"Süchtig" nach Luft

Ernst Elitz im Gespräch mit Katrin Heise |
Für Friedrich Luft, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre, war Theater nichts Elitäres. Er wollte Menschen aller Bildungsschichten für die Bühne begeistern - und tat es in einer nahezu atemlosen Vortragsweise, mit der er auch Ernst Elitz schon früh in seinen Bann schlug.
Katrin Heise: "Das Theater singt – wir geben Echo" so verstand Friedrich Luft seinen Beruf als Theaterkritiker. Er, der heute vor 100 Jahren in Berlin geworden wurde, infizierte sich früh mit der Theaterleidenschaft: Sein Vater, ein Studienrat, nahm ihn schon als Achtjährigen mit ins Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, als dort mit Leopold Jessner der Expressionismus auf die Bühne drängte und das Publikum unter Gebrüll den Saal verlassen hat. Auf diese, wie er sagte, wilde Theatererfahrung führte Luft zurück, dass er Jahrzehnte später Theaterkritiker werden sollte. Johanna Herzing stellt uns den Kritiker Friedrich Luft vor – oder lässt ihn sich selber vorstellen.

Friedrich Luft, den Theaterkritiker stellte uns Johanna Herzing vor. Einer, der ihm begeistert zugehört hat von Jugend an und heute, am 100. Geburtstag, eine Gedenktafel an unserem Funkhaus, also dem ehemaligen Arbeitsplatz von Friedrich Luft, enthüllen wird, das ist Ernst Elitz, Gründungsintendant des Deutschlandradios. Schönen guten Tag, Herr Elitz, schön, dass Sie Zeit haben!

Ernst Elitz: Einen schönen guten Tag!

Heise: Was hat Sie denn so begeistert an Friedrich Luft? Sie haben mir verraten, dass Sie ihn verehrt haben.

Elitz: Ja, ich bin damals Schüler gewesen, als ich ihn das erste Mal gehört habe, und wer ihn dann einmal gehört hat, wurde süchtig, der hat jeden Sonntag um 11.45 Uhr den RIAS eingeschaltet. Er hat so leidenschaftlich über das Theater gesprochen, dass man schon eine große Widerstandskraft beweisen musste, um ihm nicht zu folgen und um das nicht als eine Aufforderung zu betrachten, ins Theater zu gehen. Und so hat er seine Arbeit auch gesehen: Er wollte die Menschen fürs Theater begeistern. Deshalb hat er keine großen Verrisse abgeliefert – er hat klar seine Meinung gesagt, aber auch dann spürte man die Liebe zum Theater. Er wollte, dass die Leute ins Theater drängen und sich selber ein Urteil bilden, berührt sind, dass sie sich amüsieren wie Bolle, dass sie leidenschaftlich eine Geschichte verfolgen, dass sie mit den Menschen mitleiden, die dort auf der Bühne stehen. Das war für ihn Theater.

Heise: Was hat ihn zur Legende gemacht? Denn er war ja so was wie eine Legende. War das sein Redestil oder war das diese Leidenschaft?

Elitz: Das war sein … Es war einmal seine Grundhaltung, die Leidenschaft fürs Theater, die er gar nicht verbergen konnte, und er hat so atemlos gesprochen, das ist ja eines seiner Markenzeichen gewesen, wie wir es in dem Einspieler eben auch gehört haben. Er hat so leidenschaftlich und so atemlos gesprochen, weil das Theater ihn so bewegt hat, es war so aufregend. Da musste man atemlos drüber berichten. Und er hat in einer einfachen Sprache gesprochen. Er war schnoddrig, er hat mit Berliner Witz gesprochen, er war ja ein Berliner Junge aus Berlin-Friedenau, und das hat sich natürlich eingeprägt. Er hat eine Theaterkritik damit begonnen, dass er gesagt hat: Das war heute aber nichts für die Heilsarmee. Oder er hat gesagt: Das war toll, das war knorke – und damit hatte er schon eine Stimmung geschaffen, dass man dann begeistert zugehört hat. Und heute würde man ihn wahrscheinlich als einen Popkritiker bezeichnen, weil er im Volk so beliebt und berühmt war. Fragen Sie mal heute Ihren Frisör, ob er einen Theaterkritiker kennt – null, der wird keinen Theaterkritiker kennen, vielleicht erinnert er sich noch an Friedrich Luft.

Heise: Ja, das heißt, er hat es tatsächlich geschafft, auch Bildungsgrenzen einzureißen, und für ihn war dann offenbar das Theater auch keine elitäre Veranstaltung, er wollte tatsächlich jeden da reinlocken?

Elitz: Er wollte jeden hereinlocken. Für ihn war Theater auch hauptsächlich Spiel und nicht das Verkünden einer Botschaft, es war Spiel, es sollte begeistern und mitreißen. Und er hat immer gesagt, Theater, Kunst überhaupt – er hat ja auch Kunstgeschichte studiert – ist kein Konsolenmonstrum, kein Konsolenschmuck für das bildungsbürgerliche Vertiko, und mit den Klugscheißern, hat er mal gesagt, zu dieser Liga gehört er nicht, sondern er hat jeden angesprochen, hat er auch immer gesagt: Ich will meinen Schuster an der Ecke, den will ich genauso erreichen wie den Oberstudienrat in Wilmersdorf.

Heise: Berühmt waren ja die Theaterkritiker Herbert Ihering und Alfred Kerr, die beiden haben die Kritik ja vor dem Zweiten Weltkrieg geprägt, aber die machten mit ihren Kritiken in gewisser Weise auch Kulturpolitik, also hatten das ja …

Elitz: Ja, also Kerr hat sich ja selber als Künstler betrachtet – für ihn war es wichtiger, wie er rüberkommt und was für tolle Formulierungen er wählt, und Ihering hat sich so als der Oberchefdramaturg der Weimarer Republik betrachtet. Und das war nicht sein Ding. Er wollte dem Theater dienen und nicht sich selber.

