollkommen aus. Da ist halt kein Morphium drin, sondern ein paar andere Gifte. Verbieten kann man das Ackerunkraut schlecht, denn dann müsste das ganze Land großflächig Jahr für Jahr per Flugzeug mit Herbiziden eingenebelt werden.

Literatur:
Bundesinstitut für Risikobewertung: Backmohn ist kein Schlafmittel für Säuglinge. Pressemitteilung 12/2005
Bundesinstitut für Risikobewertung: Erhöhte Morphingehalte in Mohnsamen: Gesundheitsrisiko nicht ausgeschlossen. Pressemitteilung 05/2006
Perz RC et al: Opiate in Speisemohn – ein Problem der Globalisierung des Handels? Deutsche Lebensmittel-Rundschau 2007; 103: 193-196
Sproll C, Lachenmeier DW: Morphingehalte im Mohn und deren Auswirkung auf die Lebensmittelherstellung. Lebensmittelchemie 2007; 61: 73-104
Alberts A, Mullen P: Psychoaktive Pflanzen, Pilze und Tiere. Frankh-Kosmos, Stuttgart 2000
General J, Kniel B: Reduzierung von Morphin in Mohnsamen und Mohngebäcken mit praktikablen technologischen Maßnahmen. bmi aktuell 2006 (H.3) S.6-8
Hänsel R, Sticher O: Pharmakognosie Phytopharmazie. Springer, Heidelberg 2007
Roth L et al: Giftpflanzen – Pflanzengifte. Ecomed, Landsberg/L. 1984