Sudan

"Blut ist dicker als Taufwasser"

Die Auslandsbischöfin der Evangelischen Kirche, Petra Bosse-Huber, hier auf einer Archivaufnahme vom 14.01.2013, auf einer Pressekonferenz in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen). D
Die Auslandsbischöfin der Evangelischen Kirche, Petra Bosse-Huber © dpa / Marius Becker
Moderation: Philipp Gessler · 29.06.2014
Die Menschen im Sudan und im Südsudan leben in ständiger Gefahr. Auch um die Religionsfreiheit ist es nicht gut bestellt. Die Islamisierung schreite weiter voran, sagt Petra Bosse-Huber, die die beiden Länder in der vergangenen Woche besucht hat.
Philipp Gessler: Meriam Ibrahim, eine 27-jährige Sudanesin, hat weltweite Öffentlichkeit erlangt und viel gelitten. Ab dem Alter von sechs Jahren wurde sie als Christin erzogen, nachdem ihr muslimischer Vater ihre Mutter, die Christin war, verlassen hatte. Als erwachsene Frau heiratete sie einen US-Amerikaner sudanesischer Herkunft, einen Christen. Das gefiel einem Teil ihrer Familie nicht, weshalb man sie zusammen mit ihrem zwei Jahre alten Sohn Martin zur Polizei schleppte: Der Vorwurf: Abfall vom muslimischen Glauben, Apostasie. Dafür kann man im Sudan seit 1991 hingerichtet werden kann. Und Ehebruch als zweiter Vorwurf, weil in diesem afrikanischen Staat Ehen zwischen Christen und Muslimen verboten sind.
Tatsächlich wurde Meriam Ibrahim von einem Gericht wegen Abfall vom islamischen Glauben zu 100 Peitschenhieben verurteilt. Danach sollte sie hingerichtet werden. Sie bekam jedoch eine Gnadenfrist, denn sie war schwanger. Ihr zweites Kind, die gerade geborene Maya, brachte sie Ende Mai im Gefängnis zur Welt, in Fußfesseln übrigens. Doch Anfang der Woche kam sie überraschend frei. Sie wollte ausreisen. Aber am Flughafen von Khartum wurde sie wieder festgesetzt in dieser Woche. Angeblich stimmten ihre Ausreisepapiere nicht. Die EKD war mit einer Delegation in der vergangenen Woche im Sudan und im Südsudan, um sich auch über die Lage der Religionsfreiheit in beiden Ländern und das Schicksal von Meriam Ibrahim zu informieren.
Eine der Mitreisenden war die Auslandsbischöfin der Evangelischen Kirche in Deutschland, Petra Bosse-Huber. Mit der 55-Jährigen habe ich vor der Sendung ein Interview führen können. Meine erste Frage an sie war, warum die hochkarätige EKD-Reise geheim gehalten wurde.
Petra Bosse-Huber: Wir haben es vorher nicht veröffentlicht, das stimmt. Das hat mit der besonderen Sicherheitslage im Sudan und im Südsudan zu tun, dass so eine hochkarätige Delegation wie wir von der Evangelischen Kirche dann unterwegs in diesen Ländern in besonderer Weise auch gefährdet gewesen ist. Wir haben sehr bedauert, dass wir nicht vorher mehr Öffentlichkeitsarbeit machen konnten, aber das war dann auch diesem besonderen Reiseziel geschuldet und der Sicherheitssituation im Sudan und Südsudan.
Gessler: Konkret war die Angst, dass Sie entführt werden könnten?
Meriam Ibrahim und ihre frisch geborene Tochter - im Gefängnis
Meriam Ibrahim und ihre frisch geborene Tochter - im Gefängnis© dpa/epa/str
Bosse-Huber: Das ist eine der Möglichkeiten, die Sicherheitssituation ist hoch unsicher, es gibt immer wieder Attentate, natürlich nicht nur gegen Menschen, die als internationale Gäste kommen, sondern auch gegen die Zivilisten, die in den Ländern leben. Also, es gibt Bombenattentate, es gibt Entführungen, es gibt einfach insgesamt eine sehr desolate gesellschaftliche Situation. Und damit muss man einfach realistisch und nüchtern umgehen.