Heise: Wobei er ja auch mal, also in der Zeit nach 1950 war es auf jeden Fall, da hat er doch in Ostberlin tatsächlich einem Regisseur mal ins Handwerk pfuschen wollen.

Elitz: Ja, also er war durch die Nazizeit eben auch geprägt, ein Mensch, der keine Ideologien wollte, der nicht mit einer Ideologie gestempelte Stücke auf der Bühne sehen wollte. Und in der Zeit vor der Mauer, wo er noch grundsätzlich auch in die Ostberliner Theater ging, hat er mal Langhoff, den damaligen Intendanten des Deutschen Theaters, aufgesucht und wollte ihn überzeugen, dass er ein Propagandastück – weil das so hundsmiserabel war – nicht aufführt. Er wollte auch ein bisschen Theaterpolitik machen, aber aus seiner ganz persönlichen Überzeugung. Und das ist natürlich nicht gelungen, aber ein paar Stunden, nachdem er dann wieder in Westberlin war – damals waren die Grenzen ja voll offen, er war damals auch bei der "Neuen Zeitung", einer amerikanischen deutschsprachigen Zeitung, da wurde er sofort von seinem Redaktionsleiter reingerufen und der hat ihm gesagt, also was Sie da gemacht haben, Herr Luft, das war aber nicht so gut, und er war informiert über dieses Gespräch bei Langhoff.

Heise: Der wusste davon?

Elitz: Das lag daran, das konnte ein so naiver theaterbegeisterter Mann wie Luft nicht wissen, dass die Alliierten natürlich gegenseitig ihre Telefone abhörten und man wusste, was er da versucht hat, und seitdem ist er nur noch ins Theater gegangen und hat sich mehr um Bühnenpolitik gekümmert.

Heise: Ernst Elitz erinnert sich im Deutschlandradio Kultur an den Theaterkritiker Friedrich Luft. Herr Elitz, das, was Sie gerade eben gesagt haben, er hat dann nur noch Kultur gemacht – das stelle ich mir auch relativ schwierig vor in einer konfrontativen Stadt wie Berlin, oder? Das knackte da ja an jeder Stelle.

Elitz: Ja, es gab natürlich immer wieder Ansätze, er wollte, dass das Theater Spiel bleibt, und er wollte nicht, dass es die Abbildung politischer Ideologien ist, das haben wir ja auch eben an diesem einen Beispiel gesehen. Und da war er dann immer sehr empfindlich. Er war ein großer Anhänger der Schaubühne am Halleschen Ufer, war es damals noch, mit Stein als dem Chef, dem Initiator, und da gab es auch immer mal so ideologische Einsprengsel und Versuchungen, da hat man dann Vietcong-Stücke gemacht und hat im Theater für den Vietcong gesammelt – also das ging ihm, wie er sagen würde, auf den Senkel. Und da hat er auch seiner Meinung deutlich Ausdruck gegeben. Aber die künstlerischen Leistungen der Schaubühne am Halleschen Ufer und gerade auch die Regiepersönlichkeit Stein, die hat er verehrt und immer gelobt.

Heise: Könnten Sie sich vorstellen, jemanden wie Friedrich Luft in einer Welt, die wir heute haben, die ins Extreme ja doch immer wieder geht oder da hinschielt, könnte er heute noch bestehen?

Elitz: Ja, würde er wahrscheinlich, weil er einen eigenen Stil hatte, weil er sehr volkstümlich gesprochen hat und eben nicht das Kritikerdeutsch, was ja häufig dem Dramaturgendeutsch ähnelt, … nicht gesprochen hätte, und weil er eben bewusst gesagt hat: Ich will – das ist ja fast ein Boulevard-Ansatz gewesen, den er gehabt hat – ich will alle erreichen, ich will Millionen erreichen und nicht nur die Leser des Feuilletons.

Heise: Sie enthüllen heute an Friedrich Lufts 100. Geburtstag eine Gedenktafel hier am Haus, eben seinem Arbeitsplatz, Sie sind auch in der Jury des Friedrich-Luft-Preises – das heißt, also das, was Friedrich Luft darstellt, das soll nicht nur in Erinnerung bleiben, sondern weitergetragen werden?

Elitz: Ja, das ist ja eine Initiative des Berliner Senats. Es gibt an vielen Häusern – wenn man durch die Stadt geht, sieht man das ja – Hinweise darauf, wer hier gelebt hat, wer hier gearbeitet hat, von Wissenschaftlern, von Künstlern, von Politikern, und so finde ich, es ist eine sehr schöne Geste, dass man an diesem Haus, das so lange sein Arbeitsplatz war, zumindest immer um 11.45 Uhr an jedem Sonntag, dass jeder, der hier vorbeikommt und der dieses Haus betritt, an diesen großen deutschen Theaterkritiker erinnert wird.

Heise: Vielleicht seine Stimme dann auch noch mal im Ohr hat. Ernst Elitz, Gründungsintendant des Deutschlandradios, würdigte im "Radiofeuilleton" die Kritikerlegende Friedrich Luft. Vielen Dank, Herr Elitz, für Ihren Besuch!

Elitz: Danke schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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Kalenderblatt: Liebe zum Sinnlichen und Poetischen - Vor 20 Jahren verstarb Theaterkritiker Friedrich Luft
Ernst Elitz, Intendant Deutschlandradio
Ernst Elitz war schon als Schüler "süchtig" nach den Theaterkritiken von Friedrich Luft© Deutschlandradio - Bettina Straub
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