Sudan-Experte zweifelt Opferzahlen in Darfur an

Der Geoarchäologe und Sudan-Experte Stefan Kröpelin von der Universität Köln hat die Angaben von 200.000 bis 400.000 Opfern im Darfur-Konflikt infrage gestellt. Obwohl er die Region sehr oft bereist habe und sehr viele Menschen von dort kenne, sei ihm bisher kein systematischer Beweis dafür bekannt geworden, sagte Kröpelin im Deutschlandradio Kultur.
Weder gebe es systematische Luftaufnahmen noch fotografische Belege oder Opferzählungen vor Ort. "Selbstverständlich kommt es in so einem Konflikt zu Tausenden, vielleicht Zehntausenden Toten. Aber das macht immer noch einen Unterschied, ob die immer wieder wiederholten 200.000 bis 400.000 Opfer zu beklagen sind oder ob es doch wesentlich weniger sind. … Ich gehe davon aus, dass man heutzutage nicht Hunderttausende Menschen ermorden kann ohne irgendwelche fotografischen oder anderen sicheren Beweise."

Seiner Meinung nach ist der Konflikt von den USA im Kampf mit dem Global Player China instrumentalisiert worden. In der afrikanischen Kolonialgeschichte sei es immer um Rohstoffe gegangen. Inzwischen sei es sicher, dass es im Süddarfur erhebliche Erdölreserven gebe. Absicht der USA sei es wohl, dass eine autonome Republik Darfur entstehe, von der man eher Verträge bekomme und von der aus man das Öl schnell zum Atlantik und in die USA transportieren könne. "Ich fürchte, dass wirtschaftlich und militärisch-strategische Interessen im Kampf westlicher Länder und vor allem der USA gegen China im Vordergrund stehen und nicht das Schicksal der Darfur-Bewohner."

Kröpelin kritisierte, für den Konflikt werde zu einseitig die sudanesische Regierung verantwortlich gemacht. Der Konflikt sei extrem unübersichtlich: "In Darfur gibt es über 80 Stämme, die in unzählige Clans zerfallen sind, die sich alle nicht besonders grün sind". In den vergangenen Jahren sei eine Unzahl von Kleinfeuerwaffen in das Gebiet gebracht worden. Wenn es heute Opfer gebe, könne keiner mehr genau sagen, ob die Regierungsseite, Rebellengruppen oder "ganz normalen Räuber" daran schuld seien.

Der Konflikt werde außerdem auf einen Kampf von Arabern gegen Afrikaner verkürzt, um ihn verständlich zu machen. Tatsächlich gehe es aber um einen Konflikt zwischen Tierzüchtern, zu denen vor allem Araber zählten, und Feldbauern, die sich eher Afrikaner nennen würden. Es sei ein seit Jahrtausenden angelegter Konflikt zwischen Sesshaften und Nomaden, der aufgrund einer Bevölkerungsexplosion in den vergangenen Jahrzehnten eskaliert sei. Die Bevölkerung habe sich seit Ende der fünfziger Jahre von einer auf sieben Millionen erhöht. "Das ist in einem Gebiet, das eine sehr begrenzte Tragfähigkeit hat, das Hauptproblem", sagte Kröpelin. Die "erbärmlichen Lebensbedingungen" habe es auch schon vor 20 Jahren gegeben und seien nicht erst durch den Konflikt entstanden.

Kröpelin warnte, die wahren Probleme stünden erst noch bevor, wenn die Flüchtlingslager aufgegeben würden. "Dann werden die Camp-Bewohner merken, dass in einem Großteil ihrer Siedlungsgebiete inzwischen andere Menschen leben. Dann ist die Frage, wo will man Millionen von Menschen neu ansiedeln."

Am unsinnigsten sei es, noch mehr Militär dorthin zu schicken. Das koste Milliarden und werde vor Ort kaum etwas bewirken. Stattdessen sollten Nichtregierungsorganisationen mit der Regierung und den lokalen Einrichtungen den zivilen Aufbau voranbringen.

Kröpelin ist Leiter des Sudan-Forschungsprojektes an der Universität Köln.

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