Gessler: Hatten Sie denn Personenschutz?
Bosse-Huber: Nein, den haben wir nicht haben wollen. Wir wollten natürlich auch geschützte Gespräche mit unseren kirchlichen Partnerinnen und Partnern führen und das geht nicht gut, wenn man mit solch einem Tross anreist. Deshalb haben wir uns entschieden, dass wir die etwas sichereren Plätze, nämlich die Hauptstädte besuchen, Juba und Khartum. Und dass wir dann aber auch in einem geschützten Raum mit Menschen reden können, wo es dann keine Öffentlichkeit gibt, sondern wo wirklich in großer Offenheit dann auch über die tatsächliche Situation vor Ort gesprochen wird.
Gessler: Hatten Sie denn irgendwann mal während der Reise den Eindruck, das ist jetzt eine brenzlige Situation?
Bosse-Huber: Wir sind insgesamt gut über diese Reise gekommen, aber es gab natürlich Situationen, wo wir uns auch gezielt Schwierigkeiten gegenüber sahen, die sicherlich nicht zufällig passiert sind. Wir hatten lange abgesprochene Besuche, hochkarätig, etwa beim Religionsminister vereinbart, wo dann ganz plötzlich Besuche abgesagt wurden, wir hatten große Schwierigkeiten bei diversen Einreisen auch von Delegationsmitgliedern, wo ich nicht glauben kann, dass das alles Zufall gewesen sein soll. Also, man merkt einfach, da gibt es immer wieder auch Einflussnahmen, mit denen man rechnet, aber die es natürlich nicht einfacher machen, so eine Reise durchzuführen.
Gessler: Jetzt ist ja gerade im Augenblick die Situation, dass weltweit viele Menschen bewegt und empört sind auch über den Fall der zum Tode verurteilten Christin Meriam Ibrahim. Sie kam Anfang dieser Woche frei, dann aber wegen angeblicher Urkundenfälschung doch wieder in Haft. Ist dieser Fall denn typisch für die Verfolgungen oder Drangsalierungen der Christinnen und Christen im Sudan?
„Die Islamisierung des Sudans schreitet offensiv voran"
Bosse-Huber: Das ist ein sehr zu Herzen gehendes Beispiel von Frau Meriam Ibrahim. Wir haben auch als Delegation versucht, in allen Gesprächen dieses Schicksal noch mal anzusprechen, so wie viele, viele andere internationale Organisationen und Regierungen auch, und das hat auch geholfen, denke ich, das hat zu dieser vorläufigen Entlassung geführt. Es gibt keine Rechtssicherheit für Christen und Christinnen im Sudan, sie sind eine kleine marginalisierte und tatsächlich auch verfolgte Minderheit. Die Islamisierung des Sudans schreitet offensiv voran und wird auch mit allen politischen Kräften betrieben. Und je weiter sich die internationale Öffentlichkeit zurückzieht aus dem Sudan, also Firmen gehen, Hilfswerke gehen, Journalisten sind nicht mehr vor Ort, umso ungeschützter sind natürlich diese Minderheiten auch solchen Übergriffen ausgesetzt. Und das sind wirklich Menschenrechtsverletzungen zum Teil auch der schlimmsten Sorte, die da passieren. Und Meriam Ibrahim ist sicherlich nur eine von vielen. Das Todesurteil ist es gewesen, was dann noch mal internationale Öffentlichkeit erregt hat, aber es gibt in Darfur oder am Blauen Nil oder in anderen Gebieten, wo dann noch Bürgerkrieg herrscht, fast überhaupt keinen Schutz mehr für solche Minderheiten.
Gessler: Der Sudan, Sie haben es gesagt, islamisiert sich ja offensichtlich immer weiter. Ist es bald für Christen zu gefährlich, zu Gottesdiensten zu gehen oder in irgendeiner Weise ihren Glauben öffentlich zu leben?
