Sucht

Wenn Alkohol zum Problem wird

Ein junger Mann trinkt ein Glas Bier.
Beinahe zwei Millionen Menschen in Deutschland sind alkoholabhängig. © dpa/ picture-alliance/ Britta Pedersen
Moderation: Klaus Pokatzky · 10.09.2016
Kein Treffen ohne das berühmte "Gläschen in Ehren": Für viele endet dieser Spaß in einer Alkoholsucht. Über die Folgen einer fatalen Trinkkultur sprechen wir mit dem Psychologen Johannes Lindenmeyer und dem Ex-Fußballprofi Uli Borowka – der einen Suchthilfe-Verein gegründet hat.
Am 17. September öffnet das 183. Oktoberfest seine Zelte, das größte Volksfest der Welt. Es ist aber auch ein großes Saufgelage: Wie all die Jahre zuvor werden um die sechs Millionen Besucher erwartet; 2015 gingen 7,5 Millionen Maß Bier über die Festtresen.
Doch auch jenseits dieser Riesengaudi ist Alkohol die Gesellschaftsdroge schlechthin: Ob als Stresskiller oder Lockermacher, als Anmach- oder Einschlafhilfe. Kaum ein Fest oder Fußballspiel ohne "Stoff", kein Treffen mit Freunden ohne das berühmte "Gläschen in Ehren". Für viele endet dieser Spaß in einer Sucht. Etwa 1,8 Millionen Menschen in Deutschland sind alkoholabhängig, Schätzungen zufolge sterben jedes Jahr zwischen 42.000 und 74.000 Menschen an den Folgen ihres Alkoholkonsums. 15.500 Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 17 Jahren werden wegen Alkoholvergiftungen ins Krankenhaus eingeliefert.
Johannes Lindenmeyer, Chef der Salus-Klinik Lindow (Mark), spricht auf einer Pressekonferenz zum Thema Alkoholprävention für Schüler am 29.11.2012 in der Staatskanzlei in Potsdam. Erste Studienergebnisse der Präventionskampagne «Lieber schlau als blau» zum Umgang von Jugendlichen mit Alkohol wurden dabei offiziell vorgestellt.
Der Suchtpsychologe Johannes Lindenmeyer bei einer Pressekonferenz zum Thema Alkoholprävention für Schüler © picture alliance / dpa / Nestor Bachmann

Folgen einer fatalen Trinkkultur

"Ich behandle seit über 30 Jahren Alkoholiker und weiß, welches Leid Alkohol anrichten kann", sagt Prof. Dr. Johannes Lindenmeyer. Der Suchtpsychologe leitet die Salus Klinik im brandenburgischen Lindow.
Seine Erfahrung: In Deutschland herrsche eine fatale Trinkkultur.
"Erstens: Trinken ist normal. Zweitens: Alkohol gehört dazu – und es gibt irrsinnige Situationen, wo man regelrecht auffällt, wenn man nicht trinkt. Nehmen Sie nur einen runden Geburtstag. Dann gibt es die Norm, 'Trinke so viel wie der Nachbar', das bedeutet, dass sich Vieltrinker möglichst zu solchen Leuten gesellen, die ebenfalls viel trinken, um sich zu bestätigen."
Eine junge Frau liegt völlig betrunken auf dem Pflaster an einer Plakatsäule. Vor ihr steht steht eine halb ausgetrunkene Flasche Rotwein.
Eine junge Frau liegt völlig betrunken auf dem Pflaster an einer Plakatsäule. © dpa / Wolfram Steinberg

Prävention und Jugendschutz

Ihm liegt besonders die Prävention am Herzen und damit auch der Jugendschutz:
"Es ist ein Problem, dass viele Jugendliche bis ungefähr zum 25. Lebensjahr brauchen, bis sie den vernünftigen Umgang mit Alkohol gelernt haben. In dieser Zeit ist die Gefahr sehr hoch, durch Alkohol Gewalt zu erleben oder sexuelle Übergriffe."
Deshalb hat der Suchtexperte das Präventivprogramm "Lieber schlau als blau" entwickelt, bei dem Jugendliche unter ärztlicher Aufsicht den maßvollen Umgang mit Alkohol lernen sollen – auch im Schulunterricht. Gemeinsam mit anderen Medizinern hat er zudem das Computerprogramm "Mit dem Joystick gegen das Suchtgedächtnis" erstellt, mit dessen Hilfe Abhängige vom Alkohol entwöhnt werden sollen. Hier fließen neueste Erkenntnisse der Hirnforschung mit ein:
"Das Suchtgedächtnis ist getriggert auf Alkohol. Bevor sie denken können, sagt es schon: 'Super! Super!' – und das müssen wir durchbrechen."

Doppelleben eines Fußballprofis

"Der Weg eines Alkoholkranken geht immer nach unten", sagt der ehemalige Fußball-Profi Uli Borowka. "Es ist nur eine Frage der Zeit, wann alles in die Brüche geht: Die Familie, der Job, die Freundschaften – das geht alles kaputt."
Der Ex-Fußballprofi und trockener Alkoholiker Uli Borowka liest am 16.04.2013 vor Häftlingen der Jugendstrafanstalt in Berlin aus seinem Buch "Volle Pulle". In dem Buch arbeitet Borowka sein Doppelleben zwischen Leistungssport und Alkoholsucht auf.
Uli Borowka bei einer Lesung aus seinem Buch "Volle Pulle" in Berlin© picture alliance / dpa / Ole Spata
Borowka, der lange Jahre bei Werder Bremen und auch in der deutschen Nationalelf gespielt hat, weiß, wovon er redet:
"Ich war 16 Jahre lang Fußballprofi und 16 Jahre lang starker Alkoholiker."
Lange hielt er dieses Doppelleben durch, dann konnte er seinen Alkoholkonsum nicht mehr kontrollieren; seine Ehe zerbrach, er stand finanziell vor dem Ruin. Nach einem Selbstmordversuch im Jahr 2000 gelang ihm der Absprung: Er machte einen Entzug in einer Klinik und ist seitdem "trocken".

Mit einem Suchthilfe-Verein umsteuern

Seine Erfahrungen hat in dem Buch "Volle Pulle" beschrieben. Seit 2013 betreibt er zudem einen Suchthilfe-Verein, der sich unter anderem an Sportler wendet, die ein Suchtproblem haben. Seine Erfahrung: Gerade im Sport laufe vieles schief, Sportvereine würden von Brauereien gesponsert, etwaige Suchterkrankungen von Spielern totgeschwiegen. Dies sei das falsche Signal, auch an Jugendliche:
"Wir Erwachsenen haben unsere Vorbildfunktion verloren: Von 20 Erwachsenen am Spielfeldrand haben zehn eine Bierflasche in der Hand. Alkohol ist in Deutschland ein 'Kulturgut' – und wir fahren komplett in die falsche Richtung."

Wenn Alkohol zum Problem wird: Darüber diskutiert Klaus Pokatzky heute von 9:05 bis 11 Uhr mit Johannes Lindenmeyer und Uli Borowka.

Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 2254 2254, per E-Mail unter gespraech@deutschlandradiokultur.de oder auf Facebook und Twitter.

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