Bosse-Huber: Es wird zumindest immer schwieriger, das waren auch die Berichte von Christen und Christinnen, die wir getroffen haben. Die Islamisierung des Bildungssystems wird ganz konsequent durchgeführt, da ist überhaupt kein Platz für andere Religionen vorgesehen, die Ausübung der Religion etwa durch Gottesdienstbesuch oder die Möglichkeit, Weihnachten oder Ostern mit der Familie in die Kirche zu gehen, wird richtig systematisch unterbunden. Etwa Lehrer oder Menschen, die im öffentlichen Dienst sind, bekommen nicht mehr frei für christliche Feiertage, obwohl Religionsfreiheit auch zum Rechtsgut des Sudans gehört. Aber da ist an der Stelle die Scharia alltäglich derartig präsent, dass das immer weiter abgebaut wird. Es werden Kirchengebäude abgerissen, es werden Grundstücke beschlagnahmt, es werden Bibelschulen abgebrannt, also, es gibt das ganze Spektrum, Christen auch an der Ausübung ihrer Religion zu hindern. Und das ist sehr beunruhigend zu sehen. Denn die Gruppe derer, die noch im Sudan ist, wird auch immer kleiner, viele, viele Christinnen und Christen ertragen es auch nicht mehr und ziehen dann in den Südsudan in der Hoffnung, dass es da mehr Möglichkeiten gibt, ihre Religion auszuüben. Was natürlich unter der jetzigen Situation tatsächlich auch nicht möglich ist.
Gessler: Man hat in den vergangenen Jahren ja generell oft den Eindruck, dass die Christinnen und Christen weltweit derzeit zu den am meisten drangsalierten Gläubigen gehören. Haben Sie auch den Eindruck, dass gerade Christen im Augenblick verfolgt und drangsaliert werden?
„Die Christen sind nicht die einzigen, die verfolgt werden"
Bosse-Huber: Es ist so, dass als absolut größte Gruppe es die Christen sind weltweit, das bestätigen alle Menschenrechtsgruppen. Aber es sind eben nicht nur die Christinnen und Christen. Das gilt auch für den Sudan. Es gibt auch muslimische Gruppen, die in diesem islamischen Land, weil sie oppositionell sind, weil sie andere Ziele verfolgen, weil sie eine viel stärker demokratische Grundordnung wollen, weil sie für Menschenrechte einstehen, verfolgt werden ... Also, das ist einerseits richtig, was Sie über die Christinnen und Christen sagen, dass sie bedrängt werden, aber sie sind nicht die Einzigen. Und das ist mir auch wichtig zu betonen, dass es nicht so ein Gegeneinander an der Stelle gibt, sondern dass es häufig gerade in diesen Menschenrechtsfragen auch ein Miteinander gibt von Christen und Muslimen gegen eine islamische Mehrheit.
Gessler: Gibt es derzeit wieder so viele christliche Märtyrer wie seit Jahrhunderten nicht mehr?
Bosse-Huber: Das könnte ich jetzt statistisch sozusagen nicht belegen. Aber es gibt in manchen Gebieten auf Erden, und die werden größer, eine richtig systematische Bedrängung von Christinnen und Christen und oft auch von anderen religiösen Gruppen. Und mit Sorge sehen wir, dass es große Gebiete gibt – und Zentralafrika gehört eben dazu –, wo das immer stärker zu einer bedrängenden Frage auch wird. Und wir sehen als Kirchen unsere besondere Verantwortung darin, da etwas gegenzusetzen, interreligiösen Dialog stark zu machen, Verständigung stark zu machen, für Frieden zwischen religiösen Gruppen einzutreten und für die Menschenrechte. Und darüber auch nicht nachzulassen, wenn die Situation so kompliziert wird, wie sie im Sudan oder im Südsudan im Moment ist.
Gessler: Manchmal hat man ja den Eindruck, dass tatsächlich vor allem in muslimisch geprägten Ländern die Christenverfolgung besonders stark ist. Wird das von kirchlichen Vertretern oft etwas unter den Teppich gekehrt, weil man sich fürchtet, dass man im Grunde damit, wenn man das offen aussprechen würde, Öl ins Feuer schütten würde?
Ein Foto des Kinderhilfswerks UNICEF zeigt drei Kinder in der südsudanesischen Stadt Mingkaman, während sie erschöpft darauf warten, als Hilfesuchende registriert zu werden.
Mehr als 375.000 Kinder mussten im Südsudan ihre Heimat aufgrund des Konflikts verlassen.© dpa picture alliance / Kate Holt/ Unicef Handout
„Eine der urältesten und lebendigsten Quellen für diese Weltgegend"
Bosse-Huber: Ich weiß nicht, wer jetzt die kirchlichen Vertreter sind. Ich würde für mich selbst in Anspruch nehmen, dass ich das nicht tue, sondern dass ich versuche, präzise zu sprechen zu jeweiligen Regionen, um die es geht. Ich würde nicht gerne so pauschal reden über etwa solche Begriffe wie Christenverfolgung, und wir nehmen sehr ernst, dass die Kirchenverordnungen sagen, wir sind Teil dieser Gesellschaft, wir sind nicht die Fremden, die verfolgt werden durch andere, sondern das ist unser Land, wir sind häufig, seit Jahrhunderten und Jahrtausenden ansässig hier und wir legen Wert darauf, dass wir auch so von außen gesehen werden. Also gerade im Sudan oder im Südsudan muss man sagen, seit kurz nach der Geburt Jesu, seit dem vierten Jahrhundert sind Christen Teil dieser Kultur. Das ist nicht einfach etwas Fremdes und dem steht sozusagen eine islamische Kultur gegenüber, sondern das Christentum ist eine der urältesten und lebendigsten Quellen für diese Weltreligion und diese Weltgegend gewesen. Und davon haben alle profitiert. Deshalb ist mir wichtig, in einer Weise auch von solchen Minderheiten zu sprechen, wie es die Christen etwa im Sudan zurzeit sind, dass deutlich wird, sie sind nicht einfach nur Opfer, sondern sie sind ein ganz, ganz wichtiger Teil dieses Landes und dieser Kultur. Ich hoffe, dass es nicht so gehört wird, als ob ich damit in irgendeiner Weise Menschenrechtsverletzungen marginalisieren würde, aber ich möchte gerne auch im Blick behalten, dass sie einen Fund, einen wertvollen Schatz auch ihrer jeweiligen Gesellschaft darstellen.
Gessler: Ist vielleicht das Problem, dass Christen gerade deswegen relativ leicht Opfer sein können, weil sie eben dieses Gebot der Nächstenliebe haben und sich vielleicht anders als andere Gläubige fünfmal überlegen, ob sie sich wehren werden?
Bosse-Huber: Ich würde hoffen, dass es so wäre. Mancher Blick allerdings in die ethnischen Geografien unserer Zeit zeigt, dass es auch christliche Gebiete gibt, in denen sich die heftigsten Bürgerkriegsauseinandersetzungen ereignen. Meine Hoffnung ist, dass das Evangelium oder diese Botschaft von der Nächstenliebe stärker ist als Gewalttätigkeiten, die immer weiter eskalieren und die wir auch ein Stück unabhängig von religiöser Zugehörigkeit erleben. Wir reden manchmal auch von Europa aus geguckt so, als ob es sich um religiöse Konflikte handelt, wo wir es mindestens mit einer Mischung von Konflikten zu tun haben und häufig es längst eine Auseinandersetzung geworden ist von ethnischen Gruppen. Also, wenn die Nuer und die Dinka miteinemmal einen furchtbaren Bürgerkrieg untereinander führen, obwohl sie beide christlich geprägt sind, dann muss man ernst nehmen, dass diese religiösen Momente manchmal nur dazu dienen, Massen zu mobilisieren und ältere und dahinterliegende ethnische Vorurteile und Abgrenzungsbedürfnisse zu mobilisieren. Und das ist schrecklich sich anzuschauen. Einer hat mal gesagt, Blut ist an der Stelle dicker als Taufwasser. Für mich ist das furchtbar, ich hoffe, immer, dass das Taufwasser, also dass wir alle miteinander Christen sind, dann doch zuletzt stärker ist, als dass sich Stämme gegeneinanderstellen und einander ausrotten. Und das ist natürlich die besondere Aufgabe der Christen vor Ort, aber auch der Christen hier in Europa, das zu unterstützen und nach Kräften zu fordern